10. Karlsruher Stummfilmtage
Kino & Film // Artikel vom 24.02.2012
Im Gegensatz zu einem der berühmtesten deutschen Regisseure, vor dessen Werk sich die Kritiker erst spät verneigt haben, sind die „Karlsruher Stummfilmtage“ innerhalb einer Dekade von der Wochenendvorführung zum anerkannten Festival erwachsen.
Mit dem künstlerischen Leiter Josef K. Jünger und Stefanie Tieste vom Organisationsteam des veranstaltenden Vereins Déjà Vu sprach INKA-Redakteur Patrick Wurster über Jubiläum und Programm, das sich bei der zehnten Auflage „Fritz Lang und seinen Stars“ widmet.
INKA: Auffällig ist nicht nur das Fehlen des großen „Metropolis“, bei einigen Filmen war Fritz Lang gar nicht beteiligt. Wie ist das Programm konzipiert?
Josef K. Jünger: Während andere Festivals vielfach Filme zeigen, die jüngst restauriert wurden, setzten wir seit jeher auf ein komponiertes Themenprogramm, das Personen, Genres oder Zeitabschnitten der Stummfilmgeschichte zugewandt ist und bei dem die musikalische Vielfalt schon immer ein wichtiger Teil der Aufführung war – vom klassischen Solopianisten wie dem international renommierten Stummfilmmusiker Günter Buchwald über elektronische und improvisierte Musik bis zum großen Ensemble wie der Capella Obscura.
Stefanie Tieste: Langs Filme sind meistens mit ernsten Themen besetzt. Um auch Komödien spielen zu können, haben wir das Konzept etwas aufgebrochen und zeigen im ZKM-Medientheater neben den „Nibelungen“-Teilen „Siegfried“ (Do, 19 Uhr, Musik: Günter Buchwald & Ensemble) und „Kriemhilds Rache“ (Fr, 19.30 Uhr, Musik: Andreas Benz), „Die Spinnen“ („Der goldene See“: Sa, 14.30 Uhr, Musik: Silentones; „Das Brillantenschiff“: 17 Uhr, Musik: Frieder Egri), „Harakiri“ (Sa, 23.30 Uhr, Musik: Duo Atembogen & Percussion) und „Spione“ (So, 17 Uhr, Musik: Karlsruher Improvisationsensemble) auch Filme anderer Regisseure, deren deutsche Darsteller durch Langs Filme berühmt wurden. Brigitte Helm spielt die weibliche Hauptrolle in Georg Wilhelm Pabsts zu Zeiten der Russischen Revolution angesiedelten Drama „Die Liebe der Jeanne Ney“ (Fr, 16 Uhr, Musik: Kraus Frink Percussion, Studentenhaus). Lilian Harvey und Willy Fritsch, das beliebteste Paar des deutschen Films, begegnen uns sowohl in der Kriminalkomödie „Ihr dunkler Punkt“ (Fr, 22.15 Uhr, Musik: Capella Obscura, ZKM-Medientheater) von Johannes Guter als auch in Richard Eichbergs „Keuscher Susanne“ (Sa, 20 Uhr, Musik: Andreas Benz, Studentenhaus) nach der gleichnamigen Operette. „Metropolis“ und weitere Stummfilme Langs wie „Dr. Mabuse, der Spieler“ präsentieren wir im Anschlussprogramm 2013.
INKA: Haben Sie zum Jubiläum Neuerungen vorgenommen?
Jünger: Erstmals gespielt wird ein Filmkonzert (Sa, 21 Uhr, ZKM-Medientheater), bei dem das Kammerflimmer Kollektief mit Musik ihrer CD „Teufelskamin“ den russischen Science-Fiction „Aelita – Die Königin des Mars“ begleitet. Zum Zweiten sind wir eine Partnerschaft mit dem französischen Stummfilmfestival Anères eingegangen und haben einen Film samt dazugehöriger Musiker eingeladen: „Seventh Heaven“ (So, 20.30 Uhr, Musik: Gaël Mevel, Studentenhaus) von Frank Borzage und mit Janet Gaynor, der ersten „Oscar“-Gewinnerin der Filmgeschichte. Im Kinderprogramm (So, 11 Uhr, Studentenhaus) läuft eine der allerersten „Pinocchio“-Verfilmungen: der kolorierten italienische Stummfilm von Giulio Antamoro aus dem Jahr 1911, begleitet von Saitenwind und weiteren Kinder- und Jugendensembles des Badischen Konservatoriums.
Tieste: Mit der Volkshochschule bieten wir parallel zum Festival außerdem einen Kurs, der den Besuchern das Kino der Stummfilmzeit und insbesondere unser Programm erläutert. Fortgesetzt wird das im vergangenen Jahr gestartete „Kulinarische Kino“ (Sa, 19.30 Uhr, Studentenhaus): Zur Aufführung von „Die keusche Susanne“ wird das der heutigen Essgewohnheit ein wenig angepasste Menü der „Nibelungen“-Premierenfeier serviert, die 1924 im Berliner Adlon Hotel stattfand.
INKA: Der Schwarz-Weiß-Stummfilm ist aktuell in aller Munde. „The Artist“ hat im Januar drei „Golden Globes“ abgeräumt und gilt als Favorit für die „Oscars“. Was hat uns Stummfilm heute noch zu sagen?
