Karlsruhe, deine Apps: KVV Regiomove – ein Erfahrungsbericht

Stadtleben // Artikel vom 03.06.2022

Eine Smartphone-App, die ihre dreibuchstabige Daseinsform im Namen führt, verheißt selten Gutes.

Abgesehen davon, dass es nicht eben von überbordender Kreativität zeugt, ein Stück Software auch noch als solches zu benennen, mangelt es diesen Applikationen oftmals an technischer Reife: Man denke nur an die halbgar für teuerstes Geld an den Start gegangene „Corona-Warn-App“; die „DAK App“ ist ein weiteres Musterbeispiel der Unzulänglichkeit. Ganz brauchbar ist inzwischen die E-Paper-App der BNN, die der „Best Ager“-Durchschnittsleserschaft lange mittels einer Banderole auf dem Icon sicherheitshalber nochmals verdeutlicht hat, was sie da auf ihrem Telefon installiert haben: Oha, eine App! Aber die vermeintliche Internethauptstadt Karlsruhe hat ja in dieser Hinsicht schon so manchen Rohrkrepierer produziert. Vielleicht erinnert sich noch jemand an den 2011 mit viel Tamtam vorgestellten und sang- und klanglos wieder in der Bedeutungslosigkeit verschwundenen Hosentaschenveranstaltungskalender „Kultur in Karlsruhe“. Jüngste Offenbarung: die Ende 2021 nach drei Jahren Entwicklung veröffentlichte Multifunktions-„Karlsruhe App“. Im Auftrag der Stadt von CAS für 800.000 Euro Landesförderung programmiert, wurde sie angekündigt als „neuartiges Portal für alle digitalen Dienste der Stadt, das individuell gestaltbar ist und über ein Benutzerkonto mit nur einmaliger Anmeldung funktioniert“, kam aber zum Launch über eine Linksammlung im App-Korsett kaum hinaus. Selbst Zoo- und ÖPNV-Tickets sollten buchbar sein – und damit reiht sich die „Karlsruhe App“ ein in die wechselhafte Geschichte der Handyfahrkarten-Applikationen des Karlsruher Verkehrsverbunds.

von Patrick Wurster

Als Brettener verkehre ich regelmäßig auf der Linie S4 nach Karlsruhe und bin somit langjährig leidgeprüft von oft gar nicht oder nur eingeschränkt funktionierenden Fahrkartenautomaten; und sei es nur, weil mir ein roter Balken signalisiert, dass heute mal wieder keine Geldscheine angenommen werden. Ein ganz anderes Aufregerthema: Seit dem Fahrplanwechsel am 12.12.21 gibt es im Gegenzug keine Stempelkarten mehr, sondern nur noch Tickets zum sofortigen Fahrtantritt und ersatzweise für die abgeschaffte Viererkarte in Kürze Einzelfahrscheine zum Selbstausfüllen im Fünferblock. Auch sind die Fahrkartenautomaten aus vielen Stadtbahnen verschwunden, während in allen Trams weiterhin Automaten hängen – was wiederum bedeutet, dass man dem (auswärtigen) Fahrgast zumutet, vor Fahrtantritt zwischen AVG- und VBK-Bahn zu unterscheiden. Aus all diesen Gründen bin ich, zumal als Technik-Aficionado, erklärter Freund des digitalen Fahrscheins. Dass ich mit meinem über 30 Jahre alten 3er-BMW selbst bei zwei Euro Spritpreis günstiger ins INKA-Büro fahre (komfortabler, individueller und doppelt so schnell sowieso) als bei einem Fünf-Waben-Preis von inzwischen 5,40 Euro ist ein weiterer Systemfehler. Bei meinem Einzug in Bretten 2008 betrug der Fahrpreis noch weniger als die Hälfte. Seither nutze ich die Apps des KVV, anfangs die simple „KVV Ticket“, später die um Standortdienste und Echtzeitverbindungen erweiterte parallel verfügbare „KVV Mobil“. Weil ich es noch komfortabler haben wollte, registrierte ich mich obendrein für „Ticket2go“, um anlassbezogen im Stadtgebiet den Luftlinien-E-Tarif nutzen zu können: Bei Fahrtantritt ein- und an der Endhaltestelle wieder auschecken und die App ermittelt den besten Fahrpreis – so muss das heutzutage. Bis „Ticket2go“, die der KVV mit 21 anderen Verkehrsverbünden aus Ba-Wü betrieben, aber nur wenig beworben hat, am 14.12.19 nach zwei Jahren aus Wirtschaftlichkeitsgründen eingestellt wird; zum 20.12.21 ging auch „KVV Mobil“ vom Netz.

