Die Karlsruher: Unglücklich auf dem absteigenden Ast
Stadtleben // Artikel vom 30.07.2025

Bei der Lebensqualität Platz eins, bei der Lebenszufriedenheit seiner Bürger ganz unten.
Das ist die Position Karlsruhes auf dem „Glücksatlas“ einer Lotterie. Wer nach Gründen sucht, stößt auf eine Politik, die ihre relativ kleine Klientel großzügig bedient.
von Andreas Lapos
Da staunten auch die „Glücksatlas“-Macher der SKL-Klassenlotterie: Unter 40 deutschen Städten mit über 200.000 Einwohnern hat Karlsruhe – objektiv gesehen – die höchste Lebensqualität. Die Einkommen und die Beschäftigungslage bspw. sind sehr gut. Aber bei der Lebenszufriedenheit ihrer Bürger – befragt wurde eine repräsentative Auswahl – landete Karlsruhe auf dem drittletzten Platz. Erster wurde übrigens Kassel, das Schlusslicht ist Rostock. Auch wenn der „Glückatlas“ wie ein Marketing-Gag daherkommt: Hinter ihm steckt ernstzunehmende Sozialwissenschaft. Und hinter der paradoxen Situation Karlsruhes ein ernstes Problem. Und das hat viel mit Geld zu tun.
Denn der Grund für die Unzufriedenheit der Bürger liegt auf der Hand: Karlsruhe befindet sich auf dem absteigenden Ast. Und Abstiegsangst und Abstiegserfahrungen machen unglücklich. Das lehrt die Alltagserfahrung: Wer statt drei künftig nur noch zwei Mahlzeiten bekommt, ist hungrig und unglücklich. Wer statt einer Mahlzeit am Tag zwei bekommt, ist satt und zufrieden. Und die meisten Karlsruher haben die Stadt in wahrhaft besseren Zeiten kennengelernt. Denn als sie jung waren, ging es voran. Deutlich wird das im Kulturleben: Das Tollhaus, das Substage, der Tempel, „Das Fest“ und das ZKM sind alle Kinder der 80er und 90er. Im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends markierte die Umwandlung des Alten Schlachthofs in ein Kulturwirtschaftsgebiet das Ende dieser Entwicklung; auf das Gelände war als Pionier das Tollhaus schon 1992 gezogen. Das bringt der Stadt übrigens Geld: Die Kulturwirtschaftsbetriebe zahlen Mieten, die an den jährlichen Anstieg des Verbraucherpreises gekoppelt sind und müssen für die Instandhaltung selbst sorgen.
Es gibt noch einen zweiten Grund für die Unzufriedenheit: eine Ungleichbehandlung der Bürger. Und Ungleichheiten machen unzufrieden. Das gilt generell, sagen die Macher des „Glücksatlas’“. In Karlsruhe wird die Liste der Betroffenen immer länger werden. Denn im Rathaus und im Gemeinderat wird weiter gemacht wie bisher: eine Minderheit wird großzügig bedient, der Rest muss sich mit Brosamen begnügen. Welche Denke dahinter steckt, offenbarte Bürgermeister Frank Mentrup (SPD) unlängst bei der Vorstellung des städtischen Haushaltsplans. Der sieht mittelfristig bis 2030 eine Verdoppelung der Schulden auf zwei Mrd. Euro vor, damit überhaupt noch was geht, müssen ab jetzt 80 Mio. Euro jährlich eingespart werden – obwohl schon in den vergangenen drei Jahren 223 Mio. Euro gespart wurden. Was er angesichts der finanziellen Probleme rückblickend anders machen würde, wurde Mentrup vor diesem Hintergrund gefragt. Seine Antwort: „Eigentlich nichts.“
Aber blicken wir zunächst noch hinter die Zeit vor Mentrup zurück: Größere Geldsorgen hatte die Stadt Karlsruhe in den 80er und 90er Jahren nicht. Es war ein Auf und Ab, der Spielraum reichte einmal sogar für eine Senkung der Gewerbesteuer. Vor diesem Hintergrund begann der Weg in den finanziellen Abgrund, in dem die Stadt sich nun befindet. Der erste Schritt wurde kurz nach der Jahrtausendwende gemacht, mit dem Bau der Neuen Messe weitab vor der Stadt. Die kostete 150 Mio. Euro und produziert seitdem jährlich Millionenverluste. Deren Summe dürfte sich nach 22 Jahren grob geschätzt um die 200 Mio. Euro bewegen.
