Dicker als Wasser
Kunst & Ausstellungen // Artikel vom 18.12.2016
Vater – Mutter – Kind, diese Konstellation zeichnet noch immer das am einfachsten denkbare Bild dessen, was wir Familie nennen.
Doch der Begriff des Familiären ist gegenwärtig starken Kräften ausgesetzt, die Veränderung, Anpassung, aber auch Vielfalt bedeuten. Familie muss angesichts sich wandelnder Realitäten neu gedacht werden – und dies geschieht sehr wohl auch aus der Perspektive zeitgenössischer Kunst. Der Parcours der Ausstellung „Dicker als Wasser. Konzepte des Familiären in der zeitgenössischen Kunst“ belegt dies in eindrucksvoller Weise.
Zunächst meint der Begriff Familie die Hausgemeinschaft, und zwar zusammen mit dem Gesinde. Erst mit dem 19. Jahrhundert etabliert sich die Kleinfamilie. In der Folge der 68er-Bewegung wird Familie dann als eine negativ konnotierte Schicksalsgemeinschaft aufgefasst, aus der es auszubrechen gilt. Nur das verspricht Freiheit, Aufbruch, das Erproben neuer Formen von Glück. Eingefahrene Rollenmuster werden über Bord geworfen und an die Stelle natürlich gewachsener Familienverbünde treten freigewählte verbindende Konstrukte.
Und heute? Was macht den Kern einer Familie aus? Ist Familie vor allem eine Sache freier Entscheidung und weniger des genetischen Zufalls? Ist Familie als erste prägende Einheit von erlebter Gemeinschaft noch der Kitt, der die Gesellschaft zusammenhält? Was, wenn die virtuelle Realität über Avatare oder Roboter den Familienverbund durch nicht-menschliche Akteure erweitert?
Die gesellschaftlichen Debatten darum sind neben Werte- und Generationenkonflikten zunehmend geprägt von der Entwicklung neuer Technologien – Stichworte sind künstliche Befruchtung oder Leihmutterschaft. Statt sich biologisch zu legitimieren, kann Familie auch als Herstellungsprozess, als doing family, bezeichnet werden. Familienangelegenheiten sind Ausdruck von Sozialstrukturen im Wandel und unterschiedlicher Vorstellungen des Zusammenlebens. Sie sind nicht nur privater, sondern häufig auch politischer Natur.
Angesichts der Regierungsbildung in den USA scheint sich eine weitere Wendung zu etablieren. Nicht nur, dass sich Familie durch einzelne Mitglieder zu einer Personengruppe wandelt, die das politische Sagen für sich reklamiert, nein, diese Personengruppe wird zudem mit Ihresgleichen verbunden, mit Vertreterinnen und Vertretern jenes einen Prozents der Bevölkerung, das aufgrund ihres ökonomischen Erfolgs für sich Macht und Deutungshoheit ableitet. Kurz: Familienbande und die Stammesbeziehungen sollten niemals die Politik bestimmen. Was aber, falls dies mehr und mehr dennoch geschieht? Vor diesem Hintergrund berührt die Ausstellung „Dicker als Wasser…“ geradezu brisante politische Entwicklungen.
Die an der Ausstellung teilnehmenden Künstler reflektieren aus der Distanz oder persönlich involviert den gegenwärtigen Status von Familie. Welche Bedeutung hat Familie angesichts globalisierter Arbeitsbedingungen und pluralisierter Lebensformen heute? Inwiefern ersetzen Netzwerke und Freunde klassische Familienstrukturen? Die namhaft bestückte Ausstellung zeigt Arbeiten von: Candice Breitz, Omer Fast, Simon Fujiwara, Badr el Hammami & Fadma Kaddouri, Nan Goldin, Verena Jaekel, Haejun Jo, Nina Katchadourian, Byung Chul Kim, Ragnar Kjartansson, Neozoon, Johannes Paul Raether, Gillian Wearing und Tobias Yves Zintel. -ps
Eröffnung: So, 18..12., 11 Uhr; bis 26.2., Villa Merkel, Esslingen
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