Andreas Köhler, Synchronstudio The Kitchen Germany

Porträt
Andreas Köhler

Ob Schulterpresse oder Ruderzug, beim gut ausgeführten Muskelaufbautraining bewegen sich rechter und linker Arm möglichst synchron. Eigentlich geht Andreas Köhler solchen Übungen gern im Fitnessstudio nach, doch aktuell braucht eine andere Form der Gleichzeitigkeit seine ganze Hingabe: Seit vier Jahren führt Köhler ein Studio für Filmsynchronisation in Karlsruhe und ist damit so gefragt, dass er das Training zur Zeit hinten anstellen muss.

„Ich hatte mich gerade mit meinem Leben arrangiert und ging davon aus, bis zur Rente am Badischen Konservatorium zu unterrichten“, sagt der studierte Cellist. Doch dann kam ein Anruf, der eine neue Wendung in der abwechslungsreichen Biografie des Musikers bringen sollte. Yoram Chertok vom US-Unternehmen The Kitchen bot Köhler an, eine Dependance der Synchro-Firma in Karlsruhe aufzumachen. Seit 2017 expandiert The Kitchen auf dem europäischen Markt und hatte Südwestdeutschland als bis dato leeren Fleck auf der Landkarte ausgemacht. Andreas Köhler sagte zu, holte seine Frau Christina Wieland mit ins Boot, und war plötzlich Leiter eines kleinen Unternehmens mit mehreren Angestellten. Dabei konnte er jedoch auf eine gewachsene Infrastruktur zurückgreifen: In der Südendstraße betreibt Köhler seit 2002 ein Tonstudio, in dem er mit seinem One-Man-Betrieb „Comtune“ Musik für Filme, Werbung und Software komponierte und produzierte. Statt den Sounds von Synthies und akustischen Instrumenten werden dort jetzt aber Sprachaufnahmen realisiert.

Über dürftige Filmsynchros hat sich bestimmt schon jeder einmal aufgeregt. Wenn die Lippenbewegungen so gar nicht mit dem Gehörten übereinstimmen, schwindet der cineastische Genuss. Über die Jahrzehnte hat sich dieses Metier aber professionalisiert und seine eigenen Spezialberufe hervorgebracht. So arbeiten für The Kitchen Germany angestellte und freie Synchron-BuchautorInnen und -Regisseure. „Synchronisation ist die Kunst, eine Illusion zu erzeugen – eigentlich ein Zaubertrick. Man soll glauben, dass die Stimme zu der Person auf der Leinwand gehört. Für unsere Arbeit heißt das: Welche Vokalfolgen sind in einem Take? Wann klappen die Lippen aufeinander, wann nicht? Das ist total kreativ. Wenn man eine Minute Film in einer Stunde Arbeitszeit umschreibt, ist man gut vorangekommen.“ Es geht jedoch nicht nur um die Optik, auch die Geschichte muss funktionieren. „Das ist keine Übersetzung, sondern eine Adaption ins Deutsche“, erläutert Köhler und gibt ein Beispiel: „In Japan gibt es unterschiedliche Fluchwörter, die nur von Männern bzw. Frauen benutzt werden. In ‚Antiporno‘ vom japanischen Filmemacher Sion Sono wagt es eine Frau, das Männerwort auszusprechen. Die Sprecherin muss das dann so tun, dass diese Grenzüberschreitung rüberkommt. Als Dialogbuchautor muss man das auf dem Schirm haben.“ Und auch die Regie hat besondere Anforderungen, die an Hörspielarbeit erinnert. „Das ist eine entscheidende und verantwortungsvolle Aufgabe und hat nichts mit Lippen oder Aussprache zu tun, sondern mit dem Ausdruck“, weiß Andreas Köhler. Die Synchro darf nicht abgelesen klingen, muss glaubhaft rüberkommen. Die Regie kitzelt dabei die nötigen Quäntchen an Emotionen oder Humor aus der Stimme heraus.

Los ging's für Andreas Köhler und sein Team mit indischen Bollywood-Serien, die in Deutschland etabliert werden sollten. 400 Filmminuten wöchentlich wurden damals in der Kitchen umgesetzt, drei Studios liefen von Montag bis Samstag nonstop. Früh kamen auch Kinderserien hinzu, etwa „Miffy“, das Zeichentrick-Häschen mit dem gekreuzten Mund vom niederländischen Künstler Dick Bruna. Hierfür wurden 52 Episoden mit Kindern aufgenommen. „Das ist echt schön geworden“, erinnert sich Köhler. Ein besonderes Projekt war das Spielfilm-Drama „Hope“ von der norwegischen Regisseurin Maria Sødahl mit dem schwedischen Filmstar Stellan Skarsgård in einer Hauptrolle. Der Film lief auf der „Berlinale“ und wurde sogar auf die Shortlist für die „Oscars“ gesetzt. Die deutsche Synchronisation wurde in der Karlsruher Südweststadt produziert.

Die Profession als umgelernter Synchro-Koch ist die neueste von vielen Stationen in der Laufbahn Andreas Köhlers. Dem Cello-Studium folgten Engagements in Solo- und Ensemblekonzerten und mit dem SWR Symphonieorchester. Parallel dazu tüftelte der Musiker bereits seit den 80ern mit Synthesizern und Drummachines und veröffentlichte Techno- und Trance-Platten auf den Labels von Sven Väth (Harthouse) und Laurent Garnier (F-Communications). Später kollaborierte Köhler mit Shahrokh Dini auf Compost Records, bis er 2018 seine analogen Gerätschaften, von 303 bis 808, als Solo-Liveact „Sound Of K“ auf der „Fest“-Bühne, in der Fettschmelze und im Erdbeermund wieder auspackte. Mit Hilary Koob-Sassen bildete Köhler das experimentelle Kunst- und Musikprojekt The Errorists und bespielte damit Galerien und Festivals europaweit. Und bereits 1999, also lange vor der Ubiquität von Software wie „Ableton Live“, etablierte Andreas Köhler eine Workshop-Reihe für elektronische Musikproduktion am ZKM, die er lange Zeit mit dem Musiker und Szenografen Hendrik Vogel leitete.

Als Einzelheld geht der gebürtige Speyerer mit dieser eigensinnigen Bio locker durch. Im Gespräch betont er aber, wie wichtig ihm die Teamarbeit in The Kitchen Germany ist. Andreas Köhler zählt auf sein Team aus Angestellten und Freelancern in Text, Ton und Technik. Dazu kommen die rund 200 Sprecher im Kitchen-Pool, die je nach Projekt und Rolle gecastet werden. Und natürlich Christina Wieland, mit der er jedes organisatorische und kreative Detail bespricht. „Es gab auch sehr stürmische Momente, da war es gut, dass wir uns gegenseitig stärken konnten.“ Gute Synchronisation beschränkt sich eben weder auf Muskelübungen noch auf die Filmleinwand. -fd


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