Die Welt von oben

Kunst & Ausstellungen // Artikel vom 12.12.2019

Zu ihrer Zeit war sie ein Star.

Als erste deutsche Fliegerin erhielt Melli Beese 1911 als 25-Jährige den Flugschein mit der Nummer 115. Das war nicht so einfach, die meisten männlichen Piloten und Fluglehrer akzeptierten sie nicht, eine Frau als Fliegerin war für sie nicht hinnehmbar. Solche Vorurteile kannte Beese allerdings schon: Weil sie Bildhauerin werden wollte, ging sie 1906 an die Königliche Akademie der Freien Künste in Stockholm, wo Frauen zum Studium zugelassen waren – in Deutschland erst 1919. 1908 gewann sie mit einer ihrer Skulpturen den Preis der Akademie. In Dresden lernte sie fliegen, gewann auch hier viele Preise, gründete 1912 eine eigene Flugschule und konstruierte auch Flugzeuge.

Das Museum LA 8 zeigt „Die Welt von oben“, den „Traum vom Fliegen“ in einer profunden, spannenden und materialreichen Ausstellung. Zu sehen sind auch einzelne Blätter mit Fotos und Berichten über diese Heldin der Emanzipation, oft mit Flugzeug, Helm und Fliegerbrille, die ein begeistertes Mädchen damals aus Zeitungen und Illustrierten ausgeschnitten und penibel gesammelt hat. Frauen waren selten unter den Fliegern, es gab bis zum Ersten Weltkrieg 817 Männer und nur drei Frauen. Geträumt haben die Menschen schon immer vom Fliegen: Ovid erzählt von Dädalus und Ikarus, Mythen von Engeln und Göttern, Hermes und Pegasus, in christlichen Legenden wird von Himmelfahrten berichtet. Im Jahr 1783 fuhren de Rozier und die Gebrüder Montgolfier zum ersten Mal mit einem Ballon – damit war der Traum Wirklichkeit geworden. Und regte die Fantasie der Künstler im 19. Jahrhundert kräftig an: In der Ausstellung beginnt der Bilderreigen mit Goyas geheimnisvollem Zyklus „Los Caprichos“, Radierungen zwischen Albtraum und Philosophie.

Bei Caspar David Friedrich, Hans Thoma, Georg Kolbe, Max Klinger oder Arnold Böcklin ist eher das Gefühl des Erhabenseins, des Herausgehobenseins aus der irdischen Schwere zu finden, mit neuen, interessanten Bildperspektiven. Auch Otto Lilienthals Meisterleistung, einen lenkbaren Gleitflieger zu konstruieren und damit ab 1891 zu fliegen, ließ die Künstler nicht unberührt: Der Bildhauer Georg Kolbe ließ sich, wie Melli Beese, zum Flieger ausbilden und studierte in seinen Skulpturen die Schwerelosigkeit des Tanzes. Arnold Böcklin versuchte sich sogar an Konstruktionen, mehr als fluguntaugliche Kisten kamen dabei allerdings nicht heraus. Und Lilienthal, der übrigens auch Kinderspielzeug erfand, aquarellierte die einzelnen Flugphasen der Störche – seine Vorbilder für den Gleitflieger. Abgebildet sind sie im gleichen Buch wie seine peniblen physikalischen Berechnungen, die noch heute für alle Flugzeuge gelten, selbst für die schweren Jumbo-Jets.

Zu sehen ist in der Ausstellung viel anregendes Material, prächtige Fotos von Lilienthals Flügen und originale aerodynamische Berechnungen, Werbung für den Zeppelinflughafen in Baden-Baden, eine Fülle von Gemälden und Grafiken und auch ein abgebrochener Propellerflügel: Robert Martin Eltner krachte mit seinem Flugzeug in ein Haus, stieg aus und machte zuerst ein Foto der Verwüstung. Das absolute Prunkstück ist ein Nachbau von Lilienthals Fluggerät, der an der Decke hängt – es fliegt noch heute. -gepa

„Die Welt von oben – der Traum vom Fliegen“, Museum für Kunst und Technik des 19. Jahrhunderts LA 8, Baden-Baden, bis 1.3.

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