Das Aus für die Poly Produzentengalerie?

Stadtleben // Artikel vom 03.02.2022

Ich wollte es zunächst gar nicht glauben, als ich beim Pakete-Aufgeben vor Weihnachten darauf hingewiesen wurde, die Poly sei zu.

Bei näherem Hinsehen entpuppte sich die Leere doch nicht als Kunstzustand, sondern als Exit: Mit den Galerien V12 und V8 sowie der Poly Produzentengalerie bildete die kleine Querstraße der Reinhold-Frank-Straße so etwas wie eine Karlsruher Kunstmeile der Off-Szene. Nun ist die Poly Galerie für die freie Kunstszene verloren. Der weiter bestehende Verein ist ausgezogen nach der Kündigung durch den Vermieter, der dort jetzt selbst ein nicht zum Verkauf stehendes, kurioses bis deutschtümelndes privates Nippes-Sammelsurium präsentiert, in dem Ernie aus der Sesamstraße die schwarz-rot-goldene Fahne schwingt.

Wie und ob es mit der Poly weitergeht, ist unklar. Vorständin Bettina Yagoubi-Amann, die die Poly zuletzt fast allein führte: „Ideal wären neue Räume und ein Zulauf von vielen engagierten Mitgliedern, darunter viele KünstlerInnen, die den wichtigen Wert einer Produzentengalerie, deren Ausstellungen und weiteren Veranstaltungen als lebendige Impulse für eine Stadt wie Karlsruhe und darüber hinaus von Herzen mittragen. Neben den wichtigen Leuchttürmen braucht es auch das kulturelle Geschehen von unten, eben den Subräumen, für eine breite Basis.“

Der INKA Verlag ist fast so alt wie die Poly und war dieser nicht nur publizistisch sehr verbunden, teils auch organisatorisch. Aus Mitgliedern und Vorständen der Poly rekrutierte sich auch die UND Plattform und INKA präsentierte die „UND“-Kunstschauen – mit ihren neun Ausstellungen bisher die einzige richtig große Karlsruher Ausstellung zeitgenössischer Kunst – stets mit üppigen redaktionellen Sonderteilen. In der Kunststadt Karlsruhe mit ihren gleich zwei Kunsthochschulen plus dem ZKM hat es die freie Szene schwer. Auf der Kunstmesse „art“ sind über lokale Galerien nur die wenigsten hiesigen Künstler vertreten; Alternativschauen während der „art“ klappten nie so recht. Große Kunstplayer wie die Kunsthalle oder das Landesmuseum blenden die hiesige Kunstszene quasi komplett aus, verfügen aber über die höchsten Werbebudgets. Eine Zweiklassengesellschaft der Kunst, wie der ehemalige Poly-Vorstand und Künstler Jean-Michel Dejasmin in INKA 2021 resümierte.

Es gibt kaum Ideen, kein Geld, das Künstlereigenmarketing hat sich zu Instagram verlagert, Verkäufe sind dennoch schwierig, Präsentationsflächen äußerst rar, Produktionsflächen noch mehr: Der Verlust der Ateliers am Hauptbahnhof ist noch immer nicht wettgemacht, daran ändert auch das neue P8 in der Schauenburgstraße mit seinen rund 15 Ateliers nur wenig. Auch wenn die ganze Kulturszene derzeit coronatechnisch matt und erschöpft am Stock geht: Die Künstlerszene erscheint besonders platt. Roger Waltz unterhielt sich mit dem Künstler und ehemaligen Poly- sowie „UND Plattform“-Vorstand Joachim Hirling über die Poly und die freie Kunstszene der Fächerstadt.

