Badisches Staatstheater - der INKA-Spielzeitcocktail 2011/2012

Bühne & Klassik // Artikel vom 18.09.2011

„Du musst dein Leben ändern“, lautet die teils reflektiert, teils kämpferisch wirkende Devise frei nach Rilke und Sloterdijk, unter der das Badische Staatstheater die Intendanz von Peter Spuhler und die Arbeit des in vielen Teilen umstrukturierten Teams einläutet.

Die gleichnamige Schauspiel-Performance nach dem Karlsruher Philosophen gibt’s unter der Regie von „Planet Porno“-Erschaffer Patrick Wengenroth obendrauf (Uraufführung Mo, 3.10., 20 Uhr, Treffpunkt Kassenhalle, auch 8.10., 20 Uhr).

Der Tenor ist hier wie da durchaus couragiert, steht doch die komplette Saison 2011/12 unter dem Leitgedanken „Von Helden“, was sich u.a. auch reizvoll in den Ballett-Premieren unter Birgit Keil widerspiegelt: Neben Peter Breuers „Siegfried“ nach der Musik von Wagner und Adams (19.11.) steht auch Tim Plegges philosophisches Erwachsenen-Ballett „Momo“ nach dem gleichnamigen Buch von Michael Ende (21.4.) an. Neue Blickwinkel garantiert!

Das INKA-Spezial stellt einige der Produktionen und Neuerungen detaillierter vor, die in den nächsten Wochen am Badischen Staatstheater zu erleben sein werden. Der Spielzeitcocktail gibt indes einen ersten Überblick über das restliche couragierte Programm.

In der Sparte Musiktheater buhlen höchst unterschiedliche Produktionen um die Gunst der Zuschauer, denn „Theater leidet eher an Unter- als an Überforderung, was völlig falsch ist“, so Chefdramaturg Bernd Feuchtner. Entsprechend präsentiert sich selbst die obligatorische Operette, Jacques Offenbachs „Ritter Blaubart“ (17.12.), alles andere als leichtgewichtig. Kontrastiert wird sie u.a. mit Verdis „Rigoletto“ (6.11.) und einem stark aufgestellten zeitgenössischen Bereich. Delius’ lyrisches Drama „Romeo und Julia auf dem Dorfe“ (28.1.) markiert den Anfang der Reihe „Meisterwerke des 20. Jahrhunderts“, und auch die politische Oper „Wallenberg“ (7.7.) von Erkki-Sven Tüür sollte man sich nicht entgehen lassen. Händel und Wagner runden den Reigen ab: Gezeigt werden „Alessandro“ (17.2.) und „Lohengrin“ (1.4.).

Absoluter Premierenspitzenreiter ist das Schauspiel: Mehr als 20 verschiedene Theaterprojekte und Inszenierungen, viele davon Uraufführungen, können sich sehen lassen – Wiederaufnahmen noch nicht mit eingerechnet! Die Spannweite unter Schauspieldirektor Jan Linders reicht von Shakespeares mustergültiger Tragödie „Hamlet“ (12.5.) über Musikalisch-Theatralisches wie Heiner Kondschaks „Dylan – The Times They Are A-Changin’“ (7.1.) bis hin zu Tennessee Williams’ Südstaatendrama „Orpheus steigt herab“ (26.1.) und dem Wolfgang-Rihm-Projekt von Laurent Chétouane „Auf Kolonos“ für die Europäischen Kulturtage (22.3.).

Dass Justin Brown dem Haus erhalten bleibt, ist eine ebenso große Freude wie der runde Geburtstag der Badischen Staatskapelle, der Anfang 2012 mit einem großen Festkonzert gefeiert wird (9.1.). 350 Jahre und zum Glück noch kein biss-chen leise, arbeitet sich das renommierte Ensemble auch in der Saison 2011/12 durch eine Vielzahl von Sinfonie-, Sonder- und Kammerkonzerten, die noch einen guten Grund mehr für ein Abo liefern.

