Biss zur letzten Rübe – Landlieblingsplätzchen (August & September 2023)

Stadtleben // Artikel vom 01.08.2023

Mein wunderbarer Rheinradtourtag

Eine Kolumne von Johannes Hucke, der seit 2007 die Region mit seinen Weinlesebüchern, Kriminalnovellen und Theaterstücken malträtiert. Jetzt versucht er, INKA mit epikureischem Gedankengut zu destabilisieren. Nach einem Jahr Karlsruher Gourmet-Szene balanciert Hucke nunmehr auf den Strahlen der Kompassrose ins Offne. Während der klassische „Tagesausflug“ einst einen durchaus bedrohlichen Beiklang hatte, heißt das heute ODV: One Day Vacation! Gegenüber einer Flugreise nach Paumotu bietet der Ein-Tages-Urlaub jede Menge Vorteile: Er ist kostengünstiger, du kannst den Genusspegel schon vorab nach Belieben einstellen, und wenn du mal abstürzt, dann höchstens in die Arme deines Lieblingskellners.

„Aller Tage Ende.“ So hat der wunderbare Schauspielerregisseur Fritz Kortner seine Memoiren benannt. Ein melancholischer Titel. Den wir uns für heute ausborgen. Denn es hat sich ausgewandert. „Alle Straßen münden in schwarze Verwesung.“ Das stammt von dem wunderbaren Lyriker Georg Trakl. Auch daran wollen wir heute denken: Denn wir beenden unsere Serie „Landlieblingsplätzchen“. Ooooh… Und beginnen im Oktober eine neue. Aaaah! Schnüren wir also zum letzten Mal das Bündel, schürzen die Liesel und machen zum Abschluss einen Ausflug nach Karlsruhe! Spannend. Genauer: an den Rhein. Aha. Es hat ja mal Pläne gegeben, über die verlängerte Hilda-Promenade die Stadt an den Strom anzuschließen. Mit dem Ziel einer Machbarkeitsstudie habe ich vor Jahren mit dem wunderbaren Fotografen Adi Bachinger eine Vor-Tour unternommen. Und sogar überlebt. Die Gefährdung ging nicht von uns aus, sondern von diesen Biergärten. Sowie von einem Autobahnzubringer, der uns auf der Rückreise attackierte.

Sämtliche gebrochenen Rippen sind inzwischen verheilt. Diesmal nehmen wir zur Sicherheit den wunderbaren Goldschmied Heinz Laible mit. Start ist wie immer der Kühle Krug. Mein Verlagsleiter hat gesagt, ich soll das mit dem Bier lassen. Als Zurüstung haben wir Tucholskys Frankenreise gelesen, da leidet das Karlchen unter einer S-Störung, sagt also Bratskartoffeln und so. Vom Krug aus will ich direkt in eine Weinsstube, darf aber nicht. Beleidigt biege ich in einen Biersgarten ein, der mir entgegenragt, werde aber abgegrätscht. Dieser Heinz, so schwant mir, wird uns schmieden, bis wir schimmern wie Keltengold.

Diesmal fahren wir nicht zum „Vater Rhein“, inzwischen „Das Schiff“, irre maritim am wunderbaren Motorbootshafen Maxau gelegen, sondern zum Rheinkiosk. Niemand konnte vor dieser Radsfahrt ahnen, dass Karlsruhe größer ist als das Frankenland – und viel heißer! Weiträumig lenkt Heinz an allen Biersgärten vorbei, erklärt aber die kultur- wie naturhistorischen Hintersgründe der Auenwälder. Adi und ich beschließen zu streiken, aber im falschen Moment: Etwa zehn Kilometer hinterm Rheinstrandbad gibt es im Umkreis von zehn Kilometern – nichts.
Außer Lurchen und Molchen. Und Bussarden, die schon über uns kreisen; die haben einen Sinn dafür, wenn ihre Opfer schwach werden und bald zur Speise taugen… Im Ernst, dieser Rheinkiosk gehört zum Sehenswertesten, was Karlsruhe zu bieten hat: Eine der raren Stellen, wo du ganz ohne Heizkraftwerke und schrottige Industrie am Ufer fläzen darfst. Das kulinarische Angebot passt. Aber nicht für uns. Denn es ist Mittwoch. Ruhetag! Mein Taschenmesser fliegt knapp an Heinz vorbei. Nicht mal das klappt. „Alles nicht so schlimm“, tröstet der Asket. „Dafür ist der Blick umso…“ Adi trifft auch nicht.

Aber er hat tief eingelegten Handskäse und Äpfelswein dabei. Das rettet uns den Abend und Heinz sein junges Leben. Wir beschließen, jetzt immer mittwochs den Kiosk zu kapern und Nahrhaftes zu überhöhten Preisen feilzubieten. Für Leute wie uns. Auf der Rückfahrt wird uns ganz märchenhaft zumut: So viel Gegend! Mit all dem Wunderbaren stimmt der Tabakschuppen trefflich überein. Nein, nirgendwo ist Karlsruhe so urban wie hier in Forchheim: Mit Takt und Geschmack ausgebaut, es gibt Klumpp-Weine und Waldhaus-Pils und raffinierte Dinge wie Butterbrot. Nicht irgendwie! Sondern aus Ruchmehl gebacken (Brot) und zart aufgeschlagen (Butter). Sonntags bäckt der Schuppen sogar selbst; Anlass für unsere nächste Rheinreise? Als ich mit Grandezza ein weiteres Waldhaus bestellen will, taucht der Verlagsleiter hinter einer Porzellanfee auf und verhaftet mich, sekundiert von Heinz, der seine Chance sieht, der Völlerei ein für alle Mal den Riegel vorzuschieben. Adi gelingt die Flucht. Leb wohl, Adi! Danke noch mal für den Äpfelswein!

Ich schreibe diese Zeilen in jenem Redaktionshinterzimmer, wo ich arrestiert bin. Falls Ihr euch fragt, warum ich für diesen wunderbaren Text nahezu ausschließlich das leblose Adjektiv wunderbar in Anschlag bringe – nun, auch ich muss sparen. Für die neue Serie. Mit dem Titel „Produktkritik.“ Ab Oktober. In diesem wunderbaren Heftchen. Dann gibt’s Hafersmilch. Aber satt.

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