Die ZKM-Ausstellungen im Überblick

Kunst & Ausstellungen // Artikel vom 15.12.2016

Der Ausstellungsreigen im ZKM hat wieder mit aller Macht Fahrt aufgenommen.

Im Wochenrhythmus wurden neue Ausstellungen eröffnet, die neuerlich zeigen, dass das ZKM als querdenkende Institution unverzichtbar ist. Das macht sich gerade bei „Kunst in Europa 1945-1968“ aufs Eindrücklichste bemerkbar, denn die Schau zeigt, dass die legendäre „Stunde Null“ – von den Historikern längst widerlegt – auch im Bereich der Bildenden Kunst Fiktion ist. Jene Künstler, die sich in der direkten Nachkriegszeit mit den Resultaten von Nationalsozialismus und Faschismus auseinandersetzten und der Frage nachgingen, ob Kunst überhaupt möglich sei im Angesicht der unfassbaren Gräueltaten, hatten eine gemeinsame Vorgeschichte. Außerdem war erst 1961 mit dem Mauerbau die Grenze zwischen Ost und West hermetisch abgeriegelt, hatte der Kalte Krieg und die Blockbildung eine visuelle Entsprechung erhalten. Vorher war der Grenzgang, wenn auch mit Schwierigkeiten, noch eher möglich – man denke an Richter, Polke, Baselitz oder Lüpertz, die allesamt aus der jungen DDR flüchteten.

Aber es geht nicht nur um Deutschland, sondern um Europa im Gesamten. Auf eineinhalb Geschossen und in insgesamt sechs Bereichen widerlegt die Ausstellung das Verdikt, dass im Westen die Avantgarde stattgefunden hätte, während im Osten mit dem sozialistischen Realismus nur staatstragende Kunst geschaffen worden sei. Dabei gibt es etliche Aha-Effekte, die aber bei rund 600 Kunstwerken erst einmal entdeckt werden müssen. Zahlreiche Kunstformen, die nach 1945 entstanden sind, haben ihre Ursprünge in Europa oder sind als Parallelentwicklung sowohl in West- und Osteuropa, den USA und Russland nachweisbar, und die Ausstellung zeichnet eindrücklich ein Panorama des politisch zerrissenen und doch über die Staatsgrenzen hinweg sich gegenseitig befruchtenden Europa mit vergleichbaren Kunstströmungen. Es ist insofern (und damit ganz aktuell) auch eine Schau, die Hoffnung für das Projekt eines langfristig geeinten Europas macht (LH 1+2, bis 29.1.).

Mit „Albrecht Kunkel: Quest“ schließt inhaltlich daran eine durch die Becher-Schule geprägte fotografische Position an, ein Künstler, der geprägt durch seine Kindheit diesseits der Mauer seine Karriere mit der großen Frage startete, was wohl dahinter sei. „Er wollte die Welt abbilden. So vieles um ihn herum lag in Unschärfe“, meinte der Tagesspiegel im 2009 erschienenen Nachruf auf den früh Verstorbenen, dem der große Durchbruch im Kunstbetrieb nicht beschieden war. Im ZKM lassen sich jetzt seine fotografischen Forschungen zu Orten des kollektiven Gedächtnisses in einer ersten großen Werkschau besichtigen (LH 1+2, bis 23.4.). Parallel dazu eröffnet im Dezember eine zweite Ausstellung mit Fotogrammen von Floris Neusüss und Renate Heyne, bei der es um das „direkte Abbild“ geht. Das Fotogramm als experimentelles Bild zwischen Fotografie und Körper ist ein kameraloses Bild, das durch die direkte Belichtung des Objekts auf dem lichtempfindlichen Papier entsteht. Diese Eindrücke – entstanden in zahlreichen Museen – hat das Künstlerpaar unter der Frage subsummiert, wie wohl das Depot des großen Universalgelehrten Leibniz ausgesehen hätte, wenn er seine Forschungen über Artefakte hätte vermitteln wollen. „Leibniz’ Lager“ ist damit auch eine direkt-indirekte Annäherung an die Möglichkeiten des Museums als Lernort (LH 1+2, bis 5.3.).

Die Werkschau zu Frei Otto in Lichthof 8+9 entführt die Besucher in einen gänzlich eigenen Kosmos, in eine Wunderkammer des – oft, aber nicht zwingend realisierten – Experiments. Der Architekt, der sich mit seinen Bauten in den 1960er und 70er Jahren an den Grenzen des Errechenbaren bewegte und diese Grenzen zu seinen Gunsten verschob, wird mit rund 200 Modellen, einem tiefen Einblick in seine Gedankenwelt und zahlreichen Werkfotos sicht- und greifbar. Am bekanntesten sind wohl seine Zeltdachkonstruktionen für das Olympiadorf in München, die er 1972 zusammen mit Behnisch & Partner realisierte. Dass er bis zuletzt eine Mission hatte und dass das Thema ökologisches, nachhaltiges Bauen ein Leitaspekt seines Handelns war, er in Modellen „dachte“ (so auch der Titel der Ausstellung) wird auch in den zahlreichen Entwürfen für „Stuttgart 21“ deutlich, die erstmals präsentiert werden. Gemeinsam mit Ingenhoven Architects gewann Otto 1997 den Wettbewerb – auch hier arbeitete er mit einem renommierten Büro zusammen, was als wichtiger Seitenaspekt seines Schaffens zu werten ist (LH 8+9, bis 12.3.).

Frei Otto hat die „Beat Generation“, ob aktiv oder nur reflektierend, sicher als Gefühl einer Zeit miterlebt. Mit ihren Wurzeln in den 1940er Jahren kann die große Überblicksschau dazu auch als Auftakt (oder Ausblick) zu der „Europa“-Schau in Lichthof 1+2 gelesen werden, denn sie vermittelt das Zeitgefühl, das sich in neuen kulturellen Formen aller Gattungen und Genres Bahn brach und zwischen New York und San Francisco, zwischen Tanger, Paris und London zu verorten ist. Anhand dieser wechselnden geografischen Schwerpunkte zeichnet das ZKM das Gesamtbild einer Bewegung nach, zu der es mit Allen Ginsberg und William S. Burroughs ja bereits vorbereitende Einzelschauen präsentiert hat (LH 8+9, bis 30.4.).

Auch im Foyer-Bereich gibt’s viel zu entdecken, und wie immer greift deutlich zu kurz, wer die Aktivitäten des ZKM nur auf die insgesamt vier Lichthöfe beschränkt: In der Media-Lounge werden die Gewinner des Webvideopreises präsentiert, die neuerlich zeigen, dass Wissenschaft wissenschaftlich fundiert und zugleich unterhaltend und verständlich vermittelt werden kann. „Fast Forward Science“ zeigt in drei Kategorien und mit einem Spezialpreis für Jugendliche, wie spannend Forschung sein kann (Media-Lounge, bis 26.2.). Auch nach Einbruch der Dunkelheit und nachdem die Pforten geschlossen sind, lockt das ZKM mit spannenden Einblicken: Im Subraum des Kubus tummeln sich zahlreiche merkwürdige Gestalten, es ist ein Defilee der Schattenwesen, das William Kentridge in „More sweetly play the dance“ zaubert – gespenstisch in seiner Lebensgröße, irritierend, sobald Passanten daran vorbeilaufen und sich mit diesem merkwürdigen Totentanz vermischen (Subraum, bis 8.1.). -ChG

Zurück

Einen Kommentar schreiben

Bitte rechnen Sie 3 plus 8.

WEITERE KUNST & DESIGN-ARTIKEL