Karls-Ruhe? Zwei ZKM-Projekte erkunden den Sound der Stadt

Stadtleben // Artikel vom 22.12.2015

Jemand hustet, Gläser klirren, im Hintergrund löst Yazoos „Don’t Go“ einen Radiohit jüngerer Zeiten ab.

Das Auto von ganz weit weg kommt näher, deutlich hörbares Wendemanöver, Holz knarrt, ein Mann sagt etwas auf Deutsch mit Akzent, Inhalt unverständlich. Unterhaltungen, Männer, Frauen, gedämpft. Am Wochenende ist es hier noch lauter, aber auch heute, Mittwochabend, gehört der Karlsruher Werderplatz zu den belebteren Orten der Stadt. Das verdeutlicht seine Geräuschkulisse, in die sich zu jeder Sekunde der Woche online eintunen lässt. Möglich macht das ein versteckt positioniertes Mikrofon des ZKM, quasi ein „Webmic“ (analog zur Webcam), das Teil des Projekts „Next City Sounds“ ist. Weitere solche Mikrofone sind unter anderem auf dem Bahnhofsvorplatz und ums ZKM installiert (unter Berücksichtigung der Privatsphäre, das heißt, niemand soll belauscht oder eindeutig erkannt werden können).

„Wir wollten unsere Beschäftigung mit Klang im öffentlichen Raum vertiefen, uns aber auch mit Zukunftsszenarien beschäftigen“, erzählt Marie-Kristin Meier vom Institut für Musik und Akustik (IMA) des ZKM. „Next City Sounds“ ist geförderter Teil des Wissenschaftsjahres 2015 mit seinem Thema „Zukunftsstadt“: „Wir fragen uns, inwiefern die klanglichen Eigenschaften einer Stadt – auch ihre zukünftigen – von den Bürgerinnen und Bürgern mitgestaltet werden können.“ Eine Frage von Relevanz? Karlsruhe hat die seltene Ehre, einen akustisch bedeutsamen Namen zu besitzen. An vielen Stellen ist die Stadt aber gerade das klingende Gegenteil. „Das Thema Lärm ist in Karlsruhe durch die ganzen Baustellen akut“, weiß auch Meier.

Anfang Dezember trafen sich Stadtplaner, Klangkünstlerinnen und weitere Akteure zwischen Architektur, Akustik und Kunst beim „Next City Sounds“-Symposium im ZKM, um das Thema „Stadt und Sound“ auf seine Probleme und Chancen hin zu erörtern. Mindestens zwei Aspekte lassen sich festhalten: Klang spielt in Architektur und Stadtplanung seit Jahrhunderten eine untergeordnete Rolle. Sogar visuell ansprechende, aber akustisch problematische Konzerthäuser existieren. Das Team vom IMA bemüht sich, mit Planungs­initiativen wie dem „Quar­tier Zukunft“ in Karlsruhe in Kontakt zu treten, um für das Thema zu sensibilisieren. Außerdem: Denkt man an die Klangkulisse einer Stadt, assoziiert man damit für gewöhnlich Lärm. Der ist schlecht und soll reduziert werden, so die gängige Meinung. Hier liegt womöglich der Fehler.

Klar, (dauerhafte) Baustellenbeschallung ist anstrengend, im schlechtesten Falle gesundheitsgefährdend und muss kritisch betrachtet werden. Andererseits gehört es doch zum Ausdruck von Trubel und Lebendigkeit einer Stadt, einen gewissen Lärmpegel zu haben, im Gegensatz zu Dorf und Wiese – und Verkehrslärm beispielsweise dient als Informationsträger auch der Sicherheit anderer Verkehrsteilnehmer. Wie die schrillen Aufschreie der neuen Straßenbahnwagen beim Anfahren zu bewerten sind, ist wohl streitbar. Nebenbei: Die holprigen, charmant-groben Geräusche der alten „5“ wird es nie wieder geben, hier hat der Sound von Karlsruhe erst neulich eine Stimme verloren. „Man redet ja zuerst immer von Lärmreduktion. Wir haben durch unser Projekt aber auch Potenziale im Klang der Stadt erkannt, auf die man sich konzentrieren und mit ihnen den Stadtraum gestalten kann“, berichtet Meier.

Die Website von „Next City Sounds“ bietet die Möglichkeit, andere Klänge zu den Live-Streams hinzuzumischen – Regen, Stimmen, Brunnen – und so zu überlegen, wie vielleicht auch eine zusätzliche Klangebene zur akustischen Verbesserung eines Ortes und letztlich der Lebensqualität beitragen kann. „Das Hinzufügen von bestimmten Klängen schafft gleich einen anderen Bezug zum Sein, auch wenn das meist unbewusst wirkt“, bekundet Ludger Brümmer, Leiter des IMA, und nennt als Beispiel die plätschernden Minibrunnen aus dem Baumarkt. „Es gibt keine bewusste Kultur der Klangverbesserung.“ Marie-Kristin Meier fügt hinzu: „Es gibt ganz unterschiedliche, auch kulturell geprägte Bedürfnisse und Erwartungen an Akustik in der Stadt.“ Noch ein Beispiel aus Karlsruhe, nochmal Werderplatz, sind die ganz unterschiedlichen Meinungen darüber, wo und zu welcher Uhrzeit welcher Geräuschpegel zu herrschen hat. Die Meinungen von Barbetreiberinnen und bestimmten Anwohnern gehen da bekanntlich weit auseinander. Ausgangspunkt für „Next City Sounds“ war das IMA-Projekt „My City, My Sounds“ von 2014.

Ebenfalls über eine Webseite können seitdem alle, die möchten, in Karlsruhe aufgenommene Klänge hochladen und genau auf dem Stadtplan positionieren, ähnlich wie Bilder bei Google Maps. Eine zugehörige App bietet die Möglichkeit, von ZKM-Gastkünstlern erdachten Audiowalks durch die Stadt zu folgen oder selbst einen zu erstellen. Wie vielfältig Karlsruhe dann doch klingt, zeigt das Spektrum der Aufnahmen online: Am Rheinhafen surren Modellboote, Wasser und Schwimmende hallen im Fächerbad, das Ausleihen einer DVD im Stadtmedienzentrum wird zum akustischen Erlebnis, auch die Baustellen spielen ihr eigenes Konzert. Und sonntags, auch das zeigt „My City, My Sounds“, ist es sogar mal in der Südstadt still. -fd

Zurück

Einen Kommentar schreiben

Bitte rechnen Sie 3 plus 8.

WEITERE STADTLEBEN-ARTIKEL