10. Tempel-Tanzfestival

Bühne & Klassik // Artikel vom 10.11.2010

Seit zehn Jahren schreibt der Kulturverein Tempel in Kooperation mit der Tanztribüne an seiner bewegten Erfolgsgeschichte.

Das Tanzfestival ist mittlerweile so etwas wie eine Institution, wenn es um anspruchsvolle zeitgenössische Produktionen – auch abseits des Mainstreams – geht. Nicht umsonst waren 2009 schließlich mehr als die Hälfte der in Karlsruhe gezeigten Produktionen ausverkauft! Weit über die Region hinaus schätzt man die hochkarätig aufgestellten Veranstaltungen, bei denen Spannung, Witz und Esprit einhergehen mit technischer Finesse, dramaturgischem Mut und einer breiten stilistischen Fächerung.

Ob Kinder- und Jugendstücke, Gala-Abende wie die „Lange Nacht der kurzen Stücke“, bei der sich die regionale Szene gleich an zwei Terminen vorstellt, modernes Tanztheater, multimedial in Szene gesetzte Choreografien oder Internationales wie Flamenco erster Güte – hier ist für jeden ein tänzerisches Highlight im Programm, sofern es nicht gerade klassisches Handlungsballett sein muss.

Gala: Solo-Tanztheater

Unter der künstlerischen Leitung von Marcelo Santos werden auch in diesem Jahr einige der Preisträger des 14. Internationalen Solo-Tanztheater-Festivals im Rahmen einer Gala präsentiert. Diese wurden im März in den Kategorien Choreografie und Tanz in Stuttgart ausgezeichnet. 250 Bewerbungen aus aller Welt waren eingegangen, viele der individuellen, zeitgenössischen Charakterstücke waren Premieren. Besonders „She“ (1. Platz Tanz für Meng-Ke Wu; 3. Platz Choreografie für Antonin Comestaz) stach unter den Beiträgen des Wettbewerbs hervor und wurde zusätzlich mit dem Publikumspreis bedacht.

Es handelt von der Suche nach sich selbst, auf die sich die Protagonistin begibt. Inmitten der vielen wirren Stimmen, die sie innerlich und äußerlich vernimmt, versucht sie, ihre eigene zu finden. „Das Solo vereinte ein großes, einfallsreiches, oft überraschendes Vokabular an Bewegungen des gesamten Körpers, subtile Unterschiede in Tempo, Dynamik und Raumausnutzung... Hier erzählte allein der tanzende Körper das innere Befinden und nicht die Beschreibung im Programmheft“, urteilte die Fachpresse. Auch die „radikal getanzte Seelenhäutung“ unter dem Titel „Layers“, die mit dem 2. Platz im Bereich Tanz ausgezeichnet wurde, wird in Karlsruhe zu sehen sein (Mo, 15.11., 20.30 Uhr, Scenario).

Das Tanzfestival zu Gast im ZKM

Just zur Mitte der Jubiläumsauflage wagen die Veranstalter einen weiteren Schritt nach vorn, in diesem Fall: außer Haus. Erstmals ist das Tanzfestival im ZKM zu Gast, dessen Medientheater die optimalen Rahmenbedingungen für vier der Stücke bietet. So erfordert „Maanschaduw“ des Niederländers David Middendorp nicht nur Einsicht, sondern auch Draufsicht: Im Zentrum der Handlung steht eine Prinzessin, die ohne Schatten geboren wurde. Obwohl sie sonst alles hat und geradezu mit Geschenken überhäuft wird, fehlt ihr ein wichtiger Teil ihres Selbst. Also begibt sie sich auf eine abenteuerliche Reise, um ihren Schatten zu suchen. Das moderne Märchen, das Jugendliche wie Erwachsene gleichermaßen ansprechen dürfte, verbindet Tanz, Computeranimation und Live-Musik zu einem vielschichtigen Gesamtkunstwerk, das laut Kritik besonders durch seine wunderschöne Bildsprache und die räumlichen Effekte überzeugt (Mi, 17.11., 20.30 Uhr, ZKM).

