(Un)endliche Ressourcen?: Kunst über Verwendung & Verschwendung

Kunst & Ausstellungen // Artikel vom 22.05.2020

„Wir konsumieren uns zu Tode“ benannten Heike Holdinghausen und Armin Reller 2011 ihr wirtschaftskritisches Buch.

– und hatten bislang keinen Anlass, den Titel zu ändern. Auch die Kunst hat sich in den letzten Jahrzehnten viel mit der Umwelt und ihrer Belastung, mit fossilen Ressourcen und menschengemachtem Abfall beschäftigt. Müll und Rohstoffe können zum Material künstlerischer Arbeit werden, die Kunst auf Probleme aufmerksam machen. Das zeigen Arbeiten von rund 20 KünstlerInnen, von Joseph Beuys über Alicja Kwade bis Sigmar Polke in der Städtischen Galerie Karlsruhe, die jetzt wiedereröffnet wurde. Mal direkt, mal diskret sehen sich die „(Un)endliche Ressourcen?“-Besucher in den „Künstlerischen Positionen seit 1980“ mit Auswirkungen menschlichen Handelns auf unseren Lebensraum konfrontiert. Eine dieser Positionen stammt vom Karlsruher Künstler und Designer Markus Jäger, der die Schau als Aussteller und Besucher gleichermaßen kennt und den INKA-Autorin Janine Hack im Rahmen ihrer Ausstellungsrezension getroffen hat.

Wie behandeln wir die Umwelt, wie nehmen wir sie wahr? Und nicht zuletzt: Was ist Umwelt überhaupt? Ludwig Trepl, deutscher Biologe und Fachmann für Ökologie, definierte sie als „etwas, mit dem ein Lebewesen in kausalen Beziehungen steht“. Demnach besteht unsere Umwelt auch zu Teilen aus unserem eigenen Abfall: „Wir leben ja letzten Endes auf diesem großen Haufen Müll“, kommentiert Markus Jäger. Zahlreiche Künstler machen sich diese Ressource zunutze. Es entstehen einzigartige Stücke, die auch die Frage nach Entsorgung und Recycling der Materialien im Alltag aufwerfen. Julian Charrière (Metamorphism) und Nina Canell (Shedding Sheaths) beschäftigt z.B. die (Um)wandlungsfähigkeit von Materialien. Hier wirft die Kunst ganz praktische Fragen auf und begibt sich damit in die Nähe der Wissenschaft. Das Thema gibt es her; und so kann es durchaus auch Experiment verstanden werden, wenn Björn Braun einen kleinen Zebrafinken sein Nest als Kunstwerk bauen lässt. Auch Jäger ist der Ansicht, dass man Kunst und Wissenschaft durchaus vermengen kann, damit sie sich gegenseitig bereichern: „recycling-world.eu“, ein Kunstprojekt, das er zusammen mit dem 2018 verstorbenen Karlsruher Fotografen Bernhard „Onuk“ Schmitt geschaffen hat, ist in diesem Sinne eine Dokumentation des heutigen menschlichen Handelns. Mit seinen augenfälligen Motiven gestaltete das Duo 2015 auch Cover und Rubrikenseiten des damals noch kreisrunden INKA Cityguides Einzelhelden.

Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass das Vermengen von Kunst und Wissenschaft einst der Normalfall war. Beide warnen schon seit Jahrzehnten vor den Folgen des schnellen Konsums. Klara Lidén zeigt ein Objet trouvé, ein Fundstück, das vom immer und überall anfallenden Abfall erzählt. Was zuerst schmunzeln lässt, regt auch zu stirnrunzelndem Nachdenken an: über Verantwortung und Verpackungsmüll und – mit Schrecken – über die Normalität, die wir angesichts allgegenwärtiger Mülleimer empfinden. Bei Tony Cragg findet sich ebenfalls alltägliches in seiner realen, plastischen Form. Er machte mit „Axe Head“ bereits in den 80ern auf Plastikmüll in den Meeren aufmerksam. Erst heute, 2020, entwickeln Wissenschaftler an der TU München erste Tools, um Nanopartikel lokalisieren und aus Wasser herausfiltern zu können.
Einen neuen, medialen Ansatz haben Schmitt und Jäger verfolgt: keine Rahmen, kein Druck, kein Müll – das war ihre ursprüngliche Idee, als sie damit begonnen haben, vorsortiertes Material vom Karlsruher Recyclinghof abzulichten. Als Jäger ihm das Projekt vorschlug, sagte der studierte Historiker und stadtbekannte Fotograf spontan zu (Abb.: relikte_ALU_2012/VG Bild-Kunst, Bonn 2020). Die einzelnen Müllstücke haben sie in einem weiteren, digitalen Schritt zu detaillierten, kreisrunden Mosaiken auf weißem Hintergrund collagiert. Zwei dieser Werke, „Relikte Alu“ und „Relikte Stahl“, sind nun trotzdem als real greifbare, gerahmte Bilder in der Städtischen Galerie zu sehen. Sie dokumentieren die Nachhaltigkeit und Langlebigkeit alltäglicher Artikel. Man erkennt viele der dargestellten Abfälle und identifiziert sich so mit dem damit verbundenen Konsum. Auch während des Schaffensprozesses sei das so gewesen, die Arbeit am Recyclinghof habe einen bleibenden Eindruck hinterlassen, sagt Jäger: „Die einzige Lösung, die ich sehe, ist weniger zu verbrauchen. Und natürlich macht man dabei Fehler, du kannst nicht alles zu 100 Prozent richtig machen. Aber darüber nachzudenken, ist schon mal ein guter Anfang!“ Die kreisförmig angeordneten Bilder wirken dann auf den ersten Blick als Gesamtkomposition sehr harmonisch, „aber die Details sind ja ziemlich schräg, dreckig, unharmonisch, disparat. In der Masse übersieht man den Müll gerne.“

Auch Joseph Beuys ist natürlich vertreten: Er machte mit „Rhein Water Polluted“ Anfang der 80er auf die Industrieabfälle im Rhein aufmerksam. Was einst eine Warnung war, kann heute als Hoffnungsschimmer gelten. Im Rhein schwimmen wieder Fische, eine Entwicklung, die von Protesten der Bevölkerung angestoßen wurde. Und von der Kunst. Beuys war Mitgründer der Grünen. Dass Natur eine endliche Ressource ist, wird auch bei Roni Horns Island-Fotografien „Hot Water Suite (1)“ deutlich, die das Land zwischen karger Wildnis und massentouristischen Schwimmbecken porträtieren und den menschlichen Einfluss dabei deutlich aufzeigen.

Weniger um den Menschen, sondern vielmehr um die Natur und ihre Begabung, sich an Veränderungen anzupassen, geht es Björn Braun und Krištof Kintera. Beide haben multimediale, aufwendige Werke geschaffen: Braun geht dabei auf die Tierwelt, Kintera auf die Flora ein, der Mensch bleibt als Störfaktor außen vor – und stört am Ende vielleicht nur sich selbst? Denn Umwelt gibt es immer, nur nicht unbedingt für uns. Dieser Blick auf unseren Lebensraum ist ungewöhnlich, überraschend und längst nicht der einzige Gedanke hinter diesen Werken: Kintera baut mit „Postnaturalia“ eine Fabriklandschaft in Miniatur und lässt einen riesigen Baum daraus emporwachsen. Was vielleicht ein Ausdruck von Lebenskraft ist, kann auch ganz nüchtern als Folge eines erhöhten CO2-Anteils in der Erdatmosphäre gesehen werden. Der Baum ist eins von vielen Elementen, die Kintera aus Elektroschrott zaubert. Allerlei organische Formen, Schwämme, Lianen, Blumen, Wolken sind verwoben mit den Überresten einer menschlichen Zivilisation und nehmen bei Kintera gewaltigen Raum ein. Einen verrückten Typen nennt ihn Markus Jäger mit Bewunderung.

