11. Tempel-Tanzfestival

Bühne & Klassik // Artikel vom 21.10.2011

Vorbei sind die Zeiten, da man sich noch auf Companies aus dem süddeutschen Raum zu konzentrieren hatte.

Zum Zehnjährigen ist das vom Kulturverein Tempel und der Tanztribüne um Margret Wolf und Hans Traut auf die Bretter gestellte spartenübergreifende Festival des zeitgenössischen Tanzes vergangenes Jahr abermals in seiner Wertigkeit gestiegen: Aufgrund der großen Publikumsresonanz konnte das „Internationale Tanzfestival“ mit ZKM und Kinemathek zwei neue Spielstätten hinzugewinnen, die von 9.-27.11. zusammen mit der Scenario Halle des Mühlburger Tempels auch dieses Jahr wieder Schauplatz der insgesamt elf Veranstaltungen sind.

ZKM-Medientheater
Die technischen und logistischen Möglichkeiten des Medientheaters bieten den Festivalmachern die Voraussetzungen, um innovative Aufführungen wie die des von der Fotografie zum Tanz gekommenen, stets seine eigenen Stücke darbietenden japanischen Choreografen Hiroake Umeda (Fr, 18.11., 20.30 Uhr) zu zeigen – diesen Sommer war er einer der Stars beim Berliner Festival „Tanz im August“. Nach dem unentwegten Bild- und Tonwechsel seines Solos „While Going To A Condition“ lotet er mit der erstmals in Deutschland zur Schau gestellten „Holistic Strata“ die Grenzen des Genres aus. Dazu verwandelt sich der schwarzumhüllte Tänzer von unablässigem Lichthagel bombardiert in einen menschlichen Bildschirm.

Im Anschluss an diese spratzende Einlage haben die Besucher Gelegenheit, selbst ein Bad in dem von Umeda entwickelten Elektronenregen zu nehmen. Sein neues Stück „Cinématique“ (Mi, 16.11., 20.30 Uhr), dessen Titel sich auf die „Kinematik als die Lehre von Bewegung und Körpern im Raum“ bezieht und den Tanz mit Zirkus und Videokunst verknüpft, präsentiert der französische Medienkünstler Adrien Mondot. Während die Neuentdeckung an der Seite von Tänzerin Satchie Noro virtuelle Welten mit Schwärmen fliegender Buchstaben durchstreift, tun sich scheinbar tiefe Abgründe in der matrixartigen 3D-Landschaft auf.

Das Theater Pforzheim spielt Wilhelm Hauffs Märchen „Das kalte Herz“ (So, 20.11., 20.30 Uhr) in Form des Tanzstücks von Ballettdirektor James Sutherland, dessen „Tanz-Podium“-Produktionen bekannt sind für ihren experimentellen Charakter und die Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten der Neuen Medien; und so agiert der Kohlenmunk-Peter in dem mit Robert Eikmeyer von der Furtwangener Hochschul-Fakultät Digitale Medien umgesetzten Projekt vor einem interaktiven Bühnenbild, das mittels Kameratracking durch den Tanz selbst gesteuert wird.

Scenario Halle
Die Scenario Halle im Tempel bleibt dem „Internationalen Tanzfestival“ als etablierte und atmosphärische Spielstätte erhalten und ist sogleich Schauplatz des Eröffnungsstückes der Compañía Otradanza, einer der innovativsten spanischen Tanzkompanien dieser Tage. Unkonventionell ist bei „De.Dos“ (Mi, 9.11., 20.30 Uhr) schon die Entstehungsgeschichte: Die Solos und Duos wurden von den Tänzern selbst entwickelt. Dann erst übernahm die alicantische Regisseurin Asun Noales gemeinsam mit dem Balletttänzer Cartagenero Enrique Guerrero die Aufgabe, der geballten Kreativität Struktur zu geben.

Bei der „Langen Nacht der kurzen Stücke“ (Fr+Sa, 11.+12.11., 20 Uhr) stellt sich dann wieder die regionale Tanzszene von Ludwigs- bis Freiburg in zehnminütigen Stückchen aus modernem, klassischem und experimentellem Tanz und Schauspiel vor – u.a. mit den in Karlsruhe ansässigen Tanzstudios Tanztribüne und Lilo Fried, der Tanzcompany Patricia Wolf & Dancers und dem Tanztheater Etage. Neu ist dieses Jahr der im Rahmen des unangefochtenen Zuschauermagneten verliehene Publikumspreis.

