Weibel über Waltz

Kunst & Ausstellungen // Artikel vom 19.09.2013

Roger Waltz sprach vor der Eröffnung der Ausstellung über die international renommierte Choreografin Sasha Waltz mit ZKM-Vorstand Peter Weibel.

INKA: Sie sind in Ihrer letzten PM zitiert mit dem Satz, dass Sie sich sehr freuen, Sasha Waltz in ihre Heimatstadt zurückzuholen und sie mit dem Fokus auf ihre Arbeit als bildende Künstlerin zu ehren. Nun hat Sasha schon immer auch gemalt und gezeichnet und ist aktiv in die Gestaltung der Bühnenbilder eingebunden. Aber sie ist ja Tänzerin und Choreografin, eben 50 Jahre jung geworden und feiert in diesem Jahr Jubiläen wie das 20-jährige Bestehen ihrer Compagnie. Nun präsentiert das ZKM eine Choreografin als bildende Künstlerin? Können Sie die Gründe und die Form der Ausstellung näher erklären?
Peter Weibel: Die genannten Jubiläen sind ja nur ein Anlass. Die Ursache der Ausstellung liegt aber viel tiefer: Wer wie ich als Theoretiker die Kunst als großen Bogen beobachtet, von der Höhlenmalerei über die Renaissance bis zur Malerei des 20. Jahrhunderts, stellt fest: Dominant war stets das Bild. Parallel dazu hat sich aus Fetischen oder Holzmasken die Skulptur entwickelt, und aus dieser im 20. Jahrhundert die Objektkunst gebildet. Dann kam – seit den 1950er und 1960er Jahren – durch Fluxus, Happening und Performances die Handlung als Kunstform hinzu. Kunst besteht also nicht mehr nur aus Bildern, sondern auch aus Handlung. Die Einführung der Handlung anstelle von Objekt und Bild hat diese nicht ersetzt, aber die Akzente verschoben. Ich habe schon vor 15 Jahren geschrieben, dass auch die Skulptur quasi eine Art Handlungsform geworden ist. Sasha Waltz bildet nun nicht nur einen Mittelpunkt, sondern einen Höhepunkt dieser Bewegung. Sie hat in ihren Choreografien nicht nur Tanz oder Raumbilder geschaffen, die man anschaut und genießt, sondern ganz eindeutig lebende Tafelbilder, Handlungsplattformen entwickelt. Sie hat immer auch in der Bildenden Kunst gearbeitet, mit Installationen, Videos und Neuen Medien. Dann gibt es eine zweite Tendenz derzeit: Viele Bild-Künstler spüren diesen Hang zur Handlung und drängen nun auf die Bühne. Und viele Bühnen-Künstler möchten plötzlich ins Museum. Sasha Waltz interagiert schon lange zwischen diesen Bereichen, wie zum Beispiel mit ihren großen Aktionen in dem noch nicht eröffneten Neuen Museum Berlin oder dem Museum MAXXI in Rom: Hier wird skulpturale Bewegung zur Installation mit menschlichen Körpern, mit Medien, mit Videos, mit Musik, im leeren Museumsraum. Das ZKM ist verpflichtet, solche aktuellen Tendenzen aufzuzeigen und dem großen Publikum zu präsentieren. Und Sasha Waltz nimmt in dieser Tendenz, die ich performative Wende nennen würde (nach dem „iconic turn“), eine zentrale, führende Position ein.

INKA: Ist die Ausstellung der Versuch, diese flüchtigen skulpturalen, tänzerischen Elemente quasi einzufrieren? Singuläre Aufführungen wie die oben genannten sind ja danach quasi „weg“. Ich denke hier z.B. an den Film von der Aufführung im Neuen Museum, in dem das Material von über 10 Stunden auf 55 Minuten gekürzt wurde.
Weibel: Das ist genau der Punkt, das Ephemere, die Flüchtigkeit: Tanz ist zeitbasierte Kunst, im Museum befindet sich normalerweise zwei- bis dreidimensionale raumbasierte Kunst. Es ist die künstlerische Größe der Arbeiten von Sasha Waltz, dass sich die Grenzen zwischen Zeit und Raum auflösen – was aber auf Film oder Video nur teilweise dokumentiert werden kann. Wir drehen deshalb die Schraube etwas weiter. Man kann, wenn man eine gute künstlerische Strategie hat, raumbasierte Kunst in eine zeitbasierte verwandeln und umgekehrt. Daher starten wir die Ausstellung mit drei Performancetagen mit der Compagnie Sasha Waltz & Guests. Während dieser Tage entstehen Skulpturen und Stationen, die sich wieder auflösen. Wir zeigen die fließenden Übergänge, aber auch, wie diese kontrollierbar und steuerbar sind. Das heißt, dass die Definitionen, was Tanz, was Skulptur, was Raumkunst oder was Zeitkunst ist, variabel werden. Wir möchten der Künstlerin die Möglichkeit geben, hier im ZKM, in einem Haus für alle Medien und alle Gattungen, ihre Bühnenerfahrung optimal mit ihrer Museumserfahrung zu verbinden und zu steigern. Sie agiert im ZKM nicht in einem leeren Museum, und ihre Verbindung verschiedenster Kunstgattungen stellt uns technisch und organisatorisch vor große Herausforderungen. Wir sind sehr erleichtert, dass wir dabei großzügig unterstützt werden von der Kulturstiftung des Bundes, der Baden-Württemberg-Stiftung, der LBBW-Stiftung, der Werner Stober-Stiftung, der Fördergesellschaft für Kunst und Medientechnologie und von Annette und Günther Tetzner. Die Stadt Karlsruhe unterstützt die Ausstellung mit 100.000 Euro – das ist eine stolze Summe, ein Bekenntnis zu der in Karlsruhe geborenen Künstlerin, die inzwischen weltberühmt ist und nun für einen entscheidenden Entwicklungsschritt in ihrer Kunst in diese Stadt zurückkehrt. Das ist auch von Sasha Waltz, die international gefeiert wird, ein Bekenntnis zu Karlsruhe.