Johannes Wieland bekommt gleich zwei Slots – man darf sich freuen, dass der ehemalige Solist der Berliner Staatsoper und jetzige Tanzdirektor am Staatstheater Kassel sowohl mit „roadkill“ als auch mit „Progressive Coma“ in Karlsruhe zu Gast sein wird. Wer letztes Jahr die Aufführung von „newyou“ beim Tanzfestival gesehen hat, dürfte um den Stellenwert seiner ausdifferenzierten Arbeit wissen, allen anderen sei die Beschäftigung mit Wieland wärmstens ans Herz gelegt. Es sei jedoch vorgewarnt: Leichte Kost ist hier nicht zu erwarten. Es geht um nicht weniger als die Auslotung der menschlichen Psyche.

Im Zentrum von „Roadkill“ steht die Frage „Lebt uns das Leben oder bleiben wir als Gestrandete emotional überrollt am Straßenrand liegen?“ Die Musik, laut Presse irgendwo zwischen Arvo Pärt und Trent Reznor anzusiedeln, kommt vom bekannten Komponisten und Sounddesigner Ben Frost. Dazu tanzen Ryan Mason und Eva Mohn ihr atemberaubendes Duett (Fr, 19.11., 20.30 Uhr, ZKM). „Sexy, provokant und mysteriös“ wird es in „Progressive Coma“, in dem Wieland aufzeigt, dass der fortwährende mediale Beschuss echte Kommunikation zwischen Individuen nahezu unmöglich macht, selbst wenn sie in den schillerndsten Farben daherkommt. Auch dieses Stück erfordert eine gewisse Offenheit des Publikums, nicht zuletzt, da auch hier das teils zu Überzeichnungen neigende „architektonisch geprägte Verständnis für Körper, Bewegung und Raum“ durchschlägt, das Wieland gern und oft nachgesagt wird (Sa, 20.11., 20.30 Uhr, ZKM).

Eine persönliche Innenschau, wenngleich auf ganz anderer Ebene, gibt es auch im generationsübergreifenden Projekt „ZeitspannenD“ von Nadja Raszewski, das laut Presse „unter Beweis stellt, auf welch berührende Weise das Medium Tanz die Eigeninitiative und die Kreativität von Menschen jeden Alters fordert.“ In der facettenreichen Produktion der Choreografin und Tanzpädagogin kommt der Löwenanteil von Damen und Herren zwischen 62 und 81 Jahren, die gemeinsam mit Jugendlichen und Profitänzern auf der Bühne stehen. Im Stück wird das Lebensgefühl älterer Menschen beleuchtet und ein Schulterschluss der Generationen gesucht. Ein mutiges Projekt, das mit Klischees nicht nur spielt, sondern diese kurzerhand aushebelt – die erfolgreiche Premiere erfolgte beim „Tanz! Heilbronn“-Festival 2010 (So, 21.11., 19.30 Uhr, ZKM). Nach den Aufführungen im ZKM stehen sowohl Middendorp als auch Wieland mit ihren Ensembles jeweils für ein Publikumsgespräch zur Verfügung, teilt der Veranstalter mit.

Kooperation Nummer 2: Kinemathek

Auch auf Film gebannt entfaltet Tanz seine magische Wirkung. Wie schön, dass es mit der Kinemathek Karlsruhe eine weitere interessante interdisziplinäre Zusammenarbeit gibt, die in diesem Jahr ebenfalls neu zum Tanzfestival dazugekommen ist. Beide gezeigten Streifen drehen sich im Kern um das außergewöhnliche „Kontakthof“-Projekt der unvergessenen Tänzerin und Choreografin Pina Bausch. „Tanzträume. Jugendliche tanzen Kontakthof von Pina Bausch“ zeigt die letzte Inszenierung des Stücks (Di, 16.11., 19 Uhr; Mi, 17.11., 21.15 Uhr). Dem quasi entgegengesetzt ist „Damen und Herren ab 65“. Eben jene werden für eine Neuinterpretation von „Kontakthof“ gesucht. Dokumentiert wird auch hier die spannende Probenarbeit, die in einer erfolgreichen Aufführung mündet (Do. 25.11. + Sa, 27.11., 19 Uhr; Di, 30.11., 21.15 Uhr).

