Das neue Clubkonzept der Stadtmitte

Stadtleben // Artikel vom 01.06.2025

Booker & Betriebsleiter Alex Füchsel im INKA-Interview.

INKA (Patrick Wurster): Ihr habt im Mai euer Konzept rebootet und wollt Die Stadtmitte mehr in Richtung Eventlocation denken – was auch damit einhergeht, die Konzertfrequenz hochzufahren und die Stami wieder als Livevenue zu etablieren. Wie kam es dazu und welche weiteren Events habt ihr im Sinn?
Alex Füchsel: Als Reboot könnte man es durchaus bezeichnen, wobei wir uns schon seit ca. zwei Jahren in einem Anpassungsprozess befinden. Disco und Clubbing sind seit Jahren rückläufig, was auf viele verschiedene gesellschaftliche Veränderungen zurückgeht. Darüber könnte man Dissertationen erstellen, aber beschränken wir uns mal darauf, dass sich durch Smartphone, Social Media, gesellschaftliche Transformation in der Einstellung zum Alkohol, Freizeitgestaltung wie Streaming oder die Hinwendung zu Festivals und Events das Ausgehverhalten stark gewandelt hat. Konzerte haben wir ja schon immer veranstaltet, allerdings eher als Zusatz zum Discobetrieb. Hier wollen wir wesentlich mehr tun und Die Stadtmitte als Livevenue für Clubshows in einer Größenordnung zwischen 100 und 300 Gästen nachhaltig in der Region etablieren. Diese Größe ist hervorragend geeignet für spannende, aufstrebende Künstler, aber auch für etablierte in Nischenbereichen. Darüber hinaus bieten sich mit unserem wunderbaren Innenhof vielerlei Eventmöglichkeiten an – wie z.B. das Afterwork mittwochs, aber auch andere Day-Events, Vintagemärkte und Open-Air-Veranstaltungen. Im Endeffekt geht es darum, Die Stadtmitte nicht als Club oder Disco, sondern als Eventlocation zu denken. Das bedeutet, dass es hier mitunter auch private Veranstaltungen gibt, wenn die Rahmenbedingungen passen; also Firmenevents, B2B oder B2C, Coaching, Kinder- und Familienveranstaltungen, Figurentheater, Livepodcast, Poetry-Slam, Workshops aller Art – die Möglichkeiten sind vielfältig und spannend!

INKA: Welche Bands sind die kommenden Monate schon in der Pipeline?
Füchsel: Zuletzt hatten wir mit den Four Imaginary Boys eine hervorragende europaweit gefragte „The Cure“-Tributband, die im November 2026 erneut bei uns spielt. Im Juli kommt mit Phil Campbell eine echte Rock’n’Roll-Legende: 32 Jahre war er der Gitarrist von Motörhead. Im August haben wir mit Crypta eine brasilianische technisch anspruchsvolle Death-Metal-Band, die aus vier klasse Musikerinnen besteht und als würdige Erben von Chuck Schuldiner gelten dürfen. Im September kommen mit
Suicide Commando die Pioniere des harten EBM, wir haben Empathy Test, im Oktober die Doom-Veteranen von The Obsessed – der Konzertkalender füllt sich kontinuierlich.

INKA: Welche Rolle spielt es, dass mit der „Catch Your Breath“-Show eine Zäsur stattgefunden hat, nachdem Mitte April das letzte Gastspiel von Caldera/New Noise – zu dessen Veranstalterdreigestirn du gezählt hast – im Substage über die Bühne gegangen ist?
Füchsel: Ich habe die vergangenen Jahre zusammen mit Lucas Ell (New Noise) und Nanouk de Meijere (Caldera Promotions) Konzerte veranstaltet, vieles in der Stadtmitte, aber auch im Substage, in der Alten Hackerei oder zuletzt im Oktober ’24 Boysetsfire im Tollhaus. Da sich sowohl Nanouk als auch Lucas aus privaten Gründen im Sinne einer besseren Work-Life-Balance zurückziehen, werde ich nun wohl oder übel die Fackel allein weitertragen und versuchen, gute Bookings in Die Stadtmitte zu holen.