Jünger: Die Stummfilmzeit war eine Epoche der Filmgeschichte, in der das Visuelle zwangsläufig im Vordergrund stand. Die Geschichte musste allein übers Bild erzählt werden, was für jeden Regisseur eine besondere künstlerische Herausforderung bedeutete. Der Übergang zum Tonfilm ging daher mit einem zehnjährigen Entwicklungsstillstand einher. Im Gegensatz zum immer mehr handlungsbetonten, mit Zwischentiteln arbeitenden amerikanischen Kino hat der deutsche Stummfilm der 20er Jahre in dieser Hinsicht die hervorragendsten Leistungen erbracht. Und es ist wichtig, an sie zu erinnern, weil viele Hollywood-Produktionen unserer Zeit nur nach Kasse schielen und nicht einmal mehr den kümmerlichsten ästhetischen Ansprüchen genügen.
INKA: Woher bekommen Sie Ihre Filmkopien?
Jünger: Während die Kinos aktuelle Filme von den diversen Verleihern erhalten, stammen unsere Filme, in der Regel 35mm-Kopien, aus Filmarchiven. Davon gibt es in fast jedem Land mehrere. Generell kann man sagen, dass die Archive hauptsächlich Filme ihres jeweiligen Landes sammeln, aufgrund der Historie besitzt jedoch jedes Archiv Filme aus aller Herren Länder. Und das macht so manche Kopie zur berühmten Stecknadel im Heuhaufen.
INKA: Sie bedienen sich für Ihre Programme aus einem mehr oder minder abgeschlossenen Fundus. Geht den „Stummfilmtagen“ irgendwann das Material aus?
Jünger: 90 Prozent aller Stummfilme gelten als verschollen. Viele sind aufgrund des verwendeten Filmmaterials Zellulosenitrat, das nicht nur leicht entzündlich ist, sondern nach langer Lagerung zu Selbstzersetzung neigt, unwiederbringlich verloren. Andere Rollen wurden so lange gespielt, bis sie sprichwörtlich am Ende waren. Aber wie das Beispiel „Metropolis“ zeigt: Aus Privatsammlungen und Archiven kommt immer mal wieder etwas zum Vorschein. Abgesehen davon hat das bedeutendste Stummfilmfestival der Welt, das „Le Giornate del Cinema Muto“ in Pordenone, den Anspruch, keinen Film ein zweites Mal zu zeigen. Und das gelingt seit über 30 Jahren.
Do-So, 1.-4.3., Studentenhaus u. ZKM; Eröffnung: Do, 19 Uhr, Studentenhaus, Karlsruhe
karlsruher-stummfilmtage.de
Nachricht 409 von 548
WEITERE KINO & FILM-ARTIKEL
15 Jahre Filmboard Karlsruhe
Kino & Film // Artikel vom 01.07.2022
Seit 2007 hat das Filmboard um Oliver Langewitz den Produktionsstandort Karlsruhe durch kontinuierliche Aufbauarbeit international salonfähig gemacht.
Weiterlesen … 15 Jahre Filmboard KarlsruheGefängnis oder Exil
Kino & Film // Artikel vom 23.06.2022
In diesem 40-minütigen Dokumentarfilm wird die Repression gegen gewählte PolitikerInnen Kurdistans in mehreren Beispielen und Zeitabschnitten beleuchtet.
Weiterlesen … Gefängnis oder Exil25. Kurz Film Tour
Kino & Film // Artikel vom 21.06.2022
Die prämierten und nominierten Filme des „Deutschen Kurzfilmpreises“ „Lola“ gehen auf Jubiläumstour.
Weiterlesen … 25. Kurz Film TourGlücksspiel & Kino: Filme, die Sie bis zum Ende in Atem halten
Kino & Film // Artikel vom 18.06.2022
Glücksspiel ist schon seit vielen Jahren faszinierend.
Weiterlesen … Glücksspiel & Kino: Filme, die Sie bis zum Ende in Atem haltenDokka 9
Kino & Film // Artikel vom 25.05.2022
Zurück auf seinem angestammten Mai-Date ist das 2021 Corona-bedingt in den September verlegte Karlsruher Dokumentarfestival.
Weiterlesen … Dokka 9Aus dem Kino und in den Stream: Wo gibt es die neuesten Filme?
Kino & Film // Artikel vom 02.05.2022
Die Streaminganbieter gehören zu den großen Gewinnern der vergangenen Jahre.
Weiterlesen … Aus dem Kino und in den Stream: Wo gibt es die neuesten Filme?The Batman: Matt Reeves’ grimmige Darstellung macht vieles anders
Kino & Film // Artikel vom 29.04.2022
In Matt Reeves’ „The Batman“ schlüpft Robert Pattinson in die Rolle von Bruce Wayne, dem dunklen Rächer.
Weiterlesen … The Batman: Matt Reeves’ grimmige Darstellung macht vieles andersThis Rain Will Never Stop
Kino & Film // Artikel vom 12.04.2022
Die mehrfach ausgezeichnete ukrainische Antikriegsdoku von Alina Gorlova nimmt mit auf eine bildgewaltige Reise durch den endlosen Kreislauf von Krieg und Frieden in der Menschheitsgeschichte.
Weiterlesen … This Rain Will Never StopDie besten Casino-Filme aller Zeiten
Kino & Film // Artikel vom 11.04.2022
Die Welt des Glücksspiels bietet Spannung, Leidenschaft und Glamour.
Weiterlesen … Die besten Casino-Filme aller Zeiten
Einen Kommentar schreiben