Biss zur letzten Rübe – Shopping King (Februar 2024)

Stadtleben // Artikel vom 01.02.2024

Johannes Hucke (Foto: Gert Steinheimer)

Duffel

Eine Kolumne von Johannes Hucke, der seit 2007 die Region mit seinen Weinlesebüchern, Kriminalnovellen und Theaterstücken malträtiert. Jetzt versucht er, INKA mit epikureischem Gedankengut zu destabilisieren. Ein Jahr Karlsruher Gourmetszene, ein weiteres „Tagesausflüge“ ins Umland. Es wird Zeit, erwachsen zu werden. Und seriös! Zu den Kernkompetenzen von Johannes Hucke, Autor von Standardwerken der politischen Ökonomie wie „Iss auf, der Koch kommt!“ oder „Trink aus, wir bleiben!“, gehört das nicht. Aber er gibt sich Mühe. Untertitel seiner hafermilchernsten Produktkritik: „Konsumtion, Reflexion und Agitation unter den Bedingungen spätkapitalistischer Gesellschaften ohne verstaatlichte Produktionsmittel.“ Noch Lust zum Lesen? Do it. Trotzdem.

Seid ihr LOMs? Ich weiß, ihr könnt das auch nicht mehr hören, diese Akronyme, die man meistens nicht kennt, aber das Gegenüber, das schon voll aufgeregt ist und die Lösung herauskichert, und dann soll man brav mitkichern und kann nicht. LOMs sind Leitz-Ordner-Menschen. Hihi! Die Geschichte der Zivilisation ist eine des Kampfes der LOMs gegen NLOMS, also Nicht-Leitz-Ordner-Menschen. LOMs stopfen ihr Leben chronologisch da rein, am besten jedes Blatt einzeln in Klarsichtfolie. Wenn sich ein NLOM erkundigt, ob das ein Zeichen von Spießigkeit sei, echauffiert sich der LOM: Ne, er müsse das machen, weil er so kreativ ist und sonst im Chaos versinke. Stimmt aber nicht.

Warum ich mit so einem Mist anfange? Nun, ich gestehe, ich habe Kartoffeln skaliert. So etwas tut man nicht. Es ist gegen die guten Sitten. Ein alter Freund, der Maddin F., wurde bis zu seinem 42. Lebensjahr (da werden Siegerländer geschlechtsreif) ausschließlich mit „Duffel“ ernährt. Stimmt, die heißen da so. Jetzt wollt ihr natürlich wissen, „ob es ihm geschadet hat“. Naja. Es gibt auch andere Landesteile, wo die Leute seltsam sind.

Der Hans etwa ist in Sachsen beheimatet, nein, kein Freund, sondern ein trauriges Dessert: Du zerquetschst weiche Kartoffeln und backst sie mit Zucker. Ürghs! Der Witzigmann Eckart etwa erzählt, in Paris sei er von so einem Spitzenkoch gefragt worden, worin man im deutschsprachigen Raum höchste Kochkompetenz aufweise, und er so: Naja, bei Kartoffeln halt. Daraufhin ward er in eine der „Hallen“ geführt, wo es quadratkilometerweise Kartoffeln unterschiedlichster Sorten gab; bevor er welche kaufen durfte, musste er dem Händler das Gericht und die beabsichtigte Zubereitungsart nennen. Das ist Kultur! Und damit zu unserer Kartoffelwinterprobe, an der ein Dutzend nach eigener Angabe hochsensitive Menschlein teilnehmen wollten, es kamen aber weniger. Es gab auch weniger Sorten als in Paris; mehr als elf konnte ich beim Rundgang über Karlsruher Märkte und durch Bioläden nicht auftreiben.

Kurzum: Diese Nachtschattengewächse sind kein alkoholfreier Sekt; eine exakte Bewertung nach dem 20-Punkte-Schema war nicht möglich. Sie wurden gewaschen, in Salz gewälzt, sortiert aufs Backblech gelegt und 40 Minuten 180 Grad gebacken, dann aufgeschnitten, Butter drauf, Salz und hams! Eva Gesine Baur befrug einst Österreichs Haubenköche, welches Essen sie zu sich nähmen, wenn es 14 Tage lang das gleiche gäbe. „Kartoffeln mit Butter“ hat gewonnen. Bei uns hat niemand gewonnen. Alle Platz eins.

Woran also sind wir gescheitert? An unserer Euphorie, die noch nie eine Basis für exakte Wissenschaften war. „Hmmh, der Wahn!“, schrie es bei Jelly und Jule, Laura und Linda, Blauer St. Galler und Red Fantasy (wer beleidigt eine ehrsame Kartoffel mit so einem „Dschungelcamp“-Namen?). Ich habe Kochkäse dazu gerührt, nicht den gummierten Rotz aus dem Plastiksarg, sondern zärtlichen, der auf den Kartoffeln verläuft. Naja, es gab auch Riesling dazu. Viel Riesling. Irgendwann hab ich halt vergessen mitzuschreiben. Hihi. Die Probe war bestimmt klasse. Tipp: Günstig gibt’s beim Raiffeisen-Markt: 25 Kilo Belana unter 20 Euro, wenn ihr zwei Säcke nehmt.

Der Kasten

Wusstet ihr, dass von 2.000 möglichen Kartoffelsorten nur ein Zehntel in Deutschland „zugelassen“ ist? Und wie viele gibt’s bei euch daheim? „Mr esset bloß d’Sieglinde“, ist eine oft gehörte Ansicht. Oder d’Laura. Das Bamberger Hörnchen (tröööt!) und La Ratte gelten als besonders geschmackssicher – und kostspielig. Aufgrund von Hitze und Habgier sind Kartoffeln leider insgesamt teuer geworden und selbstverständlich werden nur vier Prozent biologisch angebaut. Die anderen bekommen bis zu 15 Mal die Spritze und gern mal nach der Ernte lecker Pflanzenschutzmittel, damit sie nicht keimen. Was soll’s, seit dem Krieg futtern wir eh nur noch ein Viertel pro Kopf, in dem sich bekanntlich der Mund befindet, also 56 Kilo statt 202. Damit die Kartoffel hier nicht so zahlentrocken endet, schnell noch eine Strophe von Samuel Friedrich Sauter: „Salat davon, gut angemacht, / Mit Feldsalat durchschossen, / Der wird mit größtem Appetit / Von Jedermann genossen.“ Weitere kulinarische Anreger in seinem einst in ganz Baden auswendig gelernten „Kartoffellied.“

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