Hustle Culture als gefährlicher Trend: Warum 60-Stunden-Wochen nichts mit „Kultur“ zu tun haben!

Bildung & Wissen // Artikel vom 11.12.2025

Hustle Culture (Vitaly Gariev/unsplash.com)

INKA Auszeichnung

Wer sich die glitzernden Selbstinszenierungen moderner Arbeitshelden ansieht, bekommt schnell den Eindruck, permanentes Rödeln sei der neue Ausdruck eines besonders disziplinierten Lebensstils.

Die Ästhetik des Dauerarbeitens schwappt durch Feeds und Karriereportale, oft hübsch verpackt in motivierenden Zitaten, die eher an schlecht übersetzte Wandtattoos erinnern als an eine ernsthafte Haltung zur eigenen Lebenswirklichkeit. Gleichzeitig gerät viel aus dem Blick, was ein erfülltes Leben eigentlich ausmacht. Genau hier beginnt das Problem dieser sogenannten Hustle Culture, die ein romantisiertes Bild von endlosen Arbeitswochen zeichnet, während sie im Hintergrund still und gründlich an Gesundheit und Lebensfreude nagt.

Arbeit wird zur Ideologie

Der Begriff Hustle Culture wirkt auf den ersten Blick wie eine harmlose Trendvokabel, entfaltet jedoch eine erstaunliche Wucht, sobald klar wird, wofür er tatsächlich steht. Gemeint ist die Vorstellung, Produktivität müsse immer und überall stattfinden, ganz gleich, ob der Körper schon nach Erholung verlangt oder der Kopf längst auf Durchzug geschaltet hat. Dieses Ideal entstand im Umfeld von Start-up-Mythen, wo schlaflose Nächte als Währung galten und wo Erfolg angeblich direkt proportional zur Menge der verbrauchten Energie ist.

Dazu kommen Social-Media-Inszenierungen, in denen Menschen ihren Arbeitsalltag wie einen Actionfilm montieren und dabei vergessen, dass das wahre Leben keine Zeitlupensequenzen kennt, geschweige denn motivierende Hintergrundmusik. Arbeit wird in diesem System zur Ideologie, die nicht nur fordert, sondern regelrecht vereinnahmt. Aus einem Beruf wird eine Identität. Aus einem Arbeitsziel wird eine Daseinsberechtigung. Wer stehen bleibt, verliert.

Wer Pausen macht, riskiert den Anschluss. Hustle Culture funktioniert deshalb so gut, weil sie ein einfaches Narrativ anbietet, das besagt, wer nur hart genug arbeitet, wird zwangsläufig erfolgreich. Dass dieses Märchen in der Realität oft implodiert, wird gerne übersehen. Es ist dabei völlig normal, gelegentlich nach Ablenkung zu suchen und sich kleine Dopamin-Kicks zu gönnen, wie sie etwa harmlose Glücksspielangebote bieten können, da solche kurzen Reize den Kopf manchmal auf angenehme Weise durchlüften. Weiterführend lässt sich mehr dazu hier nachlesen, denn solche Impulse sind in einem ausgewogenen Alltag nicht per se problematisch. Entscheidend bleibt jedoch, dass minimale Pausen, die nur als kurzer Lufthauch dienen, um anschließend wieder stundenlang durchzuarbeiten, weder erholsam noch gesund sind und letztlich die Spirale der Überlastung nur weiter antreiben.

Die Frage nach der Kultur

Der Versuch, ausgerechnet eine Dauerschleife aus der Arbeit als Kultur zu bezeichnen, wirkt fast ironisch. Kultur lebt von Begegnung, von kreativen Impulsen, von Entschleunigung und vom bewussten Erleben. Der Mensch wird dort mehr als die Summe seiner Aufgaben, er wird Teil einer Gemeinschaft, die ihm Inspiration schenkt. Wer jedoch im Rhythmus unendlicher To-do-Listen lebt, verliert genau diesen Raum, in dem Kultur überhaupt erst entsteht. Kulturelle Entwicklung braucht Vielfalt und Offenheit. Hustle Culture kennt hingegen nur eine Richtung, nämlich vorwärts auf einer Spur, die kaum Abzweigungen erlaubt. Persönliche Entfaltung, Muße, Bildung und soziale Teilhabe geraten ins Abseits. Das selbst erhobene Ideal der unermüdlichen Leistungsmaschine stellt sich damit als geradezu kulturfeindliches Konstrukt heraus, weil alles, was nicht unmittelbar in verwertbaren Output mündet, als Ballast gilt. Die Bezeichnung „Kulturgut“ rutscht damit ins Absurde, denn ein Lebenskonzept, das keinen Platz für menschliche Tiefen und Höhen lässt, trägt kaum zur Weiterentwicklung einer Gesellschaft bei.