Auch andere Werke aus recyceltem Material weisen überraschend natürliche Strukturen auf: Die aus Glasfaserkabelhüllen bestehenden „Shedding Sheaths“ von Nina Canell lassen noch erahnen, woraus sie gefertigt sind, dennoch muss man unwillkürlich an Schlangen oder gar die Exkremente eines Regenwurms denken. Auch andere Künstler machen sich die Täuschung zunutze: Alicja Kwade („Kohle“, „02.12.2013, 15:59“) spielt mit dem Wert verschiedener Rohstoffe und lässt dabei Humor durchblicken. Den findet man auch bei Georg Herolds „Fossilem Gold“. Sigmar Polke zeigt fotografisch einen trügerischen Goldglanz. Was uns vor die ernsthafte Frage stellt, woran wir Wert messen wollen. „Charrière (52°29’54.7’’N 13°22’18.1’’E)“ und „Greenfort (Urea IX/XII)“ laden zu Perspektivwechseln ein und fordern unsere Wahrnehmung von Schönheit und Natur heraus. Agnes Märkel zeigt in „Letzte Ressourcen“ (Abb.: Detail, 2015, VG Bild-Kunst, Bonn 2020 Foto: Heinz Pelz) Waldbrände, Naturkatastrophen und menschliche Einflüsse auf die Natur in Form eines abgesägten Baumstumpfes in Collage mit Schlachten von Zinnsoldaten. Was düster klingt, mutet dank mitunter verschwommener Kreidezeichnungen interessant und schön an. So findet ein gewisser Optimismus in der Ausstellung Platz. Michael Beutler formt mit Altpapier gestopfte Würste zu seinem kleinen bunten „Wursthaus“; schaut man zum Fenster hinein, erwartet man beinah spielende Kinder im Inneren. Eine andere Form von Leichtigkeit schafft Nándor Angstenberger mit „Atlas Futur“. Unwirkliche Wolken und Schlösser sowie eine Vermischung von Architektur und Relief verzücken den Betrachter. Das Weiß und die vielfältigen Recycling-Materialien wirken futuristisch, geradezu funktional. Erkundungen von Nah und Fern versetzen in andauerndes Staunen. Nun stellt sich die Frage, ob diese Schönheit und das Spielerische dem schwer verdaulichen Thema überhaupt gerecht werden, oder ob sie es nur verniedlichen. Hilft es am Ende nur dem eigenen Gewissen, hässliche Müllberge zu ästhetisieren, sie zu Blumen, Wolken oder bunten Häuschen zu stilisieren? Nicht nur Markus Jäger widerspricht. Denn „(Un)endliche Ressourcen?“ bewegt sich zwischen Wunsch und Warnung; einem starken Gegensatz, der zu Vielschichtigkeit führt. So liefert die Schau Denkanstöße für alle, Künstler wie Besucher, immer mit dem Blick auf die Probleme unserer Zeit. -jh

KünstlerInnen-Liste
Nándor Angstenberger, Bernd und Hilla Becher, Michael Beutler, Joseph Beuys, Björn Braun, Nina Canell, Julian Charrière, Tony Cragg, Tue Greenfort, Andreas Gursky, Georg Herold, Roni Horn, Markus Jäger/Onuk, Krištof Kintera, Susanne Kriemann, Alicja Kwade, Klara Lidén, Agnes Märkel, Marlie Mul, Sigmar Polke, Klaus Rinke, Lois Weinberger

Seit 6.5. ist die Städtische Galerie Karlsruhe nach fast zweimonatiger Schließung wieder für das Publikum geöffnet. Zunächst ist das Erdgeschoss mit der großen Sonderausstellung „(Un)endliche Ressourcen?“ zugänglich, deren Vernissage nur wenige Tage vor dem Corona-Shutdown stattgefunden hatte. Seit 9.5. können auch die weiteren Präsentationen in den Obergeschossen besucht werden. Die Ausstellung „Florian Köhler. Tschau Agip“ im ersten OG wird bis zum 12.7. verlängert. Die Schau „Peter Ackermann – Verrätselte Architekturen 1965-1999“, deren Eröffnung für Ende April geplant war, musste wegen der Pandemie kurzfristig verschoben werden. Sie ist nun seit 13.5. im zweiten OG der Galerie zu sehen. Die Ausstellung der Hanna-Nagel-Preisträgerin 2020 „Peco Kawashima. Encounters“ wurde hingegen um ein ganzes Jahr in den Mai 2021 verlegt. Veranstaltungen, Führungen, die Kinderwerkstatt am Sonntag oder die Museumsnachmittage für Eltern und Kinder können aufgrund des Infektionsrisikos aktuell nicht stattfinden. Zum Schutz der Besucher unterliegt die Öffnung zudem einigen Auflagen: So dürfen sich nicht mehr als 50 Personen gleichzeitig in den Ausstellungsräumen aufhalten und das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung ist obligatorisch. Aus diesem Grund ist der Eintritt in die Städtische Galerie kostenlos.

verlängert bis 4.10., Mi-Fr 10-18 Uhr, Sa+So 11-18 Uhr, Städtische Galerie Karlsruhe, Eintritt frei
www.staedtische-galerie.de

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