KA300 – Der „Festivalsommer“ im Pavillon
Stadtleben // Artikel vom 14.07.2015
Mit einem berauschenden Multimedia-Paukenschlag und kleinen Nebengeräuschen hat Karlsruhe seinen „Festivalsommer“ zum 300. „Stadtgeburtstag“ eingeläutet.
40.000 sich teils über suboptimale Sichtverhältnisse, Bierschlangen und einen übermotivierten Sicherheitsdienst mokierende, aber dann ziemlich geflashte Besucher bestaunten die fulminante Eröffnungsshow vor dem Schloss, das als 180-Meter-Projektionsfläche für prägnante Ereignisse der Fächerstadtgeschichte wie auch bedeutende Karlsruher Persönlichkeiten diente – aufwendigst in Szene gesetzt mit extravaganten Lichtspielen und über 400 Darstellern, die sich mal klassisch, mal modern hochkulturell durch Tanz, Gesang, Ballett und Artistik hervortaten, bis BDad schlussendlich seinen K-Block berappen durfte. Nicht minder imposant: die anschließend im Rahmen der „Globale“ (siehe Sonderseiten) Premiere feiernden und bis zum Ende des „Festivalsommers“ (27.9.) jeden Abend ab 22 Uhr nach Einbruch der Dunkelheit laufenden „Schlosslichtspiele“.
Zentraler Schauplatz des 500 Veranstaltungen in 100 Tagen abfeiernden „KA300“-Programmreigens ist der von den Bürgern zusehends ins Herz geschlossene windschiefe Holz-Pavillon im Schlossgarten, der sich von Dienstag bis Sonntag zwischen 10 und 18 Uhr über den Shortcut Badisches Landesmuseum erreichen lässt. Damit ersparen sich die Besucher des „Stadtgeburtstags“ nicht nur einen Umweg von über 200 Metern; sie schreiten dabei außerdem durch jenen Ort, an dem Karl Wilhelm 1715 seine Residenz gegründet hat. Im Pavillon ist derweil von 7 bis 24 Uhr Programm geboten, das überwiegend kostenlos einer durchgehenden Wochenstruktur folgt; zu den festen Formaten zählen u.a. die „Stadtgespräche“, „Vorhang auf!“ und „Film ab!“, der „Feierabend“, das „Festivalfieber“ und das „Klangfrühstück“.
Stadtgespräche (Mittwoch)
Die vom ZAK, dem Zentrum für Angewandte Kulturwissenschaft und Studium Generale am KIT, initiierten Podiumsdiskussionen (19.30 Uhr, Eintritt: ein Euro) drehen sich rund um Herkunft, Heimat, Demokratie und Digitalisierung: Das Thema „Stadt der (Un-)Gläubigen. Der Glaube der Agnostiker und Atheisten“ (15.7.) diskutieren Eberhard Stilz, Präsident der Stiftung Weltethos, Autor Michael Schmidt-Salomon und die Religionspädagogin und Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor; mit der „Stadt der Vielfalt – Stadt der Gegensätze. Diversity zwischen Ablehnung und Akzeptanz“ (26.8.) beschäftigen sich Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Schoole Mostafawy vom Badischen Landesmuseum, Kreativitätsforscher Rainer Matthias Holm-Hadulla und Tollhaus-Vorstand Britta Velhagen. „Ins Netz gegangen – im Netz gefangen?“ (22.7.) lautet die an Baden-Württembergs Justizminister Rainer Stickelberger und Johannes Janosovits von der Piraten-Hochschulgruppe gerichtete Frage zu Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsschutz im Internet. Um das KIT als solches geht es in „Stadt des Wissens – Wissens(schafts)stadt. Lernen und Forschen in Karlsruhe“ (29.7.): Über seine Rolle als größtes Forschungszentrum im deutschen Wissenschaftsapparat und dazu noch größtem Arbeitgeber der Stadt sprechen u.a. die in der Landesregierung zuständige Ministerin Theresia Bauer, ZKM-Chef Peter Weibel und Detlef Löhe, KIT-Vizepräsident für Forschung. „Die Lehren aus zwölf Jahren Nationalsozialismus“ (5.8.) ziehen Baden-Württembergs Innenminister Reinhold Gall und Rechtsextremismus-Expertin Ellen Eser und setzen sich dabei auch mit einem NPD-Verbot auseinander; „RAF, NSU, IS – Karlsruhe und die Terrorbekämpfung. Bedrohte Sicherheit oder bedrohte Freiheit?“ (9.9.) fragen sich Generalbundesanwalt Harald Range, SWR-Terrorexperte Holger Schmidt und Rüstü Aslandur vom Deutschen Muslimkreis. Bei „Stadt der Lebenswerke – Weinbrenner, Tulla & Co. Pioniere, Planer und Passionen“ (19.8.) finden Projekte von der Rheinbegradigung bis zur U-Strab ihre Für- und Widersprecher in der ehemaligen HfM-Rektorin Fany Solter, dem Vater der Zweisystemstadtbahn Dieter Ludwig, KIT-Architekturprofessorin Kerstin Gothe und Stadtarchivar Manfred Koch. Und wie Karlsruhe in 300 Jahren aussieht, wenn die vernetzte Smart City Realität geworden ist, skizzieren Oberbürgermeister Frank Mentrup, Andrea Buddensieg vom ZKM, Spieleforscherin Greta Luise Hoffmann und Simone Kimpeler vom Fraunhofer ISI in „Stadt der Träume – Stadt der Visionen“ (23.9.).
