Biss zur letzten Rübe – Shopping King (November 2023)

Stadtleben // Artikel vom 01.11.2023

Alkoholfreier Sekt im INKA-Test (Foto: Roderich Schnalz)

Freisekt – Alkoholfreier Sekt im INKA-Test

Eine Kolumne von Johannes Hucke, der seit 2007 die Region mit seinen Weinlesebüchern, Kriminalnovellen und Theaterstücken malträtiert. Jetzt versucht er, INKA mit epikureischem Gedankengut zu destabilisieren. Ein Jahr Karlsruher Gourmetszene, ein weiteres „Tagesausflüge“ ins Umland. Es wird Zeit, erwachsen zu werden. Und seriös! Zu den Kernkompetenzen von Johannes Hucke, Autor von Standardwerken der politischen Ökonomie wie „Iss auf, der Koch kommt!“ oder „Trink aus, wir bleiben!“, gehört das nicht. Aber er gibt sich Mühe. Untertitel seiner hafermilchernsten Produktkritik: „Konsumtion, Reflexion und Agitation unter den Bedingungen spätkapitalistischer Gesellschaften ohne verstaatlichte Produktionsmittel.“ Noch Lust zum Lesen? Do it. Trotzdem.

Lange mussten wir suchen. Da auf unsere Anzeige „Selbstversuch mit alkoholfreiem Sekt“ niemand antwortete, meldeten wir uns selber. Es geht ja auch um was: Nichts weniger als der Erhalt von Genussmöglichkeiten für Menschen ohne Neigung zum Alkohol ist das Ziel aufwändiger Verfahren, mit denen die Produktion dem Original so nahe wie möglich zu kommen trachtet. Die Besten entziehen dem Grundwein den Alkohol im Vakuum; eine zweite Gärung bleibt aus; es wird karbonisiert.

Grundfrage: Ist das dann Sekt oder nur Traubensaftschorle mit Reklame? Die Bürokratie hüstelt: „Schäumendes Getränk aus alkoholfreiem Wein.“ Lecker, lecker! Für unsere Probe kommt das klassisch-neutrale 20-Punkte-Bewertungssystem in Anschlag. Sie findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, ausgenommen Puce, ein eingeschleustes Hündchen, das die Ergebnisse sofort whistleblowt. Unbestechlich wie immer registriert Juliette Hottie (alle Namen von der Redaktion geschändet) beim „Freixenet 0,0“ tatsächlich „Meister-Propper-Noten.“ Ein herber Auftakt. Zum Glück folgt ein „Engel“ in Rieslingform, zudem Bio und „mit zarter Perlage“, wie DeVdiZ (der Verfasser dieser Zeilen) kundig anmerkt.

Beim Zéra bemängelt Roderich Schnalz „eine gewisse Wässrigkeit“ sowie „Schwankungen auch ohne Alkohol“, zumindest in der Qualität. Vorschlag für einen Werbespruch: „Früher gut!“ Es kommt zum Disput mit Patrizia Wunder, die doch „eine gewüsse Pfürsichkeit“ geltend machen möchte. Spätestens ab dem nächsten Schaumi stellt sich eine gewisse Mulmigkeit ein, denn die Physiognomie ist durch Kohlensäure bereits destabilisiert. Für den Strauch Rosé fällt Schnalz das Urteil „bockelhart.“ Zum ersten Mal zeigt sich Trinkfreude bei Bibo Runges „Deserteur“, „Munus Vini“-Sieger, empfohlen von Annette Sych aus Ehrlichs Wein-Contor. „Das Ding hat Abgang“, blubbert DeVdiZ. „Und Sektähnlichkeit!“

In diesem Augenblick löst sich die elfenzarte Juliette von ihrem Sitz; bevor sie zur Zimmerdecke entschwebt, kann sie noch den nachfolgenden Trunk ergreifen, einen Blanc de Blancs vom Pionier der De-Alkoholisierung Carl Jung. Ihr Verdikt von oben: „Der stört nicht.“ Deutlich mehr Enthusiasmus vermag der Rosé aus demselben Hause zu evozieren, doch das Urteil ist bereits, nein, nicht getrübt, sondern vergickelt: Zweifellos wirken die Proben nicht anders, als hätte sie jemand heimlich re-alkoholisiert.

