Faktencheck: Mit der U-Bahn zur neuen Stadt?

Stadtleben // Artikel vom 02.02.2022

Mit fünf Jahren Verspätung nahm die auf 3,6 Kilometern wohl kürzeste U-Bahn Deutschlands Mitte Dezember ihren Betrieb auf.

„Mit der Kombilösung entsteht eine neue Stadt, die wir dynamisch nutzen wollen“, gab sich OB Frank Mentrup bei der Eröffnung äußerst zufrieden über eine „wichtige und gelungene Investition für Karlsruhe“. Auf knapp 1,5 Mrd. Euro prognostizierte die Stadt die Herstellungskosten der Kombilösung aus einem Straßenbahn- und einem Autotunnel zuletzt.

Als die KarlsruherInnen im zweiten Anlauf der Untertunnelung der Kaiserstraße zustimmten, wurden die Kosten von 530 Mio. Euro taxiert. 150 Mio. davon waren für den Autotunnel in der Kriegsstraße vorgesehen. Erst durch die Verknüpfung der Neugestaltung der zentralen Verkehrsachse mit dem umstrittenen Stadtbahntunnel konnte eine knappe Zustimmung im Bürgerentscheid gesichert werden. Die Stadt sollte insgesamt 15 Prozent der Kosten beisteuern und der große Rest durch Zuschüsse von Land und Bund getragen werden sollte. Doch diese Kostenschätzung war nicht lange zu halten – schon vor Baubeginn wurde sie nach oben geschraubt. Nach immer neuen Schätzungen und Kostensteigerungen hat sich die letzte Kostenprognose mittlerweile fast verdreifacht. Besonders getroffen ist der kommunale Haushalt. Nach den Kriterien von Bund und Land können nur zwei Drittel der Gesamtkosten förderfähig und auch dabei steht die Genehmigung der Mehrkosten durch das Bundesverkehrsministerium noch aus. Selbst wenn diese Kostensteigerungen anteilig getragen werden, steigt der Eigenanteil der Stadt auf 40 Prozent der Herstellungskosten oder fast 600 Mio. Euro. Hinzu kommen die gestiegenen Betriebs- und Unterhaltungskosten für die Tunnelanlagen, die von den städtischen VBK allein zu tragen sind. Bis 2030 hat die Stadtverwaltung dafür 63,1 Mio. Euro in den Sparhaushalt eingeplant. Unter Einbezug von Zinsen und Abschreibungen betragen die Folgekosten in diesem Zeitraum sogar 257 Mio. Euro.

Kosten wurden kleingerechnet

Die längere Bauzeit, nicht geplante Mehraufwendungen und steigende Bau- und Materialkosten sind eine Ursache der Kostensteigerungen, auf die auch die Verantwortlichen immer wieder verweisen. Doch die Kosten waren von Beginn an zu niedrig kalkuliert. „Bei Großprojekten wird zu Beginn natürlich immer niedrig gerechnet, um die Bevölkerung nicht zu verschrecken“, räumt Dieter Thomann ein, dass die „Kosten anfangs wohl nach unten gerechnet wurden“. Der ehemalige Personalchef der VBK ist einer der großen Befürworter der Kombilösung und warb als Vorsitzender der Vereinigung „Ja zur Kombilösung“ für das Projekt. Trotz der hohen Kosten ist für ihn die Kombilösung ein „rundum gelungenes Konzept“ und „deutschlandweit keine U-Bahn so gelungen, wie die Karlsruher“.

Härter urteilen die damaligen Gegner: „Alle haben bewusst gelogen, um die Menschen nicht mit der Milliarde zu erschrecken. Es gibt Kosten, die laufen aus dem Ruder, aber das war einfach bewusst gelogen“, sagt dagegen Harry Block, der im Karlsruher Gemeinderat und später in verschiedenen Initiativen die unterirdische Straßenbahn verhindern wollte. Der Kampf zwischen Befürwortern und Gegnern des Projekts drehte sich lange um diese symbolische Summe.  Als die Gegner aufgrund der Kostensteigerungen einen dritten Bürgerentscheid forderten, sprach der damalige OB Heinz Fenrich 2009 „den Argumenten der Gegenseite“ die Seriosität ab: „Wer der Stadt nach detaillierter Kalkulation und umfangreicher Planungsarbeit Konzeptlosigkeit und finanzielles Abenteurertum vorwirft, der disqualifiziert sich mit astronomischen Zahlen ohne jegliche Berechnungsgrundlage selbst.“

Wie nützlich ist die neue U-Bahn?

Obwohl Gegner und Befürworter des Projekts das Ziel einer attraktiveren Innenstadt teilen, sehen sich beide Seiten bis heute in ihren ursprünglichen Hoffnungen und Befürchtungen bestätigt. Während Thomann die Kombilösung als „Quantensprung für die Stadt“ bezeichnet, wurde für Heiko Jacobs, einem anderer Tunnelgegner, „mit Kanonen auf Spatzen geschossen und unnötig Geld verschwendet“. Die Gegner schlugen verschiedene kostengünstigere Alternativen vor. Mit dem Verweis auf kleinere oder gar keine Zuschüsse aus Berlin und Stuttgart wies das damalige Stadtoberhaupt Fenrich diese Vorschläge aber stets zurück.