„‚KVV Mobil‘ war eine Zwischenlösung, bis unsere eigene, damals bereits als Projekt gestartete App ‚Regiomove‘ weit genug entwickelt war. ‚KVV Mobil‘ hätten wir nicht mehr weiterentwickeln können. Dazu gab es auch vonseiten des Vertragspartners Mobimeo keine Bereitschaft“, erläutert mir KVV-Pressesprecherin Sarah Fricke. Und so beschert die Eröffnung der U-Strab Karlsruhe einen neuerlichen App-Launch: „Bei der Weiterentwicklung zu einem Mobilitätsverbund und der Vernetzung unterschiedlicher Verkehrsmittel (ÖPNV, Car- und Bikesharing, On-Demand-Verkehre, E-Scooter) will sich der KVV zukünftig ganz auf seine neue App ‚KVV Regiomove‘ konzentrieren und seinen Fahrgästen über diese zentrale Plattform nach dem Prinzip des Single-Sign-On (ein Benutzerkonto für alle Services) ein Mobilitäts- und Serviceangebot aus einer Hand bieten. So benötigen unsere Kunden keine unterschiedlichen Apps, um auf verschiedene Services zugreifen zu können“, informiert mich der KVV am 24.11.21 per Mail. Dabei bin ich weder erpicht darauf, zu scootern, noch will ich ein Nextbike oder ein Stadtmobil leihen – ich möchte einen Fahrschein lösen. Aber man muss nehmen, was man kriegt. Also „Regiomove“ heruntergeladen, was meine Frustrationstoleranz umgehend auf eine harte Probe stellt: Nach der Registrierung von Handynummer und E-Mail scheitere ich wiederholt schon am Login und drehe Dauerschleifen über den Splash-Screen, der mir wieder und wieder eine in gewöhnungsbedürftiges Rosa und Lila getauchte Fliegende Untertasse vorsetzt: „Alles außer beamen“. Ich habe ganz andere Sorgen, als mir Gedanken darüber zu machen, ob ich das nun voll genial oder total bescheuert finden soll. Ohne mir ersichtlichen Grund begrüßt mich die App nach zig gescheiterten Anläufen und Dutzenden Code-SMS plötzlich doch noch mit „Hallo Patrick“ auf der Kontoseite. Mein Hochgefühl, über das (inzwischen zum Glück eliminierte) einäugige Alien triumphiert zu haben, wird beim Versuch, meine Kreditkarte zu hinterlegen, jäh abgewürgt. Auch die Icons der für mich irrelevanten Verkehrsmittel verschwinden trotz abhaken im Mobilitätsprofil nicht. Hier verliert man sich dafür im Klein-Klein und kann etwa die (im Falle eines Umstiegs u.U. durchaus ausschlaggebende) Gehgeschwindigkeit zwischen drei und sieben Kilometern einstellen. Aber das groß angekündigte Single-Sign-On? Bleibt ein nicht eingelöstes Versprechen. Ausgerechnet für die von mir zurückersehnte „KVV Luftlinie“, den „Ticket2go“-Ersatz, benötigt man wie ehedem eine zusätzliche App samt separatem Login: „Fairtiq“ aus Bern, was neben einem zweiten Vertragspartner auch Datenschutzfragen mit sich bringt.

Apropos Schweiz: Wie smart eine ÖV-Komplettlösung aussehen kann, erfahre ich regelmäßig beim Besuch meiner Freundin Sam in Egg bei Zürich. Der dortige Verkehrsverbund ZVV bietet schon jahrelang eine schlanke, funktionale und auch noch gutaussehende Fahrkarten-App samt integriertem Check-in/Check-out-Ticket an – seit August 2021 ebenfalls mithilfe von „Fairtiq“. Alles aus einem Guss, was auch unter CI- und Vermarktungsaspekten nicht unwesentlich ist. Während „Fairtiq“ beim ZVV elegant in die App integriert ist, muss ich beim KVV zwei Applikationen mit separaten Accounts und Abrechnungen nutzen. Warum das Zürcher Modell hier (noch) nicht umgesetzt wurde? „Aufgrund der engen Zeitschiene – Tunneleröffnung und ‚Homezone‘-/‚Luftlinien‘-Launch zum 12.12.21 zu ermöglichen – wäre die Tiefenintegration nicht realistisch umsetzbar gewesen. Wir haben gemeinsam mit dem Partner entschieden, schnell zu starten, Erfahrungen zu sammeln und mögliche spätere Ausbauschritte anschließend zu bewerten“, erklärt mir Barbara Tobler Steiner, Pressesprecherin der Fairtiq AG. „Wir wollten unseren Fahrgästen die ‚KVV Luftlinie‘ schnellstmöglich anbieten und das ist uns zur Tunneleröffnung auch gelungen. Ein Luftlinienersatz und Kurzstreckentarif wurde schon lange gefordert. Wir sind damit also vielfachen Kundenwünschen nachgekommen. Eine Tiefenintegration war so schnell technisch nicht umsetzbar“, bekräftigt Fricke. Wohlgemerkt erschien die als „Zwischenlösung“ bezeichnete „KVV Mobil“ bereits 2017 – aber die U-Strab kommt offenbar trotz hoffnungsloser Verspätung ebenso unerwartet wie Weihnachten. Mit Raumobil aus Durlach war ein lokaler Dienstleister mit vordergründig einiger Expertise in Sachen „Digitaler Mobilitätslösung“ mit der Programmierung beauftragt. Zwei schriftliche Anfragen, mir einen Ansprechpartner zu nennen, der sich zum Produkt äußert, blieben unbeantwortet.