Vorhang auf! & Film ab! (Donnerstag)
Während die Karlsruher Theater ihre Vielfalt von Tanz bis Schauspiel, von Figurentheater bis Improvisation und von Oper bis Musical präsentieren (Eintritt: zehn Euro), geben Bewegtbilder aus Karlsruhe sowie von und mit Karlsruhern einen Einblick ins hiesige Filmschaffen (Eintritt: fünf Euro). Im sitcomartigen Werkraum-Stück „Ein Wohnhaus“ (16.7., 19.30 Uhr) prallen zwischen feierwütiger Studenten-WG, alleinerziehender Mutter, pflegebedürftiger Oma und Familie mit Migrationshintergrund die unterschiedlichsten Lebensentwürfe und Kulturen aufeinander. „Tulwezwiwwle gewe Schnupfe“ (30.7., 19.30 Uhr) heißt der vom Volkstheater Badisch Bühn vor historischem Hintergrund gespielte dreiaktige Schwank, in dem eine für Markgraf Karl Wilhelm bestimmte Kiste Blumenzwiebeln auf dem Transportweg von Holland nach Karlsruhe im Schuppen der Schreinerfamilie Dachtler landet und deren Leben ungeahnte Blüten treiben lässt; das von Andreas Köhler und Hendrik Vogel zusammen mit Karlsruher Bürgern vom 24. bis 27.8. in der Pavillon-„Werkstadt“ entwickelte Livehörspiel „Die 5.000 Tulpen des Carl Wilhelm von Baden-Durlach“ (27.8., 19 Uhr, www.5000tulpen.de) spürt anhand einer Familiengeschichte dem Wesen des Gründers und der Stadt nach. Einen Tag vor der Premiere bringt das Kammertheater die Preview des Kultfilm-Musicals „The Blues Brothers – A Tribute“ (10.9., 19.30 Uhr) auf die Pavi-Bühne; das Marotte Figurentheater spielt seinen Marionetten-Western „Django – Die Rückkehr“ (So, 13.9., 20 Uhr); das integrative Theaterprojekt Die Spinner führt vor Augen, wie es war, „Als der Markgraf die Inklusion verschlief“ (17.9., 19.30 Uhr) und das Jakobus-Theater gastiert mit der Komödie „Zurück zum Happy End“ (Foto/13.8., 19.30 Uhr) im Pavillon, wo ein auf die Trauung wartendes Paar feststellen muss, dass es äußerst unterschiedliche Ansichten von seinem Zusammenleben pflegt. Ebenso begeben sich Vier-Oktaven-Chanteuse Annette Postel und Klaus Webel mit „Ausziehn… Stimme, Witz und Glitzerkram… und ein Jazzpianist“ (20.8., 19.30 Uhr) in die Beziehungsachterbahn. Die schwäbische „Revolvergosch“ Christoph Sonntag (3.9., 19.30 Uhr) nimmt dagegen die Hassliebe zwischen seinesgleichen und den badischen Nachbarn auf die Schippe. Alternativ wird donnerstags um 21.45 Uhr im Pavillon die Kinoleinwand heruntergefahren: Als nächstes steht „Brazil“ (16.7.) auf dem Spielplan, eine groteske Parabel vom Ende des Individuums, für die sich Monty-Python-Mastermind Terry Gilliam von Orwells „1984“ inspirieren ließ. Während der „Nacht der Festivals“ (6.8., 20.30 Uhr) stellen sich das Karlsruher Dokumentarfestival „Dokka“, das 3D-Festival „Beyond“, das Low- und No-Budget-Filmfest „Independent Days“ und „Pride Pictures“, die „Lesbisch-schwulen Filmtage“, mit einem gemeinsamen Programm vor. Bei „Karlsruhe im Film“ (13.8.) läuft u.a. eine Koproduktion zwischen dem Stuttgarter Haus des Dokumentarfilms und dem hiesigen Stadtarchiv: „Karlsruhe. Der Film. Die Geschichte“ beinhaltet ebenso Bilder von den Beisetzungsfeierlichkeiten für Großherzog Friedrich I. wie auch Szenen eines Fußballspiels des Karlsruher FV gegen den FC Phönix aus dem Jahr 1910. Anhand verschiedener Short Movies und Serdar Dogans Komödie „Kopfkino“ wird gezeigt, welche Möglichkeiten „Karlsruhe