Kleist – Die Hermannsschlacht
Auch in Sachen Kleist positioniert man sich jenseits ausgetretener Pfade. Abgesehen vom Lustspiel „Amphitryon“, das Kleist nach Molière schuf (Premiere: 31.12.), steht auch sein Drama „Die Hermannsschlacht“ auf den Plan. Nicht nur, dass dieser klassische wie epische Text um den Cherusker, der gegen die kulturelle und politische Besatzung der Römer kämpft, seit Jahrzehnten nicht mehr in der Fächerstadt zu sehen war – er wird auch noch von einem couragierten Jung-Regisseur in Szene gesetzt. Simon Solberg, Jahrgang 1979, hat sich u.a. einen Namen mit zeitgenössischen Adaptionen klassischer Stoffe gemacht und fordert im positiven Sinne mehr „Radikalität“ im Theater – einem Interview zufolge nicht mit „hohlen Provokationen, sondern künstlerisch-kritischer Auseinandersetzung“. Was das für die Hermannsschlacht heißt? Eben dass hier kein angestaubter Brocken auf die Bühne gewuchtet wird, sondern dass der Regisseur einen „sportiveren“ Zugriff auf den Stoff sucht, den er von allen möglichen Blickwinkeln aus beleuchten wird. Premiere: Do, 6.10., 20 Uhr, Kleines Haus, auch Sa, 8.10, 19.30 Uhr, und Fr, 14.10., 20 Uhr

Gründung Junges Staatstheater
Den Wert von Kinder- und Jugendarbeit hat man am Badischen Staatstheater nicht erst jetzt erkannt. Schon lange sind die Kinderkonzerte ein Dauerbrenner bei den Kleinsten und ihren Eltern – warum also sollte man Gutes nicht noch besser machen und das Angebot in allen Bereichen (Schauspiel, Oper, Ballett, Konzert) deutlich ausbauen? Das zur Saison 2011/12 neu etablierte „Junge Staatstheater“, das sparten- wie altersübergreifend als weiterer Eckpfeiler dienen und Kinder und Jugendliche ansprechen soll, bekommt mit Ulrike Stöck eine „Chefin“ vorangestellt, die ebenso viel Ahnung wie Herzblut in die Entwicklung einbringt, wie ein Gespräch mit ihr zeigt.

Hierin erzählt sie lachend, wie sie sich als Kind trotz Eltern mit naturwissenschaftlichem Background selbst „mit dem Theatervirus“ ansteckt, sich aber zunächst – auch aus Respekt gegenüber der Kunst – dagegen entscheidet, ihre Leidenschaft zum Beruf zu machen. Eher zufällig landet sie über eine Hospitanz während ihres Germanistik-Studiums wieder am Ausgangspunkt, und als auch noch einer der Lieblingsschauspieler ihrer Kindheit auf der Bühne steht, sind die Würfel gefallen. „Ab dem Tag habe ich das Potsdamer Hans-Otto-Theater sechs Jahre lang nicht mehr verlassen, war dort zunächst Assistentin, später habe ich auch selbst inszeniert.“  Es folgen u.a. mehrere Jahre als Dramaturgin und Regisseurin in Senftenberg, das zu jener Zeit ein reines Kinder- und Jugendtheater ist, und als Freischaffende u.a. am Stadttheater Konstanz, der Comedia Köln und dem Theater Heidelberg. Und nun eben Karlsruhe, wo sich Ulrike Stöck als fes-tes Glied in der Kette federführend im Dienst der Sache verwirklichen kann.

Staubziffern & Liederliche Zahlen (ab acht Jahre)
Zum Auftakt der Saison inszeniert Ulrike Stöck in Kooperation mit dem Zak „Staubziffern und liederliche Zahlen“ für Kinder ab acht Jahren. Das Stück zeigt, dass Mathematik eben nicht diese „gruselige oder langweilige Geschichte aus der Schule“ ist, sondern betont die spannenden und schönen Seiten der Rechnerei. Diese hilft schließlich auch dabei, die Welt zu sortieren und alles in geregelten Bahnen laufen zu lassen. „Es fängt bei ganz einfachen Sachen an: Wie teile ich eine Torte gerecht auf? Bei zwei Leuten geht das noch – aber wie ist das bei 15 oder 150 Menschen? Aus einem kleinen, harmlosen Ansatz ergibt sich eine riesige Matheaufgabe“, erklärt die Regisseurin. Daneben dreht sich die Produktion um die Entdeckung der Null – eine Art naturwissenschaftlicher Krimi, der viel mehr Spaß macht als jede Mathe-Hausaufgabe. Versprochen! Premiere: So, 18.9, 15 Uhr, Insel, auch 22./26.9. und 6./10./11.10., 11 Uhr sowie 24.9. und 8.10., 15 Uhr

