Biss zur letzten Rübe – Shopping King (März 2024)

Stadtleben // Artikel vom 01.03.2024

Johannes Hucke (Foto: Gert Steinheimer)

Kunschtvlaich

Eine Kolumne von Johannes Hucke, der seit 2007 die Region mit seinen Weinlesebüchern, Kriminalnovellen und Theaterstücken malträtiert. Jetzt versucht er, INKA mit epikureischem Gedankengut zu destabilisieren. Ein Jahr Karlsruher Gourmetszene, ein weiteres „Tagesausflüge“ ins Umland. Es wird Zeit, erwachsen zu werden. Und seriös! Zu den Kernkompetenzen von Johannes Hucke, Autor von Standardwerken der politischen Ökonomie wie „Iss auf, der Koch kommt!“ oder „Trink aus, wir bleiben!“, gehört das nicht. Aber er gibt sich Mühe. Untertitel seiner hafermilchernsten Produktkritik: „Konsumtion, Reflexion und Agitation unter den Bedingungen spätkapitalistischer Gesellschaften ohne verstaatlichte Produktionsmittel.“ Noch Lust zum Lesen? Do it. Trotzdem.

Neulich bin ich von meinem Bellen aufgewacht. Leider bin ich kein Hund. Ich lag auch nicht im Körbchen, sondern saß im IC aus Stuttgart. Manche machen noch schlimmere Geräusche, wenn sie im Zug einpennen. Aber mir war’s so peinlich, dass ich schnell wieder die Augen schloss und den Schlaf (schlecht) imitierte. Ein Pärchen mutmaßte pischpelnd, ich sei wohl ein Werwolf, ein Massenmörder oder ein Hesse. Mein Wachtraum kam wohl daher, dass ich kurz zuvor einem Streit beiwohnen musste: zwischen einer Halterin, die ihre Hunde barft und einer, die sie vegan ernährt.

Alle werden immer so grundsätzlich in letzter Zeit. Meine Schwägerin wundert sich, warum pflanzliche Menschen Fleischersatz zu sich nehmen. „Essen ist wohnen mit dem Mund“, lautet ein (schlecht) erfundenes Zitat aus Polen. Darum geben wir hier auch nicht den Lege und schauen keine Schockvideos an, die „Ungesund bis tödlich“ heißen, wo ekliger Blubberbrei aus Düsen in Schnitzelform gepumpt wird… Jedes Ersatzprodukt, das Tierfolter verringert, ist erst mal zu vergöttern.

Statt zu mäkeln, werden hier ein paar klassische Lieblingsgerichte empfohlen, halt in tierethisch. Es ist immer einfacher, die Substitute in Kombination zu verwenden: Wer braucht eine „echte“ Terrorwurst für ein Sandwich? Die chemisch erzeugte schmeckt genauso nach nix. 1. Schniposa bleibt eine Herausforderung: Po und Sa sind kein Problem, reichlich Ketchup und Majo schaffen das Habitat. Aber das Schni! „Wie’n Schnitzel“, Jugendstildesign, Vegetarian Butcher, wurde von Unilever aufgekauft…

Fast alle Supermarktmarken gehören transnationalen Konzernen. Also lieber eine dünne Scheibe Sellerie in Gemüsebrühe blanchieren, glutenfrei in einem Sabbsch aus Buchweizenmehl, Stärke und Wasser wälzen und dick mit Maispanade pudern. Dazu funktionieren sogar Erdäpfelsalat und Grüner Veltliner! 2. Currywurst: Ihr müsst nicht mal auf Saulus-Paulus-Multis (Rügenwalder, Gutfried…) zurückgreifen; Veggie-Bratwurst schmeckt insgesamt nie wie Bratwurst, aber gestückelt sehr scharf in sehr viel brauner Butter angebraten, taugt sie als Unterlage für Eure genialische Currysoße. Schnell servieren, bevor der rote Pamp das Knuspern lädiert. 3. Die Leberkässemmel: Super!

Dank Greenforce haben wir ein molchiges Präparat, das braungebrutzelt und besenft in frischaufgebackenen Brötchen dem bayerischen Original fast gleichkommt. 4. Frikadunsen gibt es ohne Fleisch seit den unseligen Tagen des Bratlings, der in den 80ern aus 100 Prozent Bauschutt bestand. Niemals pur servieren! Bastelt eine Bratensoße aus z.B. Zwiebeln, Rotwein und Brühe, dann passen die F. sogar zu Kartoffelbrei. 5. Kunschtfich. Thunvisch. Lax. Reklame ist kreativ.

Die Frei-von-Fisch-Schwimmer hat es auch in öko. Sie zieren jeden Bagel: von innen. Bitte viel Remoulade und Salat verwenden, den Teigkringel so kross wie möglich halten. Dann fällt der Beschiss kaum auf. Wir mogeln ja für einen (guten) Zweck. Wir, die Hochstapler Gottes. Drum, vor dem Sonntagsbraten scheuen wir zurück. Rindsrouladen ohne Rind sind eine (schlechte) Erfindung. Und zu Ostern ersetzt kein „Nussbraten“ (wä!) unsere Arista alla fiorentina. Leider!

Der Kasten

Die Hauptkundschaft von Fleischimitat aus Pilzen, Tofu, extrudierten, texturierten Soja, Erbsen etc.? Flexitarier! Beyond Meat aus Kalifornien liefert in 50 Staaten. In Deutschland kommt Bio auf dem Fleischersatzmarkt auf 40 Prozent. Die Steigerungsraten sind exponentiell: 2019 um 62 Prozent, ’21 noch mal 17 Prozent. „Ökotest“ verdirbt ein bisschen die Stimmung: Bei Supermarktimitaten kommt Mineralölkohlenwasserstoff gleich zweifach vor, einmal fies fürs Fettgewebe, einmal krebserregend. Konjak klingt ja erst einmal nicht schlecht, aber als E425 birgt oder besser würgt das Verdickungsmittel vor allem kleine Kinder. Ganz in der Nähe wabert E407 Carrageen, ein schickes Rotalgenprodukt, das gerne mal den Darm schädigt oder sich eine fiese Allergie ausdenkt. Außerdem: Fast überall ist zu viel Salz drin, und das mag kein Blutdruck nicht. Bio-Ersatzprodukte verzichten auf den ganzen Mist größtenteils, schmecken aber nicht besser. Und die Ökobilanz? Unfleischige Alternativen verursachen kaum ein Zehntel Treibhausgas im Vergleich etwa zu Rindfleisch. Und null Tierleid. Also.

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