Der Sonntagnachmittag gehört dann traditionell den kleinen Festivalgängern: Für Kinder ab sechs Jahren, aber auch Erwachsene hat der brasilianische Choreograf Carlos Cortizo den Klassiker „Emil und die Detektive“ (So, 13.11., 17 Uhr) aus dem Jahr 1929 zu einem temporeich-verspielten Tanzstück von 50 Minuten umgemodelt, bei dem er sich voll auf die drei Hauptpersonen der Romanvorlage konzentriert. Zwischen Bäumen aus Besen und grüner Plastikfolie sowie grauen Stofffassaden versuchen Emil (Susanna Schwarz) und Freund Gustav (Tina Essl), den Dieb Grundeis (Eva Maria Christ) dingfest zu machen.

Ausgehend von Federico Garcia Lorcas Gedicht schicken Catarina Mora Flamenca mit „A las 5 de la tarde“ (Sa, 26.11., 20.30 Uhr) – zu Deutsch um fünf Uhr nachmittags, laut Lorca die Stunde des Todes – den Stier in die Scenario-Arena. Flankiert werden die zu einem 80-minütigen Stück gewachsenen Flamenco-Szenen mit den Soli „Alegria“, „Siguiriya“ und „Solea por Buleria“ vom stimmstarken Sänger- und Komikerduo David Vazquez und Pedro Sanz sowie den Gitarristen Antonio Espanadero und Fernando de la Rua.

Deutschlandpremiere feiert unmittelbar nach seiner Uraufführung in Lausanne „No.thing“ (Fr, 25.11., 20.30 Uhr) der vielbeachteten Schweizer Compagnie Linga, die einen ebenso akrobatischen wie ästhetischen Tanzstil pflegt und als eine der wenigen Kompanien der europäischen Szene den Sprung von der Selbstständigkeit zur Weltelite geschafft hat. Zentrale Frage ihres Stücks: Kann das Authentische einer Geste in einer Ära oberflächlicher physischer Reize noch Emotionen provozieren?

Krönender Abschluss des Festivals sind wie in den vergangenen Jahren die amtierenden Preisträgerinnen des 15. „Internationalen Stuttgarter Solo-Tanz-Theater-Festivals“ (So, 27.11., 21 Uhr), das mittlerweile als Hommage an die mit 29 Jahren tödlich verunglückte Tänzerin und Choreografin Tanja Liedtke ausgetragen wird. Die Darbietungen unter der künstlerischen Leitung von Marcelo Santos sind geprägt von der Suche nach neuen Ausdrucksformen und einer individuellen Bewegungssprache, aber auch von den kulturellen Traditionen der jeweiligen Tänzerinnen. Wer hier seinen Platz sicher wissen möchte, sollte die Karten besser vorbestellen.

Kinemathek
Und noch eine Kooperation bereichert seit vergangenem Jahr das „Internationale Tanzfestival“: Die Karlsruher Kinemathek zeigt zum Tempel-Tanz im Studio 3 neben dem 2001er Kino-Update von „Emil und die Detektive“ (Fr, 18.11., 15 Uhr; Sa+So, 19.+20.11., jeweils 15 Uhr) einen „Sasha Waltz Filmabend“.

Das ebenso informative wie sinnliche einstündige Porträt „Garten der Lüste“ (Do, 17.11., 21.15 Uhr; Sa, 19.11.+Do, 24.11., jeweils 19 Uhr) von Regisseurin Brigitte Kramer dokumentiert das Werk der bekannten Choreografin (und Schwester des INKA-Herausgebers) zwischen 1992 und 2007, angefangen bei ihren frühen Sozialstudien wie „Allee der Kosmonauten“ über die berühmte „Körper“-Trilogie bis hin zu den großen Opern-Produktionen.

Anschließend läuft Waltz’ Regiearbeit „Allee der Kosmonauten“; jenes surreal-fantastische Tanztheaterstück über das Familienleben in einer beengten Marzahner Plattenbauwohnung, das 1996 ihren internationalen Durchbruch eingeläutet hat. Eine weitere Neuerung ist der erstmals ausgelobte Festivalpreis. Wer die Majolika-Figur erhält, bestimmt eine Fachjury, in der mit Yoreme Waltz auch die Dramaturgin und jüngere Schwester der aus Karlsruhe stammenden Berliner Vortänzerin sitzt. -pat

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