Das Änderungsatelier: Zwischen Kunst & Komik
Kunst & Design // Artikel vom 05.04.2021
Roter Anzug, Zollstock, breites Grinsen.
So kennt man Georg „Schorsch“ Schweitzer seit bald 40 Bühnenjahren. 1984 von Trier nach Karlsruhe gekommen, studiert er zunächst an der Kunstakademie, schließt als Meisterschüler ab und etabliert sich gleichzeitig als Komiker. So erhält er ’94 sowohl das Stipendium der Kunststiftung Ba-Wü als auch den „Kleinkunstpreis“ des Landes in der Sparte Clownerie. Der erste Platz „geht an ein Gesamtkunstwerk!“ heißt es damals in der Laudatio. Denn der „maßvoll anmaßende“ Spaßmacher ist nur eine Facette des durchaus ernsten Künstlerdasein.
Im Installationskunstduo Das Änderungsatelier (Motto: „Wir verändern Ihr Leben“) werden gewöhnliche Alltagsgegenstände zu hintergründig-humorvollen, ironischen Kunststücken – „und zwar oft so groß, dass man sie eigentlich gar nicht verkaufen kann“, wie Schweitzer schmunzelnd einräumt. Etwa ein Schrebergartenhaus, in das ein Interview mit einem Hobbygärtner eingefräst ist; ein Mercedes 190 in Originalgröße aus 500.000 verleimten und in schachbrettartiger Musterung angeordneten Streichhölzern; oder die anlässlich des 50. Fluxus-Jubiläumsjahres im Nassauischen Kunstverein Wiesbaden errichtete schwarze Blockbohlensauna, die einer muslimischen Kaaba gleichend außen mit freizügigen christlichen Motiven verziert ist und im Inneren die zehn Gebote trägt. Seine Partnerin hat er – wie sollte es anders sein – bei einer Vorstellung in Kassel kennenlernt.
„Mit der Zeit konnte die Kunst immer mehr Raum einnehmen, weil der Komiker das Geld rangeschafft hat.“ Durch Corona ist aber auch der Clown zu einem traurigen Vertreter seiner Zunft geworden: „Was das Publikum und die Gagen angeht, rutschen wir Künstler gerade zurück in die 80er – alles ist weniger geworden, man ist froh, überhaupt auftreten zu können und lässt sich auf neue, experimentelle und komische Formate ein. Normalerweise kommen die meisten meiner Jobs aus der Industrie, wo ich in geschlossenen Gesellschaften als Moderator und Komiker auftrete. Das kann derzeit alles nicht stattfinden“, so Schweitzer.
Eine weitgehend geschlossene Veranstaltung ist auch die im Oktober 2020 eröffnete „Volle Kanne Kunst“-Ausstellung in der Jungen Kunsthalle: Das Änderungsatelier hat eine vergnüglich-kuriose Entdeckungsinstallation rund um die Gießkanne entwickelt. Die Idee, aus den Bewässerungsgeräten Kunstwerke zu kreieren, entsteht schon vor etlichen Jahren beim „absurden Anblick einer Friedhofsgießkannensammelstelle“; und so recken die grünen Kannen mit ihren neu gewonnenen menschlichen und tierischen Zügen im Juku-Erdgeschoss und -Treppenhaus nach dem Ummodellieren die Hälse, versinken im Boden, marschieren die Wände hoch, verschlingen sich ineinander, stehen auf zwei und mehr Beinen oder schweben durch den Raum. Karlsruher Kulturakteure wie Schauspielerin Doris Batzler, Chanteuse Annette Postel, Musikkabarettist Gunzi Heil oder Tausendsassa Martin Wacker verleihen Giessela, Kanna Karuso, Kannja und Giessbert auf coronasicheren Fußdruck hin eine Stimme. Dass dabei eifrig und hintersinnigst Kunstgeschichte und allen voran Marcel Duchamps „Readymades“ zitiert wird, erfreut wiederum die erwachsenen Ausstellungsbesucher. „Für mich sind künstlerische Arbeiten auch eine Art von Dienstleistung. Das Änderungsatelier nennt es Gestaltungsvorschläge und die sind demzufolge nicht klassisch-verklärt betitelt – wie beim ‚Gestaltungsvorschlag XIV: Bauen Sie sich schöne Dinge aus Gartengießkannen!‘. Meine Frau fungiert dabei meist als Ideengeberin, ich setze um – so ergänzen wir uns hervorragend!“
Und dann gibt es da noch Schweitzers Alter Ego Hans Wurst, von dem er sich „aus Angst vor Attentaten“ schon bei der 94er Karlsruher Oberbürgermeister-Kandidatur vertreten lässt, wenn er seine nicht zufällig an die 14 Kreuzweg-Stationen erinnernden „Redetage an die Vergessenen“ hält. Und zwar auf Wahllistenplatz zwei gleich nach dem Amtsinhaber und späteren Wahlsieger Gerhard Seiler. Schweitzer bekommt immerhin 0,6 Prozent der Stimmen, aber darum geht es dem klugen Kopf hinter der Biedermannmaske natürlich nicht. Eine Kunstaktion ja, aber keine reine Spaßveranstaltung: „Nehmen Sie mich ernst“, mahnt schon seinerzeit das Wahlplakat mit Strichmännchenkonterfei. Oder wie es sein Doppelgänger ausdrückt: „Ich bin wie jeder Mann und jede Frau. Ich bin das Volk. Ich bin eine Pfeife.“ -pat
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