INKA: Sie versuchen damit, auch eine komplett neue Ausstellungsform zu finden?
Weibel: Ja, wir möchten dieser Künstlerin von Weltrang optimale Bedingungen für die Realisierung ihrer Ideen geben. Ich will aber auch, dass im ZKM die Avantgarde sichtbar und erlebbar wird. Das ist unsere Aufgabe. Wenn man in andere Ausstellungen geht, sieht man wenig wirklich innovative Gegenwartskunst. Bei der Biennale in Venedig waren 273 bereits tote Künstler vertreten. Die neue Tendenz, die wir im ZKM präsentieren, ist eine Weiterentwicklung des Begriffs der Installation. Wir kennen die Installationen von Ilja Kabakov, der darüber auch ein Buch geschrieben hat. Wir kennen den Suhrkamp-Band „Ästhetik der Installation“ von Juliane Rebentisch (Suhrkamp, Frankfurt/M., 2003) und „Installation Art: A Critical History“ von Claire Bishop (Tate, London, 2005). In diesen Installationen wird der Horizont des Objekts nicht überschritten. Bei den Installationen von Sasha Waltz jedoch ist das Feld der Objektkunst um Handlungen und Menschen erweitert. Wenn wir sehen, dass die Tate Modern in London neue Räumlichkeiten baut, die rein der Performance gewidmet sein sollen, die sogenannten „Tanks“, und das Museum of Modern Art in New York Performance-Ausstellungen zeigt, die wochenlang ein Besuchermagnet sind, dann ist für mich die Kunst als Handlung im Museum angekommen. Tanz kann man auch Kunst als Handlung nennen. Das ist der Ursprung der Installationen von Sasha Waltz. Diese Ausstellung mit Sasha Waltz ist die Markierung eines neuen Trends: Kunst als Handlung im Museum und nicht mehr nur als Handlung auf der Bühne. Im Museum wird Tanz dann zur Installation, sie kann aber jederzeit aufgelöst werden in Handlung. Dieses Wechselspiel verfolgen wir auch nach der dreitägigen Vernissage weiter, wenn wöchentlich von Sasha Waltz ausgewählte TänzerInnen aus der Region und aus ganz Europa in der Ausstellung live performen.

INKA: Sind es unterschiedliche Live-Performances?
Weibel: Ja, man spricht gerne von einem Internet der Dinge, wir zeigen hier ein Theater der Dinge. Das ist neu. Es funktioniert ohne Texte. Wir brauchen diese Kunst des Handelns, da wir in einer Gesellschaft leben, die nicht mehr handelt. Die Leute wählen auch am liebsten Politiker, die geradezu dafür stehen, dass sie nicht handeln bzw. agieren, sondern bestenfalls reagieren. Daher ist es ganz wichtig, dass die Kunst die Handlungsfähigkeit des Individuums zeigt.

INKA: Stimmt es denn, dass das ZKM an eine Internetplattform zur Dokumentation des Tanzes denkt?
Weibel: Derzeit nicht. Wir haben das Projekt „Moments. Eine Geschichte der Performance in 10 Akten“ gemacht, in Ausstellungs- und Buchform. Und wir haben Angebote von vielen berühmten TänzerInnen und Compagnien, deren riesige Videoarchive zu digitalisieren und zu archivieren. Aber wir haben dafür weder das Personal noch das Geld, so dass es im Augenblick keinen realistischen Plan für den Aufbau eines Tanz- und Performance-Archivs gibt. Leider kann man beobachten, dass es in der Kultur immer wieder zu einem Missverhältnis zwischen Hülle und Inhalt kommt. Einerseits werden für hunderte von Millionen Euro immer mehr und größere Konzerthallen, Theater, Museen oder in Berlin für Milliarden die Replik eines Schlosses gebaut, das aussieht, als hätten es stillose Neureiche entworfen. Wenn ich ein Berliner wäre, ich würde mich genieren angesichts eines solchen moralischen und ästhetischen Niedergangs. Das ist ein Bekenntnis zur Armseligkeit, dass man im 21. Jahrhundert keinen Mut mehr hat zur Gegenwart, sondern zurückkehrt zum preußischen Nationalismus. Die wissenschaftliche Aufarbeitung, die Erhaltung und Produktion von Kultur hat meist nicht denselben Stellenwert. Für Inhalte, für Content ist eben oft nicht ausreichend Geld da. Das ist ein generelles Problem.

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