INKA: Wie lange warst du im Poly-Vorstand?
Joachim Hirling: Zur Poly Produzentengalerie kam ich anfangs noch als Besucher, im Februar 2003 wurde ich Mitglied. Im Vorstand war ich zum ersten Mal ab Spätsommer 2005, zum Vorstandswechsel 2010 schied ich dann erst einmal aus, da ich seit einigen Jahren auch noch parallel im Vorstand der UND Plattform war. Zuletzt war ich im Poly-Vorstand von Juni 2015 bis Oktober ’17. Es war eine meiner ersten Aufgaben, Ende 2005 die „UND #1“ auf den Weg zu bringen. Von daher war die Poly auch personell immer eng mit der „UND“ verbunden. Hintergrund: Eine zweite Bewerbung der Poly für die „Liste Basel“ 2006 scheiterte daran, dass unser eingereichtes Konzept mit ca. 15 Teilnehmern, jeweils einige im täglichen Wechsel, nicht angenommen wurde. Die Bitte der „Liste“, sich doch auf rund drei Künstler zu einigen und einen Zuschlag zu bekommen, fand aber innerhalb der Poly aber keine Mehrheit. So kam es zur „UND #1“ als „art Karlsruhe“-Satellit. Anfangs in GbR-Form, ab 2009 als Verein, in dem ich neben anderen auch in den Vorstand kam. Bis 2012 mit der siebten Auflage fand die „UND“ dann jährlich statt. Einen Wechsel in der Organisation zu finden, war mühsam; alle, die es versuchten, haben schnell gemerkt: Es ist enorm viel ehrenamtliche Arbeit! 2013 verließ ich dort auch den Vorstand, blieb aber als Mitglied dabei. Der folgende Vorstand veranstaltete dann 2015 die „UND #8“ in der ehemaligen Dragonerkaserne. Diese Ausgabe war terminlich losgelöst von der „art“ und fand im Herbst statt. Die Möglichkeit, dort 2016 eine weitere „UND#“ umzusetzen, scheiterte aber an der Findung eines Vorstandes mit genügend Energie. So trat ich im Dezember 2016 wiederum in den Vorstand ein, um 2017 eine „UND #9“ in der Dragonerhalle zu veranstalten; danach stand sie wegen Umbaumaßnahmen nicht mehr zur Verfügung. Es war aber schon abzusehen, dass es ab 2018 schwierig würde, entsprechende Räume für eine weitere „UND“ zu finden. 2019 wurde unter dem Dach der „UND“ in Karlsruhe „10 Tage – 10 Räume“ mit offenen Ateliers veranstaltet, dazu eine „UND“ in Kooperation mit Künstlern in der Karlsruher Partnerstadt Halle an der Saale. An dem Versuch, eine „UND #10“ auf die Beine zu stellen, war ich dann wieder beteiligt. Die durch Umzug freigewordenen Boesner-Räume boten eine Möglichkeit, die Corona-Pandemie machte jedoch alle weiteren Planungen zunichte.

INKA: Was sind deine persönlichen Highlights aus 20 Jahren Poly?
Hirling: Es ist die Gesamtheit, also dass die Galerie überhaupt so lange Bestand hatte und mit einem kommerziell unabhängigen Programm so vielen Künstlern eine Ausstellungsmöglichkeit bieten konnte. Über die Jahre wurde die Viktoriastraße so etwas wie eine kleine Karlsruher Kunstmeile. Einige Jahre nach der Poly gründete sich dort die V8 als Atelier- und Ausstellungsraum, ebenso wie etwas später die Galerie Iris Kadel und die nachfolgende Galerie Weingrüll sowie das Atelierhaus in der Viktoriastr. 12, das ich mit vielen anderen 2006 ins Leben rief und wo ich als Hauptmieter nach wie vor tätig bin. So gesehen war 2006 vielleicht das Jahr, welches in vielerlei Hinsicht einen nachhaltigen Schub für die freie Künstlerszene in Karlsruhe gebracht hat. Seit 2004 wurde neben länger laufenden Einzelausstellungen auch Ausstellungen im schnellen Wechsel wieder aufgenommen – daraus wurde die jährliche „Poly Summertime“, ein Projekt, das erst wegen Corona 2021 aus dem Tritt kam. Auch das zehnjährige Bestehen der Poly 2011 mit der Einladung zur Teilnahme an einer vom Kunstbüro in Stuttgart initiierten landesweiten Vernetzung der Sub-Räume in Ba-Wü zählt zu meinen Höhepunkten. Vom aktuellen Vorstand unter Bettina Yagoubi-Amann wurde 2018 in Kooperation mit dem Verein Initial zur Wiedereingliederung von Arbeitslosen eine Bürostelle für die Produzentengalerie eingerichtet. Auch dies kippte mit der Pandemie. Yagoubi-Amann setzte dann den Ausstellungsbetrieb im Onlinemodus fort.

