ARD Hörspieltage 2019

Bühne & Klassik // Artikel vom 06.11.2019

Die „ARD Hörspieltage“ sind ein Festival für das Medium, die Kunstform Hörspiel.

Im Zentrum steht der „Deutsche Hörspielpreis der ARD“, für den die deutschsprachigen Sendeanstalten mit zwölf Stücken ins Rennen gehen. Absolutes Novum in diesem Jahr: Die Jury ist ausschließlich mit Frauen besetzt (Jenni Zylka, Lamya Kaddor, Jenny Schily, Maryam Zaree, Milena Fessmann). Mit dieser Entscheidung weist das Festival nicht nur auf ein allgemein dringliches Thema, sondern auch direkt auf seinen Thementag zu Frauen im Kulturbetrieb (Sa, 9.11.) hin. INKA stellt das Festivalprogramm vor, das bis auf das Tocotronic-Konzert und das Live-Hörspiel „Der Mieter“ kostenfrei zugänglich ist. -fd

Thementag: Frauen im Ausschnitt
Der Bechdel-Test besteht aus genau vier Fragen: 1. Gibt es mindestens zwei Frauen im Stück? 2. Haben sie einen Namen? 3. Sprechen sie miteinander? 4. Unterhalten sie sich über etwas anderes als einen Mann? Wenn alle Fragen mit „Ja“ beantwortet werden können, ist der Test bestanden. Ania Mauruschat prüft die Wettbewerbsstücke der „ARD Hörspieltage“ dahingehend und eröffnet damit den Thementag zu Frauen im Kulturbetrieb. Von zwölf Intendanzen im deutschen Rundfunk sind gerade mal zwei weiblich besetzt. Und über Gender Paygap muss erst gar nicht mehr gesprochen werden – oder eben doch! Expertinnen aus Medienwissenschaft (Mauruschat), Linguistik (Luise F. Pusch), Soziologie (Sabine Hark), Publizistik (Stefanie Lohaus) und Religionswissenschaft (Lamya Kaddor) nehmen die Rolle der Frau in Kultur- und Medienbetrieb unter die Lupe, um am Ende mit den „Karlsruher Postulaten“ zu beschließen, wie die Hörspielwelt ab sofort zu einer besseren gemacht wird. Der Thementag ist ganz entschieden als offener Austausch gedacht, an dem alle teilnehmen und mitreden können und jede Meinung Gehör findet.
Sa, 9.11., 11-17 Uhr, ZKM-Kubus

Hörspiel zum Mitmachen
Gleich zwei Angebote richten sich an alle, die selbst aktiv Hörspiel machen wollen. Einsteigerfreundlich präsentiert sich die gläserne „ARD HörSpiel-Box“ im ZKM-Foyer. Hier lassen sich eigene Hörspielszenen produzieren, Texte einlesen, mit professionellen SprecherInnen oder RadiomoderatorInnen arbeiten und Geräusche produzieren – betreut von einem erfahrenen Team. Per E-Mail landen die Stücke dann auf Wunsch im eigenen Postfach (Mi-So, 6.-10.11., 12-20 Uhr + So, 11.1., 10-17 Uhr, ZKM-Foyer). In seinem Hörspielseminar unterstützt der Schriftsteller Markus Orths die TeilnehmerInnen beim Schreiben ihrer eigenen Hörspielszene und gibt Einblicke in die Grundlagen der Hörspielkunst. Gäste aus der Praxis bereichern den Kurs, für den man sich unter morths@gmx.de anmelden kann. Kosten: 60 Euro (Fr-So, 8.-10.11., HfG-Seminarraum 115).

Helgas kleiner Hörspielkiosk
Kiosks, Büdchen oder Spätis gibt es in Karlsruhe viel zu wenige. Da ist man froh über jeden Neuzugang, auch wenn er laut Selbstbeschreibung vornehmlich kalten Kaffee und warmes Bier anbietet. Das glauben wir aber ehrlich gesagt nicht wirklich, kennen wir Helga mit ihrem Café aus dem vergangenen Jahr doch noch als vorzügliche Gastronomin, bei der sich jederzeit ein erfrischender Pausenstopp zwischen den Hörspielen einlegen lässt. Oder ein Hörspielstopp zwischen den Pausen. Nach Helgas Umsattelung auf den Kioskbetrieb finden sich in ihrem Sortiment nun frische Kurzhörspiele, Klanggimmicks zum Mitnehmen und Soundscapes zum Dableiben.
Mi-Fr, 6.-8.11., mittags-23 Uhr + Sa, 9.11., mittags-19 Uhr, ZKM-Musikbalkon