Beides zusammen – Baukosten und Folgekosten – bewegt sich also mittlerweile in einer Dimension von 350 Mio. Euro. Und was hat der Karlsruher Bürger davon? Einige Messen wie die „Offerta“ und die „art“, für die er 16 bis 27 Euro Eintritt bezahlt. Die derzeitige Karlsruher Finanzbürgermeisterin hält das trotzdem wie ihre Vorgängerin für ein gutes Geschäft: Der städtische Haushalt profitiere durch Mittelflüsse bspw. aus dem Hotelgeschäft. Über solche Umwege sollen öffentliche Projekte wie die Neue Messe dann rentabel sein, lautet die Behauptung, die nicht bewiesen werden kann. Denn welche Gelder von wo wohin fließen, das weiß angesichts des komplexen Systems von Steuern und Mittelzuweisungen niemand wirklich.
Den nächsten Schritt machten die Verantwortlichen der Stadt gegen den erklärten Willen vieler Bürger. Die U-Strab fiel in einem ersten Bürgerentscheid durch und fand in einem zweiten eine knappe Mehrheit. Sie entwickelte sich in zwölf Jahren Bauzeit zum Milliardengrab. Die Kosten stiegen von 500 Mio. auf 1,5 Mrd. Euro. Davon muss die Stadt Karlsruhe 600 Mio. Euro zahlen. Hinzu kommen jährliche Zusatzbelastungen von geschätzt 30 bis 40 Mio. Euro. Der Unterhalt eines Tunnels ist nun mal teuer als der von oberirdischen Gleisen – ein auf der Hand liegendes Faktum, das die Verantwortlichen in Karlsruhe erst spät bemerkt haben wollen.
Das bedeutet: Seit der Inbetriebnahme im Dezember 2021 hat die U-Strab die Karlsruher Bürger schon rund 120 Mio. Euro allein für die Tunnelunterhaltung gekostet. Und was haben sie davon? Eine Fußgängerzone, die durch die lange Bauzeit wirtschaftlich ruiniert ist. Und statt den Straßenbahnen müssen die Einkäufer nun den auf- und abpatrouillierenden, aber wenigstens deutlich kleineren Kleinbussen der Polizei ausweichen. Mentrups Kommentar bei der Haushaltsvorstellung dazu: „Der Tunnel“ sei „nur für ein Drittel“ des aktuellen Defizits der Verkehrsbetriebe verantwortlich. Das beläuft sich auf rund 120 Mio. Euro. Das kann man auch anders sehen: Die 30 bis 40 Mio. sind die Hälfte der 80 Mio. Euro, die nun verzweifelt eingespart werden sollen.
Aber es knirscht auch im Sozialgefüge. Vor allem Eltern und ihre Kinder bekommen die Finanznot zu spüren: Die Kita-Gebühren wurden schon im Herbst 2024 um 20 Prozent erhöht. In Karlsruhe zahlen Eltern für die Ganztagsbetreuung des ersten Kindes 300 Euro, für das zweite nur 70, das dritte nur 50 Euro. Im Mai sollte der Gemeinderat über die Streichung der Ermäßigung für die Geschwisterkinder diskutieren; der Punkt wurde nach Elternprotesten verschoben. Aber später in der Schule werden die Kinder dann sicher unter der Geldverschwendung leiden: Im Frühjahr wurde bekannt, dass der Stadt das Geld für die notwendige Erweiterung von 20 Schulen und den Neubau von sechs Schulsporthallen fehlt. Alle Projekte gelten als „dringend“ oder „besonders dringend“. Die Mittel sind so knapp, dass die Ämter sich nicht einmal auf eine Prioritätenliste einigen konnten. Der zuständige Bürgermeister will sich in Kooperationen mit der Wirtschaft flüchten. Obwohl mittlerweile jeder weiß, dass Public-Private-Partnerships am Ende noch teurer werden.
Als gäbe es all diese Probleme nicht, will Karlsruhe weiter nach außen glänzen. Und zwar im Jahr 2029 mit der Ausrichtung der „World Games“, einem internationalen Wettbewerb mit 35 nichtolympischen Sportarten wie Tauziehen. Die sollen rund 120 Mio. Euro kosten. Den Löwenanteil übernehmen zwar Bund und Land, aber die Stadt muss noch 22 Mio. Euro hinblättern. Viel Geld für einen kurzen Event. Denn wenn alles nach Plan läuft, sollen die Schulden der Stadt bis 2030 von einer auf zwei Mrd. Euro steigen. Und das ist noch die gute Variante. Voraussetzung dafür: Einsparungen in Höhe von 80 Mio. Euro. Das bedeutet: Die Karlsruher müssen sich überlegen, was ihnen wichtig ist. Bürgermeister Mentrup ging bei der Haushaltsvorstellung voran. Er befürchtete zwar eine Entsolidarisierung der Gesellschaft, eine „schleichende Staats- und Gesellschaftskrise“, wenn die Finanznot der Kommunen anhält und bspw. „die Lieblingskultureinrichtung schließt“. Aber seine „Sorgenkinder“ sind neben Verkehrsbetrieben und Klinikum vor allem Staatstheater und ZKM, denen er sich detaillierter widmete. Sein Fazit: Für alle brauche es mehr Geld von Bund und Land.