Placebo-Effekt? „Kolpingplatz-Effekt!“, wirft Roderich ein und schwappt ein wenig zur Seite. Er spielt auf das Lachgas an, das kichernde Jugendliche dort selbst konsumieren, wie gesundes Volksempfinden behauptet. Mit letzter Konzentration kann der Viererrat dem Rosé von Bibo Runge „eine gewisse Sektigkeit“ sowie „edle Paprikanoten“ zubilligen, verbunden mit dem Ratschlag: „Willst du einem Weinliebhaber eine Schwangere schenken, machst du hier nichts falsch. Hihi.“ Galant reicht Patrizia den „Edelmann“ aus Durbach weit nach droben. „Angriff der Killergummibärchen“, befindet Juliette. Roderich erleidet derweil einen Priapismus im Mittelfinger und DeVdiZ beobachtet angstvoll, wie sich unter seiner Haut viele Blasen bilden.

Ob der abschließende „Vinocence“ aus dem Ökoladen tatsächlich „nach Torsten“ schmeckt, entzieht sich nüchterner Betrachtung. Zwei Beobachtungen bleiben im Gedächtnis: Im Gegensatz zu „ganz normalem schlechtem Sekt“ verursacht der alkoholfreie kein Sodbrennen. Sowie: Auch aus Nichttrauben wie Birnen lässt sich feine Prickelware herstellen, etwa von Jörg Geiger, der sich mit seiner Manufaktur spezialisiert hat.

Ihr wollt jetzt wissen, was aus dem Selbstversuchsteam geworden ist, gell? Nun, Patrizia schwoll aufs 16-fache an und blieb bei der Einfahrt nach Bretten im 1833 abgerissenen Gottesackertor stecken. Man sperrte sie in den Simmelturm, wo sie nur Wassersuppe kriegt. Sie scheint nicht unzufrieden: „Hauptsache keine Kohlensäure drin!“ Roderich erlebte eine religiöse Verzückung und startete selbigen abends einen Kinderkreuzzug nach Como. Es gab nur zwei Probleme: Er war kein Kind mehr, und es kam niemand mit. Der Autor dieser Zeilen explodierte im Bulacher Loch. Die Durchfahrt ist bis 07/2029 gesperrt. Nur Juliette hat es geschafft: Endlich fand sie einen Ausgang durchs gekippte Fenster und schnurrte in die Sternennacht. Heute lebt sie auf einem Musk-Satelliten von warmer Mondmilch. Sie scheint nicht unzufrieden: „Hauptsache keine Kohlensäure drin!“

The Results Of The Cosmic Jury
• Espagne 7 points (Freixenet 0,0, 2,79 Euro der Piccolo)
• Strauch Rosé 10,5 (12,40 Euro, 0,75 l)
• Zéra 11,75 (8,49 Euro, Bio)
• Durbacher Edelmann Rosé 11,75 (8,49 Euro)
• Carl Jung Blanc de Blancs 12,4 (6,49 Euro)
• Vinosence Vin mousseux 13,4 (6,99 Euro)
• Engel Riesling 15,5 (9,95 Euro, Bio)

Zwei Zweitplatzierte
• Bibo Runge Weiß 16,4 (13,95 Euro)
• Carl Jung Rosé auch 16,4 (5,49 Euro: bestes PLV)

And The Winner Is
• Bibo Runge Rosé 17 Punkte (13,90 Euro aus Rheingau-Trauben)

Sonderempfehlung
„Traubenschneckchen“, wohl das einzige untrockene Getränk, das die Schwelle des Hauses Bercher-Schmidt je überschritten hat: geeignet für alle, die es vor oder nach dem Essen nach etwas Süß-Spritzigem gelüstet.

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