HfG-Klanglabyrinth
Das Schrebergarten-Areal am Bahndamm entlang der Stuttgarter Straße ist ein kleines Labyrinth für sich – auch symbolisch, denn Auswege aus der vertrackten Interessenslage zwischen Stadt, Immobilienbranche, Tennisverein und Kleingartenfans sind nicht immer leicht zu finden. Ein perfektes Thema also für das HfG-Klanglabyrinth, den Ort für Hörspiel und Klangkunst an der Hochschule für Gestaltung. In einer audiovisuellen Installation verwandeln Benjamin Breitkopf, Lehel Lajos und Philippe Mainz das Schrebergarten-Gebiet in die Planstadt „Intrasphäre“. Mit den Mitteln von Videoprojektion, Installation, Licht und Performance skizziert das Trio modellhaft einen utopischen Ort, in dem Stadtplanungs-Sprech zu Poesie wird und sich Großstadtlärm in Grillenzirpen verwandelt.
Mi, 6.11., 18 Uhr, HfG-Studio

Vorträge & Präsentationen
Hörspiele werden zunehmend (als Podcast) auf Kopfhörern rezipiert – von den Rundfunksendern aber in der Regel für Stereo-Raumlautsprecher konzipiert. Was bedeutet diese Diskrepanz für eine Produktion? Darüber sprechen Hörspielautor Klaus Buhlert und Manfred Hess vom SWR (Mi, 6.11.). Von dem 90 Jahre alten Radioklassiker „Lindberghflug“ von Bertolt Brecht, Kurt Weill und Paul Hindemith und dessen Besonderheit als interaktiv gedachtes Stück erzählt der Literaturwissenschafler Jan Knopf am Do, 7.11. Noch ein Jubiläum: Anlässlich 70 Jahre Grundgesetz der BRD entwickeln WDR, Deutschlandfunk und BR eine Doku-Hörspielserie. In Ausschnitten daraus lässt sich am Fr, 8.11. verfolgen, wie der Parlamentarische Rat über das bahnbrechende Gesetz diskutierte. Auch „Die Quellen sprechen“ ist ein Projekt mit historischem Bezug. Der BR bereitet in einer 16-teiligen Höredition die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden im Nazi-Deutschland allein mittels Originalquellen auf und präsentiert sein Unterfangen am Sa, 9.11.

Live-Hörspiel: Der Mieter
„The Lodger“ war Alfred Hitchcocks Durchbruch im Jahr 1927 und noch als Stummfilm in den Kinos zu sehen. Wie es sich damals gehörte, wurde der Film auch als Live-Hörspiel umgesetzt, mit Hitchock in der Regie. Das Projekt „Hollywood on Air“ hat es sich zur Mission gemacht, die Epoche der „Golden Days of Radio“ neu aufleben zu lassen und bringt die alten Stoffe auf heutige Bühnen. In „The Lodger“ schlüpfen vier SchauspielerInnen in zwölf Rollen, ersetzt ein Pianist ein 25-köpfiges Orchester und eine Geräuschemacherin mit ihrem magischen Koffer die modernen Foley Artists. Der Spannung im Kopfkino kann das nur gut tun, wenn Jack The Ripper durch das nächtliche Londoner East End huscht und sich die Vermieterin Ellen über ihren so freundlichen wie nachtaktiven neuen Untermieter wundert.
Mi, 6.11., 21 Uhr, ZKM-Medientheater

Pinball-Wettbewerb
Skurrile Dialoge, Geschichten aus parallelen Welten und dem echten Leben, spacige Klangexperimente – die freie Hörspielszene ist groß, vielfältig und quicklebendig. Der Wettbewerb „ARD Pinball“ gibt ihr jeden Herbst ein Forum, wenn die von der Jury ausgewählten Einsendungen gemeinsam gehört und mit den KünstlerInnen live diskutiert werden. Auch Jurymitglieder geben auf der Bühne Einblicke in ihre Entscheidungsfindung. Wer Lust auf überraschende, unkonventionelle Stücke hat, ist hier genau richtig.
Do, 7.11., 21 Uhr, HfG-Studio

Felix Kubin
An Felix Kubin kommt kaum vorbei, wer sich für die etwas abgedrehtere Art von Hörspiel begeistert. Ursprünglich ist er eine Art surrealistischer Songwriter und Performer, der nicht viel mehr braucht als Drummachine, Synthie und ein Mikro, um sich und sein Publikum zu unterhalten. Schon lange hat Kubin aber auch die Hörspiel-Welt infiltriert, mit seinen musikalischen Stücken bereichert und für „Orphée Mécanique“ sogar eine Auszeichnung als „Hörspiel des Jahres“ 2012 abgestaubt. Zu später Stunde spielt der „Tanzbrahms“ zum dadaistischen Ritual auf.
Do, 7.11., 23 Uhr, ZKM-Medientheater