als Filmkulisse“ (27.8.) zu bieten hat; Maren Ades „Der Wald vor lauter Bäumen“ erzählt im Rahmen des Blocks „Karlsruher Filmconnections“ (10.9.) die Geschichte der aus Schwaben stammenden Lehrerin Melanie Pröschle, die mit zu viel Idealismus in Karlsruhe ihre erste Stelle antritt. Und der „SWR-Filmabend“ (24.9.) verheißt den auf Steven Uhlys Roman basierenden, in Karlsruhe und Umgebung gedrehten Fernsehfilm „Glückskind“ mit Herbert Knaup als verstörtem Eigenbrötler, der ein Baby aus der Mülltonne fischt.
Feierabend (Freitag)
Nach getaner Arbeit wird gefeiert bei „KA300“ – mit Konzerten, Kabarett und Comedy: Musiker, Sänger und Schauspieler erzählen bei der Bühnenfassung der Reihe „SWR1 Pop & Poesie In Concert“ (17.7., 20 Uhr) die Geschichten verschiedener Pop-Perlen in der jeweiligen Originalsprache. Tickets gibt es exklusiv bei „Stadtgeburtstags“-Aktionen. Unter dem Titel „No Lion Sleeps Tonight“ (24.7., 19 Uhr) lassen die Lions Clubs aus Karlsruhe, Ettlingen und Waldbronn Jason Wrights Bandprojekt The Wright Thing Musical-Nummern und andere Hits interpretieren; The Karlsruhe Global Players (14.8., 20 Uhr, Eintritt: zehn Euro) ist ein siebenköpfiges lokales Ensemble, dessen Künstler aus aller Welt stammen und unter der Leitung der beiden Karawanenführer Rüdiger Oppermann und Enkhjargal Dandarvaanchig mongolische und türkische Klänge, Asiatisches, Europäisches und Afrikanisches vereinigen; die Curbside Prophets (7.8., 20 Uhr) reiten wieder mal bestens gelaunt die Surf-Rock-Reggae-Welle aus neuinterpretierten Klassikern und eigenen Kompositionen, diesmal mit dem Hamburger Singer/Songwriter Ingo Pohlman; Edo Zanki präsentiert mit dem zwischen brasilianischem, jazzigem und modernem Pop changierenden und als Gitarrist der Söhne Mannheims bekannten Michael Koschorreck, kurz Kosho, und dem Ulmer Trompeter Joo Kraus (21.8.) sowie dem alles andere als klassischen Singer/Songwriter Dominik Steegmüller (11.9., jeweils 20 Uhr, Eintritt: zehn Euro) drei ebenso unterschiedliche wie spannende Musikerkollegen. Schlossgarten vor Substage sagten sich im „Festivalsommer“ auch die Kavantgarde-Macher um Jakob Siegmund und feiern das „Sommerfest“ (28.8., 19 Uhr) ihrer Kunst- und Kulturplattform im Rahmen von „KA300“. Dessen Line-up bilden die Jazz’n’Basser von Le Grand Uff Zaque, Organic-Electronic-Sängerin La Petite Rouge, die Rapper Mas und Schote, die Elektronik-DJs Jan Beric und Julian Wright alias Fait du Prince, Johannes Tutsi und Pressious sowie der für die Visuals zuständige Medienkünstler Thorsten Schwanninger. Wer sich in diese Liste einreihen möchte, besucht die „Werkstadt“, wo am Mi, 29.7. ab 15 Uhr das Finale des „Enter The Club“-DJ-Contests steigt. Anmeldung unter entertheclub@kavantgar.de. Gunzi Heils und Marcus Dürrs vorlaute Puppen-Trash-Theater-Truppe um Ulf und Bogart beschäftigt sich in „Vorsicht Poppets – Die Show!“ (18.9., 20 Uhr, Eintritt: zehn Euro) nebst Überraschungsgästen mit dem Pavillon und anderen „Karlsruher Vollpfosten“, bevor Christian Nainggolan aka Lego, Thomas Hammann und die international durchgestarteten Âme in Person von Frank Wiedemann zum Abschluss des „Festivalsommers“ beim „Heimweh“ (25.9., 21 Uhr, Eintritt: zehn Euro) nach der „Fernweh“-Party von Shahrokh Dini Ende Juni nochmals den Schlo-Club aufsperren.