Zu den weiteren schauspielerischen Höhepunkten zählen die Uraufführung von Rike Reinigers „Zigeuner Box“ (23.10., 14+), „Der Kleine Muck“ (6.11., 6+) und „Tschick“ nach dem Roman von Wolfgang Herrndorf (4.2., 14+). Doch auch im musikalischen Bereich ist man stark aufgestellt: Es gibt acht Kinder- bzw. Jugendkonzerte, darunter Dvořáks neunte Sinfonie „Aus der Neuen Welt“ (25.4.) und Dormans Ellef Sinfonie (19.7.), sowie zwei Opern. An Zuschauer ab sechs Jahre wendet sich Thomas Leiningers im barocken Stil komponierte Oper „Dino und die Arche“ (19.2.); die etwas Älteren können sich zudem auf Frank Schwemmers Abenteueroper „Robin Hood“ (20.5.) freuen.

1. Karlsruher Dramatikerfestival
Beim ersten Karlsruher Dramatikerfestival, bei dem nicht nur die Bühne des Badischen Staatstheaters, sondern das gesamte Haus vom Heizungskeller bis zum Kulissenlager bespielt wird, kann man 20 Nachwuchsautoren entdecken, die teils noch ganz am Beginn ihrer Karriere stehen, teils schon einige Erfolge vorzuweisen haben. Jörg Albrecht, Ekat Cordes, Jérôme Junod, Oliver Kluck, Timo Krstin und weitere wurden gebeten, jeweils ein etwa zehnminütiges Werk zum Thema „Stadt der Zukunft“ zu schreiben. Die künstlerische Leitung haben Nina Gühlstorff und Dorothea Schroeder. Das 1. Karlsruher Dramatikerfestival findet vom 1. bis 3. Oktober statt.

100 Prozent Karlsruhe
Der Abschluss des Dramatikerfestivals ist zugleich ungewöhnliches Experiment und Paukenschlag: Rimini Protokoll – immer ein Garant für Theater und Aktionen jenseits der Norm, die die Frage nach dem Inszenierungsgehalt der Realität stellen („50 Aktenkilometer. Ein begehbares Stasihörspiel“; Karl Marx: Das Kapital, Erster Band; Neuinszenierung von Schillers „Wallenstein“) – bringt angestoßen durch die Feierlichkeiten zum 60. Geburtstag des Bundesverfassungsgerichts buchstäblich 100 Prozent Karlsruhe auf die Bühne. Hundert Karlsruher Bürger stellen den kleinsten repräsentativen Querschnitt der Stadt dar und geben durch ihre persönliche Sicht einen Blick auf Herz und Seele der Fächerstadt frei. 100 Prozent Karlsruhe. Eine statistische Kettenreaktion – Premiere: Sa, 1.10, 20 Uhr, Großes Haus, auch So, 2.10., 20 Uhr

Helgard Haug von Rimini Protokoll im INKA-Interview

Berlioz – Les Troyens

Berlioz’ monumentale Oper „Les Troyens“, deren beide Teile in Karlsruhe 1890 uraufgeführt wurden, kehrt in die ehemalige badische Residenzstadt zurück, um hier gleich zwei Schwerpunktthemen der neuen Saison Nachdruck zu verleihen: dem Spielzeitmotto „Von Helden“ und dem gewählten Augenmerk auf „große französische Opern“. Neben Generalmusikdirektor Justin Brown, dem das Werk aufgrund seiner richtungsweisenden musikalischen Dimension besonders am Herzen liegt, zeichnen David Hermann (Regie) und Christof Hetzer (Bühnenbild) für die Umsetzung verantwortlich. Hermann/Hetzer sind ein eingeschworenes Team. Der frühere Neuenfels-Assistent und der Set-Designer, der 2012 bei den Richard-Wagner-Festspielen die Oper „Der fliegende Holländer“ ausstatten soll, erarbeiteten u.a. gemeinsam in Frankfurt einen Monteverdi-Zyklus und zeigten Produktionen bei der Ruhrtriennale, den Salzburger Festspielen und in Basel. Premiere: Sa, 15.10., 17 Uhr, Großes Haus

David Hermann, Regisseur von „Les Troyens“, im INKA-Interview

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