Tocotronic
„Schall und Wahn“, „Digital ist besser“, „Die Unendlichkeit“ – die Titel der Alben von Tocotronic würden auch Hörspielen gut zu Gesichte stehen. Mit dem Genre dieses Festivals hat die Hamburger Band auch das Wesentliche gemeinsam: ausgefeilten Sound und poetischen Text in ein stimmiges Gesamtpaket zu schnüren. Und das seit mittlerweile gut 25 Jahren. Tocotronic-Konzerte sind Reisen durch ein Vierteljahrhundert Bandgeschichte, in der alte Hits selbstverständlich neben den immer wieder neuen Soundgedichten aus der Feder von Sänger Dirk von Lotzow stehen.
Fr, 8.11., 21 Uhr, HfG-Lichthof

Hörspiel-Nacht: Donjon
Von der Comic-Serie zum Hörspiel: Der Schweizer Sender SRF hat die „Donjon“-Reihe von Joann Sfar und Lewis Trondheim adaptiert. Seit 1998 erscheint Band um Band der Fantasy-Parodie aus den Federn der zwei Franzosen. Der Donjon ist eine verwinkelte Festung und zugleich hochkommerzielle Institution, die ihr Geld mit erfolgsgierigen Helden auf der Suche nach Schätzen macht. Monster, Zombies und vegane Drachen gehören zum Inventar dieser schrägen Welt, die zu vorangeschrittener Stunde ihre Pforten öffnet.
Fr, 8.11., 21 Uhr, ZKM-Vortragssaal

Klangdom
Die zwölf Wettbewerbshörspiele erklingen unter der Kuppel des ZKM-Klangdoms und seinen 47 Lautsprechern. Welche spannenden Hörerfahrungen dieses einzigartige Audio-Gebilde noch so ermöglicht, lässt sich bei den Hörstücken im Klangdom-Konzert erfahren. Der Komponist Curtis Roads, eigentlich ein Experte für Computermusik, hat sich für sein Stück „Then“ mit „oldschooliger“ Analogtechnik experimentell auseinandergesetzt. Kosmas Giannoutakis lässt in „Bursty Exorbitance“ Klänge aus generativen Feedbacknetzwerken explodieren. In zwei Kurzhörspielen, die von StudentInnen der Hochschule für Musik Trossingen produziert wurden, verbinden sich Literatur und Klanggestaltung, und das Hörstück „Onomatonien“ von Anne Munka und Jan F. Kurth (Die Soziale Gruppe) untersucht die Klangkraft der Stimme als Werkzeug zum Entdecken, Aktivieren, Erinnern und Enthüllen.
Sa, 9.11., 17.30 Uhr, ZKM-Kubus

Nacht der GewinnerInnen
Nach drei intensiven Wettbewerbstagen entlädt sich alle Spannung in der „Nacht der GewinnerInnen“, wenn live vor versammeltem Publikum im ZKM und am Radio die Preise verkündet und verliehen werden. Neben dem „Deutschen Hörspielpreis der ARD“ sind dies der „Deutsche Kinderhörspielpreis“, der „Kinderhörspielpreis der Stadt Karlsruhe“, der „Deutsche Hörspielpreis für die beste schauspielerische Leistung“, der „ARD Pinball“ für das beste Kurzhörspiel aus der freien Szene und nicht zuletzt der Publikumspreis der „ARD Hörspieltage“, über den jede und jeder online und per Stimmkarte vor Ort abstimmen kann. Stargast des Abends ist Frank Elstner, der sich mit Moderator Thomas Böhm über seine Anfänge im Hörspiel unterhält. Auch der neue SWR-Intendant Kai Gniffke ist da und gibt Einblicke in die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Hörspiels. Für die musikalische Unterhaltung sorgen Tini Thomsen und ihre Band mit einem Mix aus Rock und Jazz.
Sa, 9.11., 20 Uhr, ZKM-Medientheater

Kinderhörspieltag
Der Sonntag gehört den jungen Hörspielfans. Die können sich auf „Die Geschichte von der Schüssel und vom Löffel“ von Michael Ende freuen, die in einem Live-Hörspiel erzählt wird (11 Uhr öffentliche Generalprobe + 14 Uhr Aufführung, HfG-Lichthof 4), aber auch auf das bunte Programm drumherum. Da locken die HR2-Lauschinsel mit Weltreisen für die Ohren, die Radiogeschichten vom Ohrenbär, seine kuscheligen Freunde vom Theater aus der Bärenbude, die Gruselgeräusche der SWR2-Spielraumtour und die Lieder von Johannes Stankowski und Band. Die ARD und SRF zeigen ihre neuesten Kinderhörspiele und welche Podcasts für Kids sie im Angebot hat. Verschiedene Workshops laden ein, selbst Hörspiele und Sounds zu basteln – und wer nicht aufpasst, bekommt es mit dem frei umherlaufenden Zauberer Georg zu tun.
So, 10.11., 10-18 Uhr, ZKM & HfG

Mi-So, 6.-10.11., ZKM & HfG, Karlsruhe
www.hoerspieltage.de

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