Stahl und Dornen
Kunst & Ausstellungen // Artikel vom 14.06.2010
Ob sich so ein Raubtier auf dem Weg in die Manege fühlt?
Scheinbar ausweglos in die vorgegebene Richtung gedrängt, ausgeliefert allen feindlichen Blicken von außen? Der 100 Meter lange Stahlkorridor, den der polnische Künstler Miroslaw Balka in den altehrwürdigen Hallen der Karlsruher Kunsthalle installiert hat, führt durch acht Säle – und mündet in sich selbst. Erstmals bezieht sich der polnische Künstler, dessen Arbeiten zuletzt in der Londoner Tate Modern zu sehen waren, auf Werke historischer Kunst. Damit weckt er ungewohnte Gefühle im scheinbar vertrauten musealen Umfeld.
„Wir sehen dich“ heißt seine Ausstellung in den Räumen der Altdeutschen Meister, und wer hier wen sieht, ist die zentrale Frage: Steht man im Stahlgang, scheinen die Blicke der über 500 Jahre alten Bildfiguren auf den gefangenen Besucher gerichtet zu sein. Die farbig-leuchtenden Gemälde erzählen expressiv die Geschichte der Passion, die Geißelung, die Dornenkrönung oder die Kreuznagelung. Die Bedeutung und Zusammenhänge der biblischen Erzählungen sind uns heute längst nicht mehr so vertraut wie den Menschen im Mittelalter.
Wir begegnen ihnen nicht im sakralen Raum, sondern im sterilen Umfeld des Museums, das für uns die Kunst mehrerer Jahrhunderte leicht zugänglich auf neutraler Fläche entlang reiht. Der Stahlgang von Balka stört dieses gewohnte Wahrnehmungsumfeld und zeigt gleichzeitig, dass unser gewohntes Sehverhalten so normal gar nicht ist. Verlässt der Besucher den Käfig oder passiert einen der Ausgänge, strömt ihm kalte Luft von oben entgegen, begleitet von einem irritierenden Motorengeräusch. Das stört!
Und das soll es auch, markiert dieser Übergang doch die Grenze zwischen zwei Seh- und Bildwelten. Endlich draußen blickt man mit einem neuen Blick auf diese Schätze der Sammlung, „wie mit gewaschenen Augen“, so beschreibt Gastkurator Julian Heynen das neue Seherlebnis. Neben Balkas Stahlskulptur „223x4127x950“ inmitten von 162 Werken spätmittelalterlicher Künstler sind zwei Videoarbeiten des Künstlers zu sehen („BlueGasEyes“ und „The Fall“).
Direktorin Pia Müller-Tamm sieht die erste Ausstellung unter ihrer Regie als Beginn einer neuen Auseinandersetzung mit der Sammlung der Kunsthalle. Sie will auch in Zukunft zeitgenössische Künstler und deren Kunst ins Haus holen. -us
www.kunsthalle-karlsruhe.de
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