Kinder- und Jugendstücke

Tanztheater für Menschen ab fünf Jahre wird mit „ZauberEi“ von Mouvoir auf die Bühne gebracht. Die bunte Inszenierung zwischen Comic, Mythos und realer Umweltproblematik bietet einerseits eine kindgerechte Optik und Umsetzung, spricht andererseits mit dem Thema Klimawandel einen wichtigen Punkt an – schließlich hustet und ächzt der Planet nicht nur im Tanztheater. Das mit Animationen von Timothée Ingen-Housz illustrierte Stück von Stephanie Thiersch wurde für den Kölner Kinder- und Jugendtheaterpreis 2010 nominiert (So, 14.11., 17 Uhr).

Im Rahmen eines Stadtteilsanierungsprojekts an Mühlburger Schulen entstand „Merry-go-round“, das mit Jugendlichen im Alter von neun bis elf Jahren ausgearbeitet wurde. Ausgangspunkt war das Gedicht „Das Karussell. Jardin du Luxembourg“ von Rainer Maria Rilke, dessen Sprache und Ausdruck ins Hier und Jetzt übertragen werden sollte. So unterschiedlich wie die jungen Tänzer selbst sindauch die verwendeten Stilistiken: Was gefällt und reinpasst, wird gemacht, egal ob klassisches Ballett oder HipHop. Inspiration für die Bewegungen kommt zudem von einem ganz besonderen echten Karussell auf der Bühne, das seine Einzelteile aus dem Fundus der Tanztribüne erhielt und den Stoff des Gedichts ebenfalls real werden lässt (So, 28.11., 17 Uhr).

Ausgezeichneter Flamenco

Concha Jaréno ist in der Flamenco-Szene längst keine Unbekannte mehr, wird gar als echter Shootingstar bezeichnet. 2009 zeigte sie mit „Algo“ auf dem renommierten Festival de Jerez ihre erste eigene Produktion und wurde prompt mit dem begehrten „Premio Revelación“ für den besten Newcomer ausgezeichnet. Ein wichtiger Meilenstein für die ohnehin bereits mit zahlreichen Preisen dekorierte Tänzerin, die die Verbindung zwischen Tradition und Moderne in ihrem Stil sucht. Ihre Kollegen schwärmen ebenso wie Fans und Presse: „Concha Jaréno definiert in perfektem Maße das Tempo und die Temperatur jeder Choreografie. Diese konzentrierte Schönheit reflektiert ihre Klarheit der Ideen… Ihre Alegría mit bata de cola ist ein Meisterwerk.“ Man darf gespannt sein (Di, 23.11., 20.30 Uhr).

Getanztes Road-Movie

Als „Juwel in der freien Tanzszene Mannheims“ wurde Iris Tenge unlängst in der Presse bezeichnet. Als Choreographin und Ballettmeisterin arbeitete sie u.a. bereits bei Pina Bauschs Wuppertaler Tanztheater, der Hamburgischen Staatsoper und dem Théatre Royal de La Monnaie Bruxelles. Langjährige Engagements als Tänzerin beim Hamburg Ballett unter John Neumeier und William Forsythes Ballett Frankfurt runden das Bild ab, das in seinen zahlreichen Schattierungen zu einem „erstaunlichen Reichtum aller Ausdrucksmittel“ führt.

Ihre aktuelle Produktion „My Road Movies“ ist für den diesjährigen Stuttgarter Theaterpreis nominiert und spiegelt in 13 Szenen das Reisen mit all seiner inspirierenden Kraft wider. Aus dem Bewegt-Sein heraus entwickeln sich Tenge zufolge „neue Facetten von Menschsein“. Untermalt wird die interdisziplinäre Arbeit erneut von Originalkompositionen und Videoprojektionen von Ferdinand Försch, mit dem sie eine langjährige Künstler-Freundschaft verbindet. (Fr, 26.11., 20.30 Uhr). -er

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