INKA-Interview mit Dr. Frank Mentrup
Stadtleben // Artikel vom 19.09.2012
Mit dem Oberbürgermeisterkandidaten von SPD, Grünen und KAL sprach Roger Waltz.
INKA: Herr Mentrup, Sie waren auf „Sommertour“ in den Stadtteilen – mit sehr guter Besucherresonanz. Zum Teil gab es regelrechte Besucheraufläufe, etwa in Grünwinkel, wo es um ein Mehrgenerationenhaus und die Lärmproblematik ging. Was ist bei Ihnen neben stadtteilspezifischen Themen als Essenz haften geblieben?
Frank Mentrup: Die herausragende Erfahrung ist, dass es eine sehr große Offenheit bis in die konservativsten Stadtteile hinein gibt, sich auf einen neuen politischen Stil und auf eine neue Kommunalpolitik einzulassen, die die Menschen wieder zusammenführt. Die zweite Erfahrung ist, dass es weniger um Parteizugehörigkeit geht, sondern dass die Karlsruher die OB-Wahl sehr offen als Wahl zwischen Persönlichkeiten wahrnehmen, die dann am Ende möglichst gut die Stadt und die einzelnen Bürger repräsentieren sollen. Drittens spüre ich aber auch diese Misstrauenskultur, die der Kommunalpolitik und den bekannten Köpfen dieser Stadt entgegentritt. Ich erlebe es als zunehmenden Vorteil, dass ich nicht aus kommunalpolitischen Verflechtungen in Karlsruhe der letzten Jahrzehnte komme, also nicht im hiesigen Politikmilieu verhaftet und verbändelt bin. Und trotzdem als Karlsruher seit fünf Jahren in dieser Stadt heimisch bin.
INKA: Die OB-Wahl wird vermutlich auch über die Wahlbeteiligung entschieden. Bei der letzten war es eine Beteiligung von sagenhaften 30 Prozent...
Mentrup: Anders als in Konstanz, wo man vor zwölf Wochen noch gar nicht wusste, wer die Kandidaten sind, haben wir jetzt eine sehr lange Zeit bis zum Wahltermin und jeder und jede kann sich über die Kandidaten umfassend informieren. Es wäre, glaube ich, daher für alle Kandidaten frustrierend, wenn am Ende eine Wahlbeteiligung von unter 50 Prozent rauskäme. Ich bin sehr optimistisch, dass wir über 60 Prozent liegen werden.
INKA: Mit welchen Themen wollen Sie denn die Karlsruher begeistern? Abgesehen mal von dem zentralen Thema „Misstrauenskultur überwinden“, also Verbinden statt Spalten, mit den Dauerthemen U-Strab und die Folgen, Rheinbrücke und 2013 zum Start wieder das Kohlekraftwerk?
Mentrup: Ich weiß nicht, wie ich mich seinerzeit bei der U-Strab entschieden hätte. Ich komme jetzt zu einem Zeitpunkt, wo man versuchen muss, die Umsetzung so zu vollbringen, dass die Stadt keinen Schaden nimmt. Dabei ist das Thema Baustellenmanagement absolut zwingend. Es muss berechenbar sein. Das ist das, was die Leute nervt, denn es wird ja ständig auch in ihren direkten Tagesablauf eingegriffen. So ist es nicht verständlich, warum gleichzeitig Teile einer wichtigen Ost-West-Achse außer Kraft gesetzt werden und man dann aber auch noch parallel die ganzen Nord-Süd-Straßen wegen anderer Dinge aufreißt. Auch Baustellenmarketing muss definitiv mehr sein als die Zäune künstlerisch nett gestalten zu lassen. Die Kommunikation in der Stadt ist unzureichend.
INKA: Karlsruhe wird in der erweiterten Region durchaus auch als Krake wahrgenommen, die viel nimmt und wenig gibt. Umgekehrt ist z.B. Landau nicht Mitglied der Technologieregion und hat vor langen Jahren eine Straßenbahnanbindung nach Karlsruhe abgelehnt. Es gibt dort kaum öffentlichen Personennahverkehr, wobei die Südpfalz auch sehr kleinteilig besiedelt ist. Umgekehrt muss das Problem Rheinbrücke gelöst werden, ohne dass der Verkehr in der Stadt selbst kollabiert.