Festivalfieber (Samstag)
In dieser eintrittsfreien Rubrik laufen einige der hochkarätigsten Pavillon-Dates. Neben den „Globale“-Abenden mit den beiden DJs Den Sorte Skole (29.8., 22 Uhr), der Supergroup Apparatjik presents Note Value Auction (12.9., 21 Uhr) und der „S.E.F.A.“-Performance des angolanischen Multimediakünstlers Nástio Mosquito (15.8., 22 Uhr, siehe separate Texte) gibt „Das Fest“ ein Geburtstagsständchen: Die „Drum Night“ (18.7., 21 Uhr) klopft mit sieben renommierten Schlagzeugern aus der Region um Marcel Millot und Tommy Baldu, nationalen Berühmtheiten wie Grönemeyer-Bandmitglied Armin Rühl und Phil-Sänger Jürgen Mayer Stücke von Genesis bis Led Zeppelin ab. Deutschsprachige Akustik-Pop-Arrangements akzentuiert die Mainzer Minimalistin Jasmin Stocker alias Mine, die beim Doppeldate auf Lilabungalow (8.8., 20 Uhr) trifft. Das Trio stellt sein neues Album „Peace To Gold“ vor, bei dem elektronische und klassische Songs, Disko und Alternative Country eine Achse bilden. Zum ersten Mal in Karlsruhe gastiert der französische Shootingstar Jérôme „Talisco“ Amandi (Mi, 12.8., 20 Uhr) mit seinen in Englisch gehaltenen actiongeladenenen Dream-Pop- und Trance-Hymnen rund um die Hitsingle „Your Wish“. Ihr Debüt gibt auch die aus Freerunning, Artistik, Tricking und Beatboxing zusammengestellte Parcour-Show der Young Urban Moves (22.8., 20 Uhr), dem gemeinsamen jugendkulturellen Projekt von Tollhaus und dem Aktions- und Zirkusbüro des Stadtjugendausschusses, der außerdem sein Musikmobil Soundtruck vorbeischickt: Die „Zukunftsmusik“ (19.9., 20 Uhr) kommt dabei von den Singer/Songwriterinnen Tina Loeffl und Liv Solveig Wagner, dem Chanson und Electro mit alemannischen Texten kombinierenden Trio Mockemalör und dem Hip-Hop, Balkan und Jazz verfeuernden Pralla Soundsystem.
Klangfrühstück (Sonntag)
Ob im Pavillon oder auf einer Picknickdecke im Schlossgarten – mit Croissant, Kaffee und den von Peter Lehel kuratierten Frühstückskonzerten (11 Uhr, Eintritt: zehn Euro) klingt die „Festivalsommer“-Woche aus. Und der Saxofonist ist gleich zweimal selbst mit von der Partie: Als „Swingin’ Gentlemen“ (9.8.) tut sich seine Combo für Songs von Frank Sinatra, Dean Martin und anderen Größen des Showbiz mit Siegfried Rauch und Band zusammen, dann stimmt das vielseitige und extrem wandlungsfähige Peter Lehel Quartet (30.8.) im Programm zur neuen Doppel-CD „Chamber Jazz“ Kammermusik an. Unterstützung erhalten die ebenfalls klassisch ausgebildeten Vollblutjazzer vom international renommierten Karlsruher Klarinettisten Wolfgang Meyer. Den Kontakt zu seiner Heimatstadt hat der mit Band und Special Guests aufwartende Trompeter Thomas Siffling (16.8.) durch zahlreiche Tempel-, Tollhaus-, Jazzclub- und ZKM-Gastspiele sowie die 2014 gestartete „Jazz Night“-Reihe am Badischen Staatstheater nie wirklich abgebrochen; und auch der heute in London und New York anzutreffende Pianist Kristjan Randalu (23.8.) unternahm seine ersten Jazz-Gehversuche bekanntlich in der Fächerstadt. -pat
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