INKA: Ist es aus deiner Sicht nach 20 Jahren vielleicht auch einfach ausgereizt?
Hirling: Nein, der Bedarf an Ausstellungsräumen ist nach wie vor da. So wie es auch 2001 und davor schon der Fall war. Die Gründung der Poly geht überwiegend auf hiesige Kunststudenten zurück, die den Mangel an Ausstellungsmöglichkeiten gerade an der Schnittstelle von Studienende und Beginn der freien Künstlertätigkeit nicht hinnehmen wollten. Es ist eher so, dass sich die persönliche Situation der einzelnen Mitglieder verändert hat, die Zeitfenster, sich ehrenamtlich zu engagieren, sind kleiner geworden durch notwendige Zusatzjobs nach dem Studium, Familiengründung etc. Gesellschaftliche Veränderungen verstärken dies. In den vergangenen 20 Jahren wurden immer mehr Menschen in prekäre Lebensumstände gebracht – Stichwort „Verarmung der Mittelschicht“.

INKA: Ist das Interesse der Kunstaka-Studenten tatsächlich so gering?
Hirling: Das Interesse ist immer noch da. Die zuletzt umgesetzten Ausstellungen zeigten ja überwiegend Arbeiten von Akademie-Studenten und -Absolventen. Mein Eindruck ist eher, dass viele sich nicht mehr in längerfristige Projekte einbinden wollen. Künstlergruppen bestehen unabhängig von ihrer Ausrichtung im Mittel nur zwei oder drei Jahre und werden meist als Sprungbretter verstanden. Da hat anfangs jeder die Hoffnung, zu dem glücklichem einstelligen Prozent der langfristig Erfolgreichen zu gehören. Erst mit den Jahren im Rüttelsieb nach oben wird vielen bewusst, dass die meisten – wenn überhaupt – nur noch im eigenen Atelierraum eine Ausstellungsmöglichkeit haben.

INKA: Braucht es keine Produzentengalerien mehr als Ort, wo Künstler sich auch ausprobieren und Erfahrungen im Ausstellen sammeln können?
Hirling: Nein, es braucht sie auch dafür damals wie heute. Während dem Studium liegt der Fokus eindeutig auf der Findung und Umsetzung von eigenen Kunstvorstellungen. Es gibt natürlich an der Hochschule auch Ausstellungsmöglichkeiten – wie hier in Karlsruhe die unjurierte Sommerausstellung und die jurierte Jahresausstellung in den Klassen sowie die Abschlussausstellungen. Diese sind aber auch eine Reaktion auf das Bestehen von Produzentengalerien. Auch vor der Poly gab es schon immer wieder selbstorganisierte Ausstellungsräume, oft in Ateliers oder Wohnungen von Studenten. Ein Raum nur für Ausstellungen, wie er mit der Poly entstand, ist da schon ein Schritt weiter gewesen. Je nach Organisationsform einer Produzentengalerie ist das vor allem umfassender; hier wird auch Einblick in die Arbeit einer Galerie gegeben. Den Ausstellern wird dadurch mehr Verantwortung abverlangt – dafür genießen sie aber auch mehr Freiheit, wie die eigene Ausstellung kuratiert wird. Und es besteht kein Verkaufsdruck. Eine normale Galerie erwartet langfristig schließlich auch eine Kostendeckung.