Gesundheitliche Risiken, die sich nicht romantisieren lassen

Wer meint, der Körper sei ein Motor, der nur genug Benzin braucht, um Tag und Nacht laufen zu können, unterschätzt die Komplexität menschlicher Belastbarkeit. Lange Arbeitswochen beanspruchen den Organismus auf eine Weise, die irgendwann unweigerlich Folgen zeigt. Chronischer Stress, Schlafdefizite und eine dauerhaft erhöhte Belastung des Herz-Kreislauf-Systems gehören zu den am häufigsten beschriebenen Auswirkungen von Überarbeitung. Viele merken zunächst nur eine diffuse Erschöpfung, gefolgt von Konzentrationsschwäche oder dem Gefühl, im eigenen Kopf nur noch als Gast anwesend zu sein.

Wer jeden Tag in den Tunnel des Dauerarbeitens eintaucht, verliert nach und nach die Verbindung zu Bereichen, die das Leben eigentlich tragen. Bildung wird verschoben, weil dafür gerade keine Zeit ist. Freundschaften verdünnen sich, weil spontane Treffen nicht mehr in den Kalender passen und kreative Hobbys verstauben in Schubladen, weil das Pflichtgefühl stärker ist als die Freude. Mit der Zeit entsteht ein paradoxes Vakuum und der Mensch arbeitet ununterbrochen, fühlt sich aber gleichzeitig leerer.

Soziale Isolation wird zu einem ständigen Begleiter, vor allem wenn das Umfeld ähnlichen Mustern folgt und niemand mehr innehalten möchte. Gleichzeitig schrumpft die eigene Identität zu einer Funktion zusammen, die bloß noch Aufgaben abarbeitet. Wer in diesem Zustand verharrt, erlebt eine Form der inneren Verarmung, die sich nicht durch ein höheres Gehalt kompensieren lässt. Persönliche Weiterentwicklung braucht Freiräume. Lernen braucht Atempausen. Beziehungen brauchen Aufmerksamkeit. Hustle Culture raubt genau das.

Der Mythos vom heroischen Durchhalten

Einer der hartnäckigsten Mythen dieser Arbeitsideologie ist die Vorstellung, Durchhalten mache unbesiegbar. Das Bild vom unermüdlichen Arbeiter wirkt verführerisch, weil es Stärke und Disziplin suggeriert. Tatsächlich verbirgt sich dahinter jedoch oft ein gefährliches Missverständnis. Viele der inszenierten Erfolgsgeschichten basieren auf stark verkürzten Erzählungen, die all jene Aspekte verschweigen, die nicht in das heroische Bild passen. Plattformen und Unternehmen profitieren von diesem Narrativ, weil produktive Menschen ein wertvolles Kapital darstellen. Die romantische Überhöhung des Dauerarbeiters wird also gerne gefüttert, auch wenn sie mit der Lebensrealität wenig zu tun hat. Hinzu kommt der Vergleichsdruck, der vor allem in sozialen Medien wirkt.

Wer ständig Einblicke in angeblich makellose Erfolgskurven anderer Menschen sieht, glaubt irgendwann, selbst nicht genug zu leisten. Das erzeugt einen Sog, der kaum noch Raum für Selbstfürsorge lässt. Dabei hat echte Leistungsfähigkeit niemals etwas mit Selbstausbeutung zu tun, sondern mit kluger Einteilung, Erholung und einer gesunden Distanz zu unerreichbaren Idealen. Ein sinnvoller Umgang mit Arbeit beginnt dort, wo das eigene Wohlbefinden denselben Stellenwert erhält wie berufliche Ziele. Erfolg wirkt nachhaltiger, wenn Gesundheit und Ausgleich nicht als Hindernisse, sondern als Basis verstanden werden. Immer mehr Menschen entdecken, wie wohltuend ein Perspektivwechsel wirkt. Statt sich einem dogmatischen Leistungsbegriff zu unterwerfen, rückt eine Haltung in den Vordergrund, die individuelle Stärke anerkennt, ohne sie in endlose Arbeitsstunden zu verwandeln.

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