Biss zur letzten Rübe – Landlieblingsplätzchen (Februar 2023)

Stadtleben // Artikel vom 01.02.2023

Johannes Hucke (Foto: Gert Steinheimer)

Darwin-Check plus Notgedeck

Eine Kolumne von Johannes Hucke, der seit 2007 die Region mit seinen Weinlesebüchern, Kriminalnovellen und Theaterstücken malträtiert. Jetzt versucht er, INKA mit epikureischem Gedankengut zu destabilisieren. Nach einem Jahr Karlsruher Gourmet-Szene balanciert Hucke nunmehr auf den Strahlen der Kompassrose ins Offne. Während der klassische „Tagesausflug“ einst einen durchaus bedrohlichen Beiklang hatte, heißt das heute ODV: One Day Vacation! Gegenüber einer Flugreise nach Paumotu bietet der Ein-Tages-Urlaub jede Menge Vorteile: Er ist kostengünstiger, du kannst den Genusspegel schon vorab nach Belieben einstellen, und wenn du mal abstürzt, dann höchstens in die Arme deines Lieblingskellners.

Es gibt ja so viele Rituale, mit denen die Leute starten, z.B. ins neue Jahr, vor allem, wenn längst schon Februar ist. Manche ziehen sich Ganzkörperringelsocken an und springen in eisige Teiche, andere stecken sich ein Bündel Eisenkraut ins Ohr und räuchern sich den letzten eigenen Gedanken aus der Birne. Wir bieten mehr! Und das aus gutem Grund… Haben wir doch festgestellt, dass selbst bei ethisch integren Mitgliedern unserer Spaßgesellschaft alarmierende Anzeichen festzustellen sind: Morbus Darwin, vulgo FDP-Syndrom – weitaus schlimmer, grassierender noch als die bisher beliebten Virenarten.

Doch wie so oft: Selbstdiagnose ist schwierig… Die meisten an Morbus Darwin leidenden Genossen (Gesundheit!) -innen lassen daran leiden, und merken es selber nicht. Vermutlich, weil sie einen wohldotierten Posten erschlingelt haben. Das kann schon mal passieren, wenn Mamipapi ein bisschen adelig, großindustriell oder akademisch war, dann hast du ja schon den (Achtung, Darwin-Vokabular!) „Startvorteil.“ Wären die Leute wenigstens ehrlich, dann würden sie von Erbgesundheit runen äh raunen. Jetzt kommt: Ihr seid Euch selber nicht ganz sicher? Och nö! Dann entwickeln wir jetzt hier vor aller Nasen den (früher hätten wir gesagt: ultimativen) Darwin-Check – und liefern gleich Therapievorschläge dazu. Halt, unser Ein-Tages-Ausflug! Der geht heute voll auf den Acker. Was wir da stoppeln? Gleich. Selber Blumenscheiden war gestern. Heute
hamstern wir winter veg!

Warnsignal eins: Dir gehen Nachrichten über soziale Ungleichheit auf die Nerven, z.B. die Statistik, wonach die CEO-Gehälter seit 1978 um 1.322 Prozent gestiegen sind. Was sagst du? „Die Arbeiterlöhne ja auch!“ Stimmt, 18 Prozent. Das macht, Inflationsrate eingerechnet, einen effektiven Kaufkraftverlust von… Aber lassen wir das. Bei dir hilft nur noch Kohlrabi: ohne Fett mit Wasser, Lauch und Kartoffeln eine Stunde lang köcheln. Gewürze: Salz, Maggi. Frei zitiert nach Sträter: „Das riecht und sieht aus, als hätte dir ein depressiver Clown in den Topf gekackt.“ Für Nichtbefallene haben wir aber eine andere Variante, inspiriert von Nelson Müller: Das Kohlrabi-Ding blanchieren, oben abschneiden, aushöhlen, das Ausgehöhlte mit ebenfalls blanchierten Kartöffelchen, Blumenkohlröschen, Möhrchen, Pilzchen in Butterchen mit Muskat schwenken, in den – wie sagt man? – Kopf füllen, Deckel drauf, kurz überbacken.
Signal zwei: Du überweist aus Versehen namhafte Summen an Lobbyistenverbände, indem du Auto fährst? Übel. Es gilt den Wirsing! Versprochen, wenn du das einmal kochst in deinem 4.800-Euro-Loft, reden deine Hipster-Nachbarinnen keine Silbe mehr mit dir. Das hast du dir dann aber auch wirklich verdient. Richtig bestialisch wird der Gestank, wenn du das wie Oma Ilse bei offenem Topf eine Dreiviertelstunde weichkochst. Weiße Soße drauf… Hmmmh, das läutert! Virenfreie kriegen eine Zuppa di Valpelline: Wirsing putzen, schneiden, blanchieren. Speck (Räuchertofu) anbraten, rausnehmen. Geschnitten Brot reinlegen, Speck und Wirsing drüber, Bergkäse drauf; oben wieder Brot, Butter. Fleisch-, Gemüsebrühe aufgießen. So 45 Minuten bei 175 Grad garen. Buono!

Drei: Dir gefallen auf einmal Louis Vuitton-Taschen. Das ist der Ernstfall. Jetzt gib dir die Steckrübe. Die bereitest du genauso zu wie oben den Kohlrabi – mir wird schon ganz anders, wenn ich an die Farbe denke… Manchmal sieht man so was in Unterführungen. Vielleicht hat Sträter das gemeint. Friede seiner Strickmütze. Steckrüben, Karotten in Stücken mit Lauchringen und Knoblauch in Öl braten, weiche Linsen, Kurkuma, Chili, Kreuzkümmel, Garam Marsala, mit etwas Essig und Wasser ablöschen, weichköcheln lassen. Kokosmilch dran, frischen Koriander und Chiliflocken drüber. Warmes Fladenbrot und oder Reis. Die Scheiße dabei: Das essen die Morbus-Darwin-Patienten leider auch. Jeden Mittag. Bei Chi-chi, ihrem Leib-Inder.

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