INKA: Besteht nicht die Möglichkeit, mit der Poly an einen anderen Ort zu gehen – z.B. ins neue P8?
Hirling: Grundsätzlich ja, das ist auch noch nicht final entschieden, da der Verein aktuell noch besteht. Aufgrund der bereits angesprochenen veränderten Lebensumstände vieler Mitglieder ist dies aber sehr ungewiss. Eigentlich braucht es aus der Generation der Aussteller auch engagierte Menschen, die nicht nur ihre eigene Situation sehen und eine klassische Galerie erwarten. Vielleicht ändert sich das erst wieder nach einem Erfahrungsdruck auf die jetzige junge Künstlergeneration – was ich sehr schade fände. Die Kunst ist ein Teil des gesamtgesellschaftlichen Forschungslabors für die jeweilige Lebenssituation. Eine Gesellschaft, die das nicht umfassend fördert, beraubt sich ihrer Möglichkeiten. Da aufgrund des Alters der Poly eine ständige Förderung durch den Gemeinderat beantragt werden kann, wünsche ich ihr eine Zukunft mit jungen Akademie-Absolventen.

INKA: Wie siehst du die Situation der Off-Galerien in Karlsruhe?
Hirling: Ich spreche lieber von Subgalerien – so lange sie da sind, sind sie ja nicht off. Für den Großteil war es schon vor der Pandemie sehr prekär. Die meisten müssen die damit verbundenen Aufgaben erst mit der Ausübung lernen. Es gibt beim Kunststudium keine Ausbildung, was das Künstlerleben noch so mit sich bringt außer der Arbeit im Atelier. Wenn überhaupt, dann gibt es vereinzelte Vorträge, z.B. zur Künstlersozialversicherung. Wie das aber mit der Buchführung funktioniert oder auf was zu achten ist in Sachen Finanzamt – hier wird erwartet, sich das selbst draufzusatteln. Teilweise hat es sich im Lauf der Zeit wohl verbessert, es wäre aber sehr hilfreich, wenn verpflichtende Kulturmanagement-Seminare zur Vorbereitung aufs Künstlerdasein zu einem Kunststudium dazugehörten. Von daher wundert es mich auch nicht, dass viele mit den Corona-Förderanträgen überfordert waren. Zumal sich oft auch noch die Kriterien im Verfahrensablauf verschärften. In dieser ungewissen Situation ist es schwierig, sich auf Verpflichtungen wie eine Raummiete einzulassen – abgesehen davon, dass Atelierräume ebenso wie Proberäume für Musiker immer knapper werden. Ich hoffe, dass die derzeitigen Absolventen der Kunsthochschulen rechtzeitig erkennen: Ohne Produzentengalerien rutschen sie in ihrer öffentlichen Wahrnehmung ein gehöriges Stück nach unten und der Weg in die Sichtbarkeit wird noch länger.

INKA: Außer auf dem Schlachthof gibt es keine Produzentengalerien mit regelmäßiger Präsenz. Wie siehst du die Vermarktungssituation junger Kunst in Karlsruhe?
Hirling: Das Angebot war bisher nicht üppig und ist bis auf Einzelfälle noch knapper geworden. Für eine Stadt wie Karlsruhe mit ihren vielen Kunsthochschulen der verschiedenen Sparten fehlt es an Präsentationsfläche. Durch die Arbeit des Kulturamts hat sich aber sehr viel verbessert, seit ich 1990 hierher kam. Von meinem ersten Besuch dort, zu Beginn des Kunststudiums als Stadtfremder, wurde ich in meinen Anliegen unterstützt. Und ohne diesen Support des Kulturamts, sowohl finanziell wie auch im Hintergrund als Fürsprecher, wären die Poly, die „UND“ und auch die V12 nicht zustandegekommen und hätte auch nicht so lange existiert. Es ist immer Luft nach oben. Mein Vorschlag wäre z.B. eine stärkere Förderung der Vernetzung und des Austauschs von Künstlern und Kulturmanagern. Vielleicht ein Thema für ein kommendes „Kulturfrühstück“ oder noch besser ein Kulturseminar.

Zurück

Einen Kommentar schreiben

Bitte rechnen Sie 1 plus 2.

WEITERE STADTLEBEN-ARTIKEL