Aber um was kümmert sich die Stadt Karlsruhe selbst? Die Liste der „Top 15 Investitionen 2026 bis 2030“ wird angeführt vom Staatstheater. Der städtische Zuschuss für Sanierung und Neubau in diesem Zeitraum: 100 Mio. Euro. In der gleichen Zeit sollen zwar 160 Mio. Euro für Schulbauten ausgegeben werden. Das Schlusslicht aber sind die Fördermittel für sozialen Wohnungsbau: 12,5 Mio. Euro. Dazu fiel kein Wort. Das ist Entsolidarisierung von oben.
Mentrup ging in Sachen Staatstheater noch einen Schritt weiter. Er sei froh, dass der Stadtrat Sanierung und Neubau 2021 beschlossen hat: „Heute müsste ich das Staatstheater einstellen.“ Das Projekt soll 500 Mio. Euro kosten. Längst ist von 750 Millionen Euro die Rede. Zwar muss Karlsruhe davon „nur“ die Hälfte zahlen. Aber wofür das Ganze? Das Staatstheater braucht bei 250.000 Besuchern (Spielzeit: 2024/25) jährlich einen Betriebskostenzuschuss von 27 Mio. Euro von der Stadt – und vom Land nochmals genauso viel. Der Verkauf der Eintrittskarten bringt gerade mal 5,6 Mio. Euro, das sind knapp zehn Prozent der laufenden Kosten. Unter dem Strich beträgt der Zuschuss 216 Euro pro Eintrittskarte. 21 im Kulturring zusammengeschlossene Kulturvereine wie Tollhaus, Substage, Sandkorn-Theater, Sau e.V., P8 und Kohi mit zusammen rund 400.000 Besuchern hingegen erhalten jährliche Zuschüsse von 1,6 Mio. Euro: im Schnitt vier Euro pro Eintrittskarte, einzelne Vereine deutlich weniger. Ein eklatantes Missverhältnis, zumal durch die jetzt erwarteten Sparmaßnahmen einige Kulturvereine in ihrer Existenz gefährdet werden. Auch das ist Entsolidarisierung von oben.
Aber der Gemeinderat kann auch solidarisch sein. Jüngstes Beispiel sind die Cougars in der Nordstadt. In diesem Verein spielen 180 Menschen Baseball. Weil auf den vier Spielfeldern dringend benötigte Wohnungen gebaut werden sollen, wird ein Ausweichgelände gesucht. Die Cougars sind gegen den Bebauungsplan vor Gericht gezogen, das macht die Sache sicher nicht einfacher. Die Lösung: Im Zuge einer Rochade auf einem Vereinsgelände in Neureut erhalten die Cougars eine neue Spielanlage (11,1 Mio. Euro), der CVJM (400 Mitglieder) ein neues Freizeit-Gebäude (4,7 Mio.), die Turngemeinschaft Neureut (150 Aktive) eine neue Halle (4,1 Mio.) und dem FC Neureut wird das Spielfeld erneuert (1,7 Mio.): Macht 21,6 Mio. Euro. Insgesamt will die Stadt für die Verlagerung von Sportgeländen bis 2030 62 Mio. Euro ausgeben.
Wer wissen will, wer im Gemeinderat hier seine Klientel bedient, muss sich nur die Ergebnisse der Kommunalwahlen 2024 anschauen: Die Nordstadt ging an die Grünen, die CDU war zweiter. In Neureut war es umgekehrt, SPD, AfD und FDP landeten jeweils auf den hinteren Plätzen. Jetzt ahnt man schon, wie die Abstimmung in Sachen Cougars lief: SPD, AfD und FDP wollen nicht mitspielen, Grüne und CDU weiterplanen. Sie drängen zwar auf Einsparungen, aber entschieden werden soll bei der Spardebatte im Herbst. Vielleicht schaut dann in der allgemeinen Aufregung keiner mehr so genau hin. Das ist gelebte Solidarität. Glücklich werden danach aber nur wenige sein – wenn überhaupt noch jemand.
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