Morgensternen
Kunst & Ausstellungen // Artikel vom 24.09.2022
Kunst von Hanna Woll in der Neuen Fledermaus.
INKA: Hanna, liest du Bücher über Sterne?
Hanna Woll: Keine Fachbücher, aber ich bin großer Science-Fiction-Fan. Viele meiner Lieblingsbücher spielen im All. Es geht mir aber nicht darum, meine Arbeit in ferne Galaxien zu verlagern. Ich war einfach inspiriert, als ich während der Arbeit an meinem Ausstellungsprojekt von Earendel las und benannte es nach dem Stern – allerdings habe ich die nicht existente Verbform „To Earendel“ erfunden, was übersetzt so viel heißen würde wie „morgensternen“. Dadurch eröffnet sich eine zeitliche Dimension bis zum Anfang des Universums – was ich natürlich eher spielerisch meine.
INKA: Bei den ersten zwei Ausgaben der neuen Lesebühne in der Fledermaus „Poetry ohne Slam“ hingen bereits Arbeiten von dir an der Decke des Raums. Bist du damit auf die Inhalte der gelesenen Literatur eingegangen?
Woll: Bei der ersten Lesebühne war das Thema klar: Liebe. Ich habe ein paar Themenblöcke eingehangen, aber nicht illustrativ zu den Texten. Beim zweiten Mal war es im Vorhinein nicht so klar, was gelesen würde. Da habe ich mich für offenere, erratische Objekte und Skulpturen entschieden. Ich bin also nicht systematisch vorgegangen.
INKA: Funktioniert Kunst von der Decke?
Woll: Ich habe absichtlich ganz minimalistisch Dinge an der Decke und in Ecken platziert. Im Sitzen kann man das so besser betrachten als in einer Ausstellung. Da hatte ich schon mehrmals Probleme mit hängenden Installationen. Viele Leute übersehen sie oder laufen dagegen, weil sie aus ihrem Gesichtsfeld fallen. Man muss die Leute in einer Lesung aber schon drauf hinweisen, dass da etwas zu sehen ist...
Ondine Dietz: Ein Dichter in so einem kleinen Raum wie der Fledermaus fordert mit seiner Präsenz: „Schlürft mir alles von den Lippen!“ Schaut man wie ein Hans Guck-in-die-Luft nach oben, kommt das bei ihm gar nicht gut an. Es ist ein kultureller Stereotyp – oder, mit den Philosophen gesprochen: ein Dispositiv – dass man bei einer Lesung nicht nach oben schaut, so wie man im Museum nicht laut redet.
INKA: Was hat ein Blick an die Decke der Fledermaus mit einem Blick in den Sternenhimmel zu tun?
Woll: In der Bildhauerei geht es immer um ein Objekt im Raum. Das Feld von Beziehung, Verhältnis und Perspektive ist ganz wichtig. Ist das Ding oben oder unten? Steht es in der Ecke? Hängt es an der Decke? Wenn ich auf Sterne referiere, geht es mir weniger um die astronomischen Zusammenhänge, sondern eher um Räume, die viel größer sind, als ich es je in Gedanken fassen kann. Räume, die nur durch progressive menschliche Technik zu erkennen sind.
INKA: Ondine, was bringt die Zukunft in die Fledermaus?
Dietz: Anfang September bringe ich die Lesebühne zu „Toujours Kultur“, wo wir mit Circus 3000 die Fleischmarkthalle mit einem Projekt zum Thema Müll bespielen. Auf der Lesebühne wird es um gedanklichen Müll gehen – also um all das, was dir durch den Kopf geht, wenn du nicht gerade Zen-Buddhist bist. Außerdem haben wir in den kommenden Monaten ein andauerndes Projekt zum Thema „Zensur“ in der Fledermaus. Mehrere KünstlerInnen werden daran arbeiten und sich u.a. der Frage nach der Selbstzensur widmen, also warum sie bestimmte Projektideen niemals umgesetzt oder vollendet haben. -fd
Hanna Woll: Population III, Karlsruhe, Eröffnung: Sa, 24.9., 19 Uhr, Die neue Fledermaus, bis 2.10.
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