INKA: Konzerte unter 30 Euro sind inzwischen eine Seltenheit, die ganz Großen wie AC/DC rufen über 160 Euro pro Ticket auf, während selbst gestandene Bands aufgrund schlechter VVK-Zahlen canceln müssen. Wie siehst du als langjähriger Booker und Veranstalter die Branche in der aktuellen Lage?
Füchsel: Die Kosten sind in den vergangenen Jahren überproportional gestiegen und 30 ist wohl mittlerweile die neue 20, was den Eintritt von kleineren bis mittleren Konzerten angeht. Bei den ganz großen wie Adele oder Ed Sheeran scheint es nach oben keine Grenze zu geben und das nimmt mit dem Dynamic Pricing teilweise krude Ausmaße an. Letztlich leben wir aber in einer kapitalistischen Marktwirtschaft und da muss man solche Dinge akzeptieren. Solange es Leute gibt, die diese Preise bezahlen, werden sie auch verlangt. Ein Stück weit muss man da die Fanbrille ablegen.

INKA: Werden im Gegenzug die Dancefloor-Dates in der Stami heruntergefahren?
Füchsel: Die Dancefloor-Dates werden sicherlich Stück für Stück weniger, weil die Nachfrage schlicht rückläufig ist. Das können als Alternative dann andere Formate und Events sein – eben Konzerte, Theater, warum nicht mal eine Hochzeit… Der Fantasie sind hier keine Grenzen gesetzt.

INKA: Ihr habt ja schon vor Corona vieles ausprobiert in Sachen Mottoabende – warum laufen klassische Disco-Veranstaltungen nicht mehr wie zu jenen Glanzzeiten Mitte der 2000er, als der Mittwoch im Carambolage der dritte Wochenendtag war? Welche Gründe siehst du für das bundesweite Clubsterben und wie tot ist Karlsruhe Mitte 2025?
Füchsel: Ganz vornweg liegt das im sich weiterhin stark verändernden Sozialverhalten begründet: Wie lernen wir jemanden kennen, welche Musik hören wir? Wie verbringen wir unsere Freizeit? Da hat sich wie gesagt sehr viel ins Digitale verschoben; auch ist Musik heute kaum noch ein identitätsstiftender Faktor, die Subkulturen erodieren und die Sozialen Medien bewirken eine stark zunehmende Homogenisierung der Selbstkonzepte. Alternative Möglichkeiten der Freizeitgestaltung durch Streaming, Gaming, Billigflieger und Social-Media-Scrolling tragen hier genauso bei, auch die wirtschaftlich angespannte Lage und Kostenentwicklung. Das knappe Geld muss auf vielerlei Interessen aufgeteilt werden – da geht man wahrscheinlich nicht mehr dreimal die Woche aus. Es ist also ein Zusammenspiel vieler Gründe, die letztendlich einen fundamentalen sozialen Wandel hin zu einer digitalen Gesellschaft bewirken. Ich würde sogar fast soweit gehen, zu behaupten, dass wir auf dem Weg in eine autistische Gesellschaft sind. Auch vor Karlsruhe hat das Clubsterben nicht Halt gemacht. Zuletzt hat es mit dem App Club oder dem Unverschämt echte Institutionen der Karlsruher Clublandschaft erwischt. Die Situation ist schwierig, aber nicht hoffnungslos…

INKA: Mit der „Karls-Afterwork“ habt ihr einen sehr gut besuchten wöchentlichen Feierabendevent kreiert, der nun in seine dritte Saison geht – auch, weil dieser Mittwoch einiges mehr zu bieten hat außer Moninger Helles?
Füchsel: Vergangenes Jahr hatten wir mit dem Mittwoch ziemliches Pech, wenn man bedenkt, dass im Zeitfenster Mai bis September gerade mal drei Mittwoche uneingeschränkt gutes Wetter gewesen ist – das war wirklich wie verhext und wir hoffen natürlich, dass es dieses Jahr dafür umso besser läuft. Wir wollen versuchen, unsere Gäste auch weiterhin immer wieder mit positiven Überraschungen zu erfreuen: Termine mit einer zusätzlichen Cocktailbar mit Miad von Stock Spirits sind angedacht; die Jungs von Sate sind hoffentlich mal mit ihrem neuen Sate-Mobil vor Ort, vielleicht auch ein Live-Act.

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