Junger Tanz: „Kinder als Teil der Gesellschaft“
Bühne & Klassik // Artikel vom 09.07.2023
Daria Schirmer im INKA-Interview zum neuen Festival „Junger Tanz“.
Nach einem Vierteljahrhundert Tempel-Festival „Tanz Karlsruhe“ wird in diesem Jahr die Bühne erstmals explizit für junges Publikum eröffnet. Im Gespräch mit Stella Braasch erzählt Daria Schirmer, seit 2021 Assistenz der Geschäftsleitung, vom Impuls zum neuen Format „Junger Tanz“ und welche aktuellen Entwicklungen der Tanzszene dahinterstecken.
INKA: Woher kam die Idee, in diesem Jahr dem jungen Tanz erstmalig eine eigene Plattform zu bieten?
Daria Schirmer: Auch in den bisherigen Tempel-Tanzfestivals hatten wir immer ein bis zwei Kinderstücke integriert. Wir haben dabei gemerkt, dass es in Karlsruhe echten Bedarf gibt an professionellen Tanzstücken für Kinder. Für Theater gibt es einiges, aber Tanz ist wirklich rar. Dabei passiert in der Tanzszene dazu gerade sehr viel, immer mehr Ensembles produzieren hauptsächlich Stücke für Kinder. Es ermöglicht, ohne einen voreingenommenen Erwachsenenblick auf die eigenen Kunstformate schauen zu können. Es werden viele neue Formate ausprobiert, genreübergreifend gearbeitet, ohne großes Intellektualisieren. Noch vor einigen Jahren waren Bühnenprogramme geprägt von einem erzieherischen, moralischen Ansatz wie „Hör auf, dich zu streiten, und teile mit den anderen“, und das ganz explizit. Es ist sehr befreiend, Kindern heute vermehrt einfach Kunst zu zeigen. Damit werden sie ernst genommen und ihnen die Kompetenz zugeschrieben, auch komplexe Stücke zu erfassen und sich daraus ihre eigenen Schlüsse zu ziehen. Es wird ihnen etwas zugemutet und – zugetraut. Darin liegt eine große Freiheit und Eigenständigkeit, auch für die Leute auf der Bühne. Und nicht zuletzt wollten wir Kindern als Teil der Gesellschaft und damit auch als Publikum auf sie zugeschnittene Stücke präsentieren. Das ist gelebte Teilhabe, was leider immer noch nicht ganz selbstverständlich ist.
INKA: Es ist ein bunt gemischtes Programm mit internationalen Compagnien. Wie kam das Programm zustande? Welche Kriterien gab es bei der Auswahl?
Schirmer: Unser Anliegen war es, eine bunte Palette zu zeigen – vom Alter der Zielgruppen her wie auch geografisch. „Cometa“, unsere Abschlussproduktion, ist eine Kooperation zwischen Mecklenburg-Vorpommern und Barcelona. Manch andere kommen nicht von ganz so weit, wie Bern oder Wien. In Deutschland passiert natürlich viel Neues in Berlin, aber eben nicht nur. Die Companie M ist z.B. in der Region zwischen Mannheim und Heidelberg angesiedelt. Und von ihrem Stück „Coucou“ für Kinder ab zwei Jahren bis „Running“, eine Koop mit dem Jungen Staatstheater ab 13 Jahren, haben wir auch alterstechnisch ein großes Spektrum abgedeckt. Wobei das mit der Zielgruppe so eine Sache ist. Uns war sehr wichtig, dass es generell keine Stücke sind, bei denen die Erwachsenen ihre Kinder quasi abgeben und selbst nichts damit anfangen können. Besonders die neueren Ansätze für Bühnenkunst für Kinder können auch für erfahrenere WeltbeobachterInnen sehr erfrischend sein. Die Stücke funktionieren auf einer sinnlichen Ebene ganz unmittelbar und können direkt berühren. Natürlich haben sie meistens einen konzeptionellen Überbau oder Gedanken. Bei „Kleine große Sprünge“ geht es z.B. um die Beziehung von Mensch und Natur, es nähert sich dem Thema aber nicht über ein Darüber-Bescheid-Wissen. Das kann auch für Erwachsene eine echte Erholung sein, sich bei einer Aufführung fallen zu lassen und vielleicht mehr aus dem Blick eines Kindes Tanz neu zu erleben.
INKA: Jährlich ein großes Tanzfestival auf die Beine zu stellen, ist kein Klacks. Wer stemmt das alles, vor allem auch hinter den Kulissen?
Schirmer: Wir sind ein vierköpfiges Team, bestehend aus Geschäftsführer Martin Holder, zwei Assistentinnen, das bin ich und Natalie Reimann und der FSJlerin Marine Debiais. Wir alle kommen aus Kulturwissenschaft und -management. Ich bringe den pädagogischen Blick in das Team, bin Kulturvermittlerin und habe in Hildesheim und Marseille studiert. Ich arbeite schon lange als Musikvermittlerin, was ich auch neben meiner Arbeit im Tempel immer noch tue. Seit Langem habe ich großes Interesse am Kindertheater. Ich fühle mich auf einer sinnlichen Ebene total davon angesprochen und denke, es hat das Potenzial, niederschwellig Leute zu erreichen. Natalie hat Kulturwissenschaften studiert, ist Tänzerin und Tanzpädagogin und hat eine Tanzschule in Karlsbad. Sie bringt Pragmatismus und Ruhe in das Team. Martin hat als langjähriger Geschäftsführer die Erfahrung und den Überblick. Er hat das ganze Projekt begleitet und mitgetragen. Und Marine war ebenfalls eine tolle Unterstützung. In unserem kleinen Team kann es phasenweise ganz schön eng werden und sie ist immer zur Stelle, wenn es irgendwo brennt. Besonders wichtig ist für uns die Kooperation mit dem Jungen Staatstheater. Hierfür ist Tanzpädagogin Miriam Ruoff unser Bindeglied, die durch Stückvorschläge und fachlich wichtige Impulse gegeben hat.
INKA: Gibt es ein persönliches Highlight, auf das Sie sich besonders freuen?
Schirmer: Nach der ganzen Vorbereitung freue ich mich einfach darauf, dass es losgeht! Besonders auf die Eröffnung, denn es gibt neben dem Premierenstück ein großes Fest auf dem Tempel-Vorplatz, der sonst Parkplatz ist. Es war nicht selbstverständlich, dass wir es durchkriegen, alle Autos zu verbannen. Eine besondere Gelegenheit, hier mit Familienprogramm und festlicher Eröffnung den „Jungen Tanz“ zu feiern!
Eröffnung: So, 9.7., 15 Uhr, bis 19.7., Tempel/Insel/Grundschule Beiertheim/Innenstadt
www.kulturzentrum-tempel.de
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