Halt, Stop, Halt – keine Gewalt!?
Bühne & Klassik // Artikel vom 10.04.2016
Glaubt man Steven Pinker, so geht die Gewalt in der Menschheitsgeschichte immer weiter zurück.
Eine kühne These, möchte man meinen, angesichts der buchstäblich gewaltigen, alltäglichen Bilderflut. Das Volkstheaterprojekt „Gewalt“ untersucht, was dran ist, und gestaltet im Rahmen der Europäischen Kulturtage den nächsten Teil der Reihe „Philosophisches Theater“ am Staatstheater. Beata Anna Schmutz, Regisseurin und Volkstheater-Leiterin, stand Friedemann Dupelius, ganz friedlich, Rede und Antwort.
INKA: Letzten Dezember fand ein Casting für das „Gewalt“-Projekt statt. Wie wurde dort ausgewählt?
Beata Anna Schmutz: Das Volkstheater bringt Menschen auf die Bühne, die nicht professionell fürs Theater ausgebildet sind. Das sind Leute aus der Stadt, die eine Expertise mit sich bringen – eine thematische, oft auch biografische. Gut 30 Freiwillige haben auf unseren Aufruf reagiert und sind zum Casting gekommen – wobei das ein schwieriges Wort ist, es geht ja nicht um konkrete Fähigkeiten. Die Leute sollten ein Ereignis über Gewalt mitbringen und darüber erzählen. Da war ein Kriminalpolizist dabei, der erlebt hat, wie sich erst vor kurzem der Mörder in einem Fall gestellt hat, den er vor zwanzig Jahren bearbeitet hat. Jemand anderes hat in Karlsruhe einen ehemaligen Stasi-Agenten wiedergetroffen – Thema Staatsgewalt! Wir haben dann acht Leute mit den Geschichten ausgewählt, die sich gut mit den Thesen von Steven Pinker verbinden lassen.
INKA: Der sagt ja, die Gewalt nähme über die Jahrtausende immer mehr ab. Nun kommen aber Leute aus dem Leben und erzählen von Gewalt. Wie passt das zusammen?
Schmutz: In seinem Buch „Gewalt – Eine neue Geschichte der Menschheit“ belegt er seine These zum Beispiel mit Zivilisierungsprozessen wie der Buchdruckerfindung oder der Entstehung von Rechten für Bürger, Frauen, Kinder und Tiere. Aber auch der „sanfte Handel“ entstand – wir müssen uns nicht mehr die Köpfe einschlagen, wenn wir etwas voneinander wollen. Außerdem spricht er von psychologischen Kräften, die in der menschlichen Natur liegen. Da unterscheidet er zwischen Kräften wie Mitleid und Vernunft, die uns davon abhalten, Gewalt anzuwenden, und der anderen Seite – natürlich trägt der Mensch auch eine Seite in sich, die zu Gewalt, zu Macht und Dominanz neigt, deswegen erleben wir jene auch heute noch. Das Buch hat seine Schwächen, aber es trägt eine spannende These in sich, die gegen den allgemeinen Kulturpessimismus steht. Pinker sagt auch, dass wir durch die Medien heute viel mehr Gewalt wahrnehmen als die Menschen früher.
INKA: „Gewalt“ gehört zur Reihe „Philosophisches Theater“. Heißt das, die Gruppe hat ganz viel gelesen und diskutiert?
Schmutz: Ja! Wir lesen wahnsinnig viel – nicht nur Pinker, auch Texte von Slavoj Zizek und Walter Benjamin, um das Thema breit aufgestellt angehen zu können.
INKA: Und was kommt dabei heraus?
Schmutz: Wir können kaum Lösungen für Gewaltverminderung präsentieren – doch wir verhandeln eine philosophische Position und ihre Thesen, durchsetzt mit eigenen Fragen. Gewalt kommt dabei nicht nur im Inhalt zum Ausdruck, sondern auch in den Materialitäten in Kostüm und Bühnenbild. Da spielen Aspekte wie Deformation und Narben mit hinein. Alle acht Team-Mitglieder sind zusammen mit dem Schauspieler Sebastian Reiß als Darsteller auf der Bühne – und noch viel mehr...
Premiere: So, 10.4., 17 + 19 Uhr, Badisches Staatstheater, Studio, Karlsruhe, auch: 20.4., 17 und 19 Uhr, weit. Termine sind im Mai geplant
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