Interview mit Hörspieldramaturgin Regine Ahrem
Bühne & Klassik // Artikel vom 03.11.2011
Wie aus dem Romanklassiker „Winnetou I“ das „Livehörspiel mit Bärentöter“ wurde, erzählt Hörspieldramaturgin Regine Ahrem im Interview mit INKA-Redakteur Patrick Wurster.
INKA: Sie arbeiten als Hörspieldramaturgin beim Rundfunk Berlin Brandenburg und haben unzählige Hörspiele produziert. Was fasziniert Sie an der Art, mit einem Hörspiel Geschichten zu erzählen?
Ahrem: Es ist das berühmte Kino im Kopf. Dass man gezwungen ist, seine eigenen Bilder zu produzieren. Und dass man – wenn dies glückt – einen viel nachhaltigeren, weil persönlicheren Bezug zu den Geschichten herstellt. In einer Welt, die überflutet ist von vorgefertigten Bildern, erlebe ich diese sensorische Beschränkung durchaus als Bereicherung, ja als Luxus. Für mich als Macherin geht der Luxus noch viel weiter. Ich kann mich jenseits von Quote und Mainstream bewegen. Beim Hörspiel ist manchmal immer noch möglich, was ansonsten in der Medienlandschaft sehr selten geworden ist: künstlerische Grenzgänge. Abenteuer auf Abwegen. Freiheit. Das ist auch nach so vielen Jahren für mich immer noch sehr spannend.
INKA: Seit 1956 hat sich keine Rundfunkanstalt mehr an die Abenteuergeschichte über die Blutsbrüderschaft von Old Shatterhand und dem Apachen-Häuptling gewagt. Worin lag der Reiz, aus dem Karl-May-Klassiker ein „Livehörspiel mit Bärentöter“ zu gestalten?
Ahrem: Zunächst ging es darum, das Ganze vom Sockel zu schubsen, ihm das Monumentale, Hehre und jeglichen Weihrauch zu nehmen. Um den Stoff damit auch für Menschen hier und jetzt genießbar zu machen. Dieser Prozess hat viel Komik zutage gebracht – auch unfreiwillige. Wobei wir uns aber klar von der Parodie unterscheiden. Das heißt: Uns ging es nicht um bloße Bilderstürmerei. Wir haben die Grundaussagen des Romans – etwa die Zerstörung der Natur durch die fraglichen Errungenschaften einer wie auch immer gearteten Zivilisation – sehr ernst genommen.
INKA: Worin besteht grundsätzlich und im Falle „Winnetou“ die Schwierigkeit, eine literarische Vorlage ins Hörspiel-Format zu übertragen? Wie haben Sie die 567 Seiten verdichtet, wo mussten Sie dramaturgische Anpassungen vornehmen?
Ahrem: Die Schwierigkeiten sind so unterschiedlich, wie es die Vorlagen sind. Im Fall von „Winnetou“ ging es in der Hauptsache darum, eine tragende, dramatisch gespannte Erzähllinie zu finden. Im Prozess der Bearbeitung bedeutet das Verdichtung und Fokussierung. Eine Überraschung waren für mich viele der Dialoge bei Karl May: Etwas entstaubt und von Ballast befreit fördern sie eine erstaunlich witzige Leichtigkeit zutage.
INKA: Wo liegt der Unterschied zwischen einer Studioproduktion und einem Bühnenstück aus Sicht einer Hörspieldramaturgin?
Ahrem: Bei „Winnetou“ haben wir diese Erfahrung ja ganz konkret gemacht. Denn es gibt die Live-Version, die erstmals 2010 im Rahmen der „Musikfestspiele Potsdam Sanssouci“ aufgeführt wurde und die jetzt in Karlsruhe zu sehen sein wird. Und parallel dazu haben wir eine zweiteilige Studiofassung von „Winnetou“ erstellt, die gerade auch als Hörbuch im Hörverlag erschienen ist. In beiden Fällen hat Hans-Helge Ott die Regie übernommen. Entstanden sind dabei dennoch zwei ganz unterschiedliche Projekte: Die Live-Version zeichnet sich vor allem durch die große spontane Spielfreunde der Schauspieler aus, die sich natürlich aus dem Kontakt mit dem Publikum ergibt. Von dem optischen Mehr, dass man Geräuschemacher, Musikern und Schauspielern quasi bei der Arbeit zuschauen kann, einmal ganz abgesehen. Die Studiofassung wiederum besticht durch ihre Präzision und ihr Timing und einen bis Detail ausgeklügelten Soundtrack.
INKA: Wie verläuft der Produktionsprozess von der Idee zum fertigen Hörspiel?
Ahrem: Klassischerweise ist da zunächst das Manuskript eines Autors, für das ich mich entschieden habe. Diese Entscheidung ist allerdings eine sehr enge Schleuse. Denn das Angebot an Manuskripten und Projektvorschlägen übersteigt unsere bescheidenen Produktionsmöglichkeiten um ein Vielfaches. In der Regel ist aber auch dieses bereits hochselektierte Manuskript noch nicht fertig. In einem oder auch mehreren Schritten wird daraus in Zusammenarbeit zwischen Dramaturg und Autor das endgültige, produktionsfertige Manuskript entwickelt. Dafür wird dann ein Regisseur ausgesucht und dieser sucht dann in Absprache mit der Redaktion Schauspieler und eventuell auch einen Komponisten. Dann findet im Studio die Produktion statt. Im Idealfall sind das drei Tage Aufnahme, zwei Tage Schnitt und fünf Tage Mischung, also zwei Wochen insgesamt.
INKA: Wird in Karlsruhe dieselbe Besetzung wie in Potsdam zu sehen und zu hören sein?
Ahrem: Bis auf ein oder zwei Umbesetzungen arbeiten wir mit dem gleichen Team wie bei der Premiere in Potsdam. Dort sorgte ja das Babelsberger Filmorchester für eine äußerst stimmungsvolle musikalische Untermalung. Für Karlsruhe hat Komponist Bernd Keul ein vielversprechendes variables Musikkonzept erarbeitet. Neben großem Orchestersound, der via Computer generiert wird, werden fünf Musiker das Spiel der Schauspieler auch live begleiten.
Do, 10.11., 21 Uhr, ZKM-Medientheater, Karlsruhe
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