Mentrup: Ich sehe Karlsruhe hier weniger als Krake denn als schlafenden Riesen. Wir brauchen die stärkere Zusammenarbeit von Stadt und Region in allen gemeinsamen Fragen, die es da gibt, seien das Verkehr, Kultur, Natur und vor allem Wirtschaft. Gemeinsam sind wir stärker als die Summe der Teile! Wir liegen ja knapp vor der Metropolregion Rhein-Neckar und sind randständig Teil der Trinationalen Region Oberrhein, es gibt viele Körperschaften und Netzwerke, in PAMINA liegen wir in der Mitte, am Mittleren Oberrhein sind wir westliche Begrenzung. Hier sollten wir überall die ganze Klaviatur durchspielen und vor allem ein Stück weit von Karlsruhe aus das Zugpferd sein. Wir sind hier nun mal die einzige Großstadt weit und breit. Auch sollten wir versuchen, die ganze Internationalität, die in und mit Karlsruhe stattfindet, stärker innerhalb der Stadt bekannt zu machen. Der Austausch zwischen den „Einheimischen“ und denen, die aus Gründen internationaler Kultur- oder Wirtschaftsbeziehungen herkommen, ist ein brachliegendes Füllhorn an Möglichkeiten. So wird auch kreatives spartenübergreifendes Denken und Handeln gefördert. Wir sind im IT-Bereich, im Bereich Neue Technologien, aber auch bei den Neuen Medien via ZKM eine international führend positionierte Region. Aber auch was bestimmte Sozialbereiche betrifft, kann ich mir viele grenzübergreifende Aktivitäten vorstellen.
INKA: Wer hier neu zuzieht und etwas bewegen will, hat sehr gute Möglichkeiten?
Mentrup: Ich denke, ja. Das Besondere an Karlsruhe ist, dass wir eine sehr junge Stadt sind und von daher nicht die Last etwa einer tausendjährigen Kirchengeschichte oder einer anderen Tradition tragen müssen. Karlsruhe ist traditionell offen für jeden, der neu dazukommt, und eine der Aufgaben von Kommunalpolitik wie Stadtgesellschaft ist es, dass die Menschen, die hierher kommen, noch schneller in Kontakt treten und dass sie gemeinsam die Stadt nach vorne bringen. Es gibt so eine Statistik aus dem Jahr 2008, dass zwischen 1995 und 2005, also innerhalb von zehn Jahren, etwa 280.000 Menschen nach Karlsruhe gezogen und etwa 270.000 aus Karlsruhe weggezogen sind. Und das zeigt ja, was für eine enorme Dynamik es hier gibt. Es zeigt auch, was für die Entstehung aller Großstädte typisch ist: Großstädte leben vor allem in ihrer Innovationskraft und in ihrer Kreativität vom permanenten Zuzug von Menschen, ihren Ideen, ihrem Ansporn nach Erfolg und den Kompetenzen, die sie aus ihrer früheren Heimat mitbringen. Von daher ist Integration nicht, dass in eine gefestigte Stadtgesellschaft ein paar Menschen dazukommen, die sich assimilieren, sondern Stadtgesellschaft ist dieser permanente Wechsel von Zuzug und Vergesellschaftung. Und Stadtgesellschaft kann nur funktionieren, wenn alle Menschen immer wieder aufs Neue beginnen, die Stadt und ihre Ziele zu vereinbaren und möglichst viele von denen, die jüngst zugezogen sind, sich hier persönlich engagieren und dann auch bleiben.
INKA: Umgekehrt ließe sich das als vielbeschworenes Söldnertum beschreiben, durch das die Identifikation mit der eigenen Stadt erschwert wird. Fragen Sie einen Karlsruher heute am Beispiel dieser unsäglichen Claim-Diskussion: „Breit gefächert“ hat ja jetzt gewonnen. Das wird außerhalb von Karlsruhe gar nicht verstanden, das ist direkt am Thema vorbei.
Mentrup: Finde ich nicht. „Breit gefächert“ oder „Ein Fächer an Ideen“ löst zumindest nicht falsche oder gar negative Assoziationen aus wie das Badengehen, das im Claim „Baden in Ideen“ jedem Nichtbadener als erstes in den Sinn kommt. Denn nicht nur am Ende brauche ich ein Motto, das an der Ostseeküste, in Großbritannien und auch in New York gleichermaßen verstanden wird. Und da ist, fürchte ich, auch das Bild des Fächers in seiner Bedeutung als Strauß, als Palette von Ideen bzw. guten Eigenschaften noch nicht ausreichend verständlich. Vielleicht sollte sich die Stadtgesellschaft erst einmal selbst über ihre Identifikation und ihre Identität klar werden und erst danach sollte ein passender Slogan entwickelt werden...
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