Ludwigsburger Schlossfestspiele 2021
Bühne & Klassik // Artikel vom 05.06.2021
Unterschiedlicher könnte es kaum gelaufen sein.
Nachdem Jochen Sandigs erste Spielzeit als Intendant in Ludwigsburg noch vor Beginn dem Virus nachgeben musste, darf er sich zum Auftakt der Saison 2021 über einen Internet-Hit freuen. 6.750 Mal wurde das von Arte coproduzierte Video vom Eröffnungskonzert der „Schlossfestspiele“ allein in den ersten zwölf Stunden abgerufen. Auf der digitalen Festivalbühne kann man sich das Konzert des Festivalorchesters mit Oksana Lyniv am Pult und Beethovens Sechster, „4’33”“ von John Cage, Mahlers „Lied von der Erde“ und J Henry Fairs Adaption davon noch bis zum 2.11. ansehen: www.schlossfestspiele.de/digitale_buehne.
Die „Ludwigsburger Schlossfestspiele“ blicken auf fast 90 Jahre Geschichte zurück und mit Intendant Sandig auf die sehr gegenwärtige Aufgabe, eine diverse Gesellschaft in Zeiten lokaler und globaler Krisen aktiv und positiv mitzugestalten. Das Ideal der Verständigung zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen findet sich symbolisch im Dialog unterschiedlicher Kunstsparten. Exemplarisch und als Namenspate dafür steht das Projekt „Dialoge“ von Sasha Waltz. Seit fast 20 Jahren untersucht die Choreografin damit serienartig das Zusammenspiel von Tanz, Musik und Architektur. Nach dem Jüdischen Museum Berlin, einem mittelalterlichen Kloster in Montpellier und einem alten Herrenhaus in Kalkutta steht nun das barocke Ludwigsburger Schloss im Mittelpunkt des choreografischen Interesses. Musik von Henry Purcell und Jean-Philippe Rameau liefert zunächst den historisch angemessenen Soundtrack und geleitet das Publikum vom blühenden Nordgarten in den Ehrenhof des Schlosses. Zum Sonnenuntergang erklingt mit „In C“ von Terry Riley eines der stilbildenden Werke der Minimal Music aus der Mitte des 20. Jahrhunderts (Fr-So, 20.30 Uhr, Blühendes Barock & Schlossinnenhof).
Neue Hörspektiven auf vertraute Musik bietet das Ensemble Urban Strings (Elina Albach, Georg Kallweit, Margret Köll). Dessen Fassung von Bachs „Goldberg-Variationen“ bedient sich nicht nur vielfältiger Instrumentierung, sondern auch punktueller Klangverstärkung, Soundscapes, Licht und Video. Der harmonische Klangreichtum in Bachs Original kann somit noch stärker leuchten (So, 13.6., 21 Uhr, Ordenssaal/Festivalzentrum – findet nur statt, wenn Publikum vor Ort erlaubt ist). In Berlin-Kreuzberg fand Petra Nachtmanova zur Saz. Die Frage nach dem Ursprung der langhalsigen Laute ließ die Musikerin nicht los; so begab sie sich auf die Suche, begleitet vom Filmemacher Stephan Talneau. Von Berlin über Istanbul und Anatolien reiste Nachtmanova über die verschneiten Gipfel des Kaukasus bis in die Wüsten des östlichen Iran. Über 5.000 Kilometer legt sie zurück, auf denen sie viele Menschen findet, die ihre Begeisterung fürs Saz-Spiel teilen. Einige davon bringt Petra Nachtmanova nach Ludwigsburg, wo sie nach dem Film-Screening von „Saz – The Key Of Trust“ gemeinsam mit Saz-MusikerInnen aus der Region auftreten (Fr, 18.6., 20 Uhr, Scala & Digitale Bühne).
„The Shape Of Trouble To Come“ ist ein theatrales Science-Fiction-Stück. Es sucht kreative Antworten auf die Leitfrage der Ludwigsburger Schlossfestspiele: „Wohin gehen wir?“ Das Farn Collective nutzt das Potenzial des Theaters, utopische Zukunftsszenarien zu entwickeln. Futuristische Bühnenerzählungen helfen dabei, das Verhalten der Menschen und dessen potenzielle Auswirkung auf die Zukunft zu reflektieren. In „The Shape Of Trouble To Come“ verschmelzen Schauspiel, Theater, Performance und Musik zu einer Kunstform auf gleichberechtigter Basis (Do-Sa, 24.-26.6., 20 Uhr, Forum am Schlosspark).
Ein Highlight der „Schlossfestspiele“ 2021 ist die einwöchige Residenz der Sopranistin und Dirigentin Barbara Hannigan. Zunächst veranstaltet sie mit ihren Kolleginnen Aphrodite Patoulidou und Coline Dutilleul sowie Ziad Nehme (Tenor), Douglas Williams (Bassbariton), Kunal Lahiry (Klavier) und Solisten des Festspielorchesters „Hannigans Moveable Feast“. Das Publikum wird an verschiedene Orte im Barockschloss geführt, wo Werke von u.a. Jonathan Dove, Claudio Monteverdi, Luigi Nono und Ottorino Respighi erklingen (Do+Fr, 1.+2.7., 20 Uhr). Mit „Chiaroscuro“ präsentiert Barbara Hannigan schließlich ein groß angelegtes, zweiteiliges Projekt, das Bezug auf eine mit Licht und Schatten spielende Technik aus der barocken Malerei nimmt.
So offeriert der erste Teil des Abends, „Bright Lights“, eine Welt voller optimistischer Klänge und amüsanter Einfälle. Igor Strawinsky zeigt sich in „Pulcinella“ von seiner freundlicheren Seite, Joseph Haydns 90. Sinfonie lässt sich als vertonter Witz verstehen und in George Gershwins schwungvollem „Girl Crazy“ wird Hannigan zur singenden Dirigentin. Mit Einbruch der Dunkelheit wechselt die Stimmung. „The Dark Side“ beginnt mit Arnold Schönbergs melancholischem „Verklärte Nacht“. In Claude Viviers „Lonely Child“ geleiten Gong-Schläge den Weg in eine zunehmend dissonante Einsamkeit. Charles Ives stellt zuletzt „The Unanswered Question“ und entlässt das Publikum im musikalischen Schwebezustand (So, 4.7., 19 Uhr: „Bright Lights“ u. 22 Uhr: „The Dark Side“).
Das vollständige und den aktuellen Gegebenheiten entsprechende Programm, das u.a. auch mit Gastspielen der Bratschistin Tabea Zimmermann (Sa, 5.6.), der Jazz-Pianistin Johanna Summer (Fr, 11.6.) und des Oberon Trio (Sa+So, 19.+20.6.) aufwartet, findet sich auf www.schlossfestspiele.de. -fd
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