Ästhetik der Fossilien: „The Beauty Of Early Life“
Kunst & Ausstellungen // Artikel vom 10.07.2022

In China werden jahrmillionenalte Fossilien zu Fliesen verarbeitet.
Ihre Farben und Strukturen sind ein Hingucker. Fossilien haben ihren ästhetischen Reiz. Die gemeinsame Ausstellung von Naturkundemuseum und ZKM „The Beauty Of Early Life“ bringt aktuelle Erkenntnisse über die Entstehung des Lebens auf der Erde mit künstlerischen Werken zusammen. Friedemann Dupelius sprach darüber mit dem Kurator und Direktor des Karlsruher Naturkundemuseums Prof. Dr. Norbert Lenz.
INKA: Wie kam es zu dieser Ausstellung und der Kooperation mit dem ZKM?
Norbert Lenz: Mit Peter Weibel, dem künstlerisch-wissenschaftlichen Vorstand des ZKM, kam ich in engeren Kontakt, nachdem er in einem offenen Brief die Thematik der für die U-Strab geplanten Arbeit von Markus Lüpertz moniert hatte. Die biblische Schöpfungsgeschichte passte für ihn nicht zu Karlsruhe, das sich als technik- und zukunftsorientierte Stadt gibt. Damit hat Peter Weibel bei mir natürlich offene Türen eingerannt. Mit der gemeinsamen Ausstellung wollen wir zeigen, dass das sogenannte „Darwinsche Dilemma“ durch die Forschung aufgelöst werden konnte. 1859 präsentierte Charles Darwin seine Evolutionstheorie, doch konnte er sie nicht mit Fossilien belegen, die für die Frühzeit des Lebens stehen. Doch inzwischen hat man solche Fossilien auf allen Erdteilen gefunden. Sie sind allerdings kaum bekannt und zudem erklärungsbedürftig. Parallel dazu konnte ich verfolgen, dass archaische Lebensformen auch zunehmend ein Thema für zeitgenössische KünstlerInnen sind. Diese Fossilien aus der Frühzeit der Erde bringen wir in der Ausstellung mit Kunst von der Klassischen Moderne bis zur Medienkunst zusammen. Sie erzählt, wie der Planet Erde und Schritt für Schritt seine Lebensformen entstanden sind.
INKA: Wie können sich Kunst und Naturwissenschaft befruchten? Was kann die Kunst aus der Wissenschaft herauskitzeln?
Lenz: Ein gutes Beispiel ist die Installation „Living Rocks“ von James Darling und Lesley Forwood. Sie befasst sich mit Stromatholiten, biogenen Gesteinen, die es früher auf allen Kontinenten gab und die durch den Stoffwechsel früher Mikroorganismen entstanden sind. Heute kommen sie fast nur noch in Australien vor. Stromatolithe mit einem Alter von bis zu 3,5 Mrd. Jahren sind Exponate im naturwissenschaftlichen Teil der Ausstellung. Die Installation von Darling und Forwood bereitet das nochmal ganz anders auf. Sie macht durch Visualisierungen und Klänge deutlich, dass die Erde über eine Mrd. Jahre lang von extraterrestrischen Körpern bombardiert wurde. Erst als sich das beruhigt hatte, konnten erste Lebensformen entstehen. Allein in ihrer Größendimension, aber auch durch ihren sinnlichen Zugriff kann dieses Kunstwerk das Publikum auf eine ganz andere Art und Weise ansprechen. Sie motiviert, sich dann auch mit einem „toten“ Fossil in einer Vitrine genauer zu befassen.
INKA: Was kann uns die Erdgeschichte dabei lehren, mit der aktuellen Klimakrise umzugehen?
Lenz: Die paläontologische Forschung zeigt uns, dass es im Lauf der Erdgeschichte schon verschiedene Aussterbe-Ereignisse gegeben hat. In der Ausstellung beschränken wir uns auf die Frühgeschichte der Erde bis zum ersten großen Massenaussterben am Ende des Ordoviziums. Dieses nehmen wir zum Anlass, auf die heutige Gefährdung der Natur hinzuweisen. Weltweit, auch in Deutschland, sind viele Tier- und Pflanzenarten gefährdet oder bereits ausgestorben. Das kann auch für unsere Spezies gefährlich werden, wenn Nahrungsketten und ökologische Gefüge ins Wanken kommen. Auch wenn die Exponate aus fernen Zeiten stammen, ist das Thema Aussterben sehr aktuell. Es ist absurd, dass wir uns nun mit einem Krieg auseinandersetzen müssen, der – abgesehen vom Leid vieler Menschen – für noch mehr Umweltzerstörung sorgt.
INKA: Die Ausstellung zeigt auch Exponate aus dem Ediacarium, einer Periode in der Erdgeschichte, in der es noch keine räuberischen Lebewesen gab. Warum blieb das nicht so? Es wäre doch alles viel friedlicher...
Lenz: Wenn in der Natur eine Ressource vorhanden ist, wird sie früher oder später identifiziert und genutzt. Das ist ein Grundprinzip und eine wichtige Triebfeder der Evolution. Im Kambrium entstanden erste räuberische Organismen. Andere Lebewesen entwickelten eine feste Außenhaut, um sich besser zu schützen. Ihre Jäger reagierten darauf u.a. mit neuen Mundwerkzeugen. Doch immer wieder kommt es auch zu Aussterbe-Ereignissen. An deren Ende bleiben Ressourcen übrig, die nicht mehr genutzt werden und neue Organismen entstehen. Das Leben auf der Erde wird sicher noch viele Mio. Jahre weitergehen. Ob es mit unserer Spezies weitergeht, entscheiden wir nicht zuletzt selbst dadurch, wie wir mit unserer Umwelt umgehen.
bis 10.7., ZKM-Lichthof 8+9, Karlsruhe
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