Der Karlsruher OB sieht in der Fertigstellung der Kombilösung indes einen „Startschuss für das neue Karlsruhe“. Als „Rückgrat der innerstädtischen Infrastruktur“ bereite sie „den Boden für die Entwicklung unserer Innenstadt als unverwechselbarer, attraktiver Ort für Leben und Erlebnis, Einkaufen und Begegnung“. Die straßenbahnfreie Einkaufsstraße ist auch für Thomann der große Pluspunkt. „Die Menschen brauchen keine Angst mehr zu haben vor der Straßenbahn“, sagt er und denkt auch an die Straßenbahnfahrer, die im Tunnel keine querenden Menschen mehr fürchten müssten. „Für ältere Menschen ist der Weg zur U-Bahn eine Odyssee“, sagt dagegen Block. Nichts hätte sich verbessert und die Kombilösung nur bewirkt, dass „die Stadt jetzt investitionsunfähig“ sei. Auch Jacobs klagt über weggefallene Haltestellen und Straßenbahnlinien durch die Umgestaltung. Hinzu kämen weitere und umständlichere Wege für viele. „Aus der Waldstadt konnte man vorher direkt zum Marktplatz fahren. Auch für andere Stadtteile gibt es jetzt eine schlechtere Anbindung an die Innenstadt und den Hauptbahnhof.“ So müssen auch die Menschen aus der Südweststadt mit der Kombilösung neuerdings umsteigen und lange Wege von oben nach unten in Kauf nehmen, um mit der Bahn zum Marktplatz zu kommen.

Für das nach Baubeginn ausgerufene Ziel der Landesregierung der Verdopplung der Fahrgastzahlen im ÖPNV trage die Kombilösung nichts bei. „Der Tunnel hilft nicht die Kapazitäten zu erhöhen“, sagt er. Die Stadtverwaltung verweist hingegen auf eine ausgeschöpfte Leistungsgrenze vor dem Umbau. „Der Mehrwert der Kombilösung lässt sich nicht rein an der Zahl der noch möglichen Linien festmachen: Kürzere Reisezeiten und ein deutlich geringeres Risiko für Verspätungen steigern die Attraktivität“, heißt es auf Anfrage. Im Corona-Jahr 2020 fuhren derweil 40 Prozent weniger Menschen im KVV-Gebiet mit der Bahn. Von 167 Mio. sank die Zahl der Fahrgäste auf 100 Mio. Durch längere Züge, die Erschließung neuer Strecken und die Nutzung von Verdichtungslinien auf der Kriegsstraße hofft der KVV, dass nach der Bewältigung der Pandemie „eine deutliche Steigerung möglich sein“ soll.

Umgestaltung der Stadt steht noch bevor

„Die große Aufgabe steht noch bevor“, sagt der Tunnelbefürworter Thomann mit Blick auf die durch digitalisierten Handel und Pandemie herausgeforderte Innenstadt. „Die Stadt muss kreative Konzepte entwickeln, dass mit der Fußgängerzone auch die Menschen zurückkommen.“ Besonders der Einzelhandel hat in den vergangenen Jahren gelitten; Leerstand und rückläufige Frequenzen machen das sichtbar. Durch die jahrelangen Baustellen sahen sich viele Karlsruher Einzelhändler zusätzlich getroffen. 13 Mio. Euro Entschädigung zahlte die Stadt dafür vor allem an Gewerbetreibende in der City. Der Freiraum durch die schienenfreie Kaiserstraße komme gerade zur richtigen Zeit, meint Mentrup. Er solle helfen, wieder Kultur in der Innenstadt anzusiedeln, zudem will der OB das Wohnen in der City stärker ermöglichen. Block bezweifelt, dass die Kommune noch über ausreichend finanzielle Mittel verfügt, um die nötige Umgestaltung sinnvoll anzugehen. Als eine der ersten Maßnahmen soll ein neues Pflaster die Schienen ersetzen. Bis zu 30 Mio. Euro lässt sich die Stadt den Natursteinbelag kosten. Kritiker sehen darin eine „Vergoldung der Kaiserstraße“ und fordern eine Konzentration auf mehr Bäume und Sitzmöglichkeiten in der Stadt.

In den ersten Wochen kam es im neuen Stadtbahntunnel zu Störungen durch Stromausfall und einem Brandfehlalarm. „Dass noch nicht alles rund läuft bei solch einem komplexen und großen Infrastrukturprojekt, ist ein Stück weit normal“, sagen die VBK. An einigen Stellschrauben müsse noch gedreht werden „Bei voller Belastung werden sich die Probleme zeigen, den Vollbetrieb haben wir im Augenblick noch nicht“, sieht Block aber den echten Härtetest durch die pandemiebedingte niedrige Auslastung noch ausstehend. Ganz fertig ist die Kombilösung in Karlsruhe noch nicht: Wegen Materialmangel wird die Fertigstellung des Autotunnels in der Kriegsstraße noch bis mindestens März dauern. Für Mentrup steht derweil schon fest: „Die Menschen freuen sich über ihre neue City.“ Block kritisiert hingegen, dass sich die Stadt aus Selbstüberschätzung die eigene Handlungsfähigkeit nahm und fürchtet: „Die Stadtverwaltung muss die Stadt den Investoren überlassen, weil sie selbst nicht mehr investieren kann.“ -fk

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