Während ich mit dem ZVV-Check-in-Ticket von Egg in die Kantonskapitale gleich teuer wie mit einem einfachen Einzelbillett zu 10,80 Franken bzw. zurück ins Zürcher Oberland unterm Strich sogar ein bis zwei Franken günstiger fahre als mit einem regulären Ticket, kostete mich das Experiment, ‚Fairtiq‘ im KVV überland auf ähnlicher Streckenlänge von Bretten nach Karlsruhe zu nutzen, bei nur einer Fahrt sogar mehr – auch wenn die 40 Cent sicher nicht mein Abendbudget gesprengt haben. Dass ich hernach die Info zugemailt bekam, im Vergleich zur Autofahrt 3,5 Kilo CO2 gespart zu haben, für deren Absorption ein Baum einen Monat brauchen würde, beruhigt mein Gewissen, kann das Unverständnis aber nicht mindern. Von Fairtiq erhalte ich dazu dieselbe Antwort wie schon BNN-Leser Klaus Mayer (Ausgabe vom 24.1.22): „Jeder Verkehrsverbund hat verschiedene Abrechnungsmodalitäten (Tarife), welche in der App hinterlegt sind. In einigen Regionen wird permanent der Luftlinien- mit dem vorhandenen Waben-/Zonentarif verglichen und das günstigere Produkt abgerechnet. Im KVV ist dies nicht der Fall, weil unsere Zusammenarbeit bis jetzt ausschließlich den Luftlinientarif umfasst. Die Entscheidung über den Tarif liegt beim KVV. Gespräche über die Weiterentwicklung laufen. Die Kundenrückmeldungen fließen dort mit ein. Luftlinientarife sind grundsätzlich fairer, aber nicht für alle NutzerInnen immer günstiger“, so Tobler Steiner. Fricke ergänzt: „Die ‚KVV Luftlinie‘ ist wie der Name schon sagt ein Produkt, das sich an der tatsächlich gefahrenen Strecke orientiert und eben nicht an den Waben. Daher ist sie besonders für Kurzstreckenfahrer z.B. innerhalb der Städte Karlsruhe und Baden-Baden sehr attraktiv. Aber auch für Menschen, die nah an einer Wabengrenze einsteigen und in eine benachbarte Wabe einfahren. Sie ist explizit kein Produkt, um damit durch das ganze Netz zu fahren. Die ‚KVV Luftlinie‘ ist bei mehreren Fahrten auf ein Tagesticket Regio gedeckelt. Mehr müssen Fahrgäste also in keinem Fall bezahlen.“ Das stimmt – hätte ich ‚Fairtiq‘ auf dem Hin- und auf dem Herweg genutzt, wäre ich mit 10,80 Euro ebenso dran gewesen wie mit zwei Einzelfahrscheinen. Immerhin: „Der Preisabgleich beim Einzelticket soll noch in diesem Jahr kommen.“ Bis dahin gilt es, vor Fahrtantritt auf kvv.de selbst herauszufinden, welches der günstigere Tarif ist – ich habe es nicht geschafft.

Als „Regiomove“ Wochen nach meiner Erstinstallation auch das von vielen vehement geforderte Paypal als Zahlungsmittel akzeptiert, traue ich mich erst fast nicht, umzusteigen – als ich mich durchringen kann, habe ich aber schon wieder ein altbekanntes Problem: Die App hat mich (mal wieder und ausnahmsweise mit ersichtlichem Grund) nach dem Update ausgeloggt… Ich beweise einmal mehr den längeren Atem, lasse mir eine SMS nach der anderen schicken, bis ich auf wundersame Weise plötzlich wieder drin bin. „It’s not a trick, it’s a Sony“? Nun ist mein geliebtes, weil so wunderschön kompaktes Xperia X zugegeben kein brandneues Modell und Android hat seit Oreo auch schon ein paar Versionssprünge gemacht. Sonst laufen alle Applikationen tadellos flott, ich schaue dennoch selbstkritisch bei „Google Play“ nach – und stelle nicht ohne eine gewisse Genugtuung fest, dass andere selbst mit modernsten High-End-Geräten vor genau denselben Einstiegshürden gestanden haben. Mit 1,5 von fünf Sternen und vielfach vernichtenden Userkommentaren in den über 600 Bewertungen schneidet „Regiomove“ unterirdisch ab; die iOS-Version kommt mit 1,7 Sternen bei über 300 Bewertungen nicht sonderlich viel besser weg. Einer der Hauptkritikpunkte selbst im Apple-„App Store“: die miese Performance. „Der KVV nimmt diese Kritik sehr ernst, betrachtet jede einzelne Kundenäußerung und analysiert sie. Vieles wird in zukünftige Updates aufgenommen und die App sukzessive verbessert“, verspricht Fricke. Dass es mit „KVV Info“, „KVV Easy“ („My Shuttle“ in Ettlingen, Marxzell, Dettenheim u. Graben-Neudorf) und „KVV Bike“ drei weitere Apps gibt, deren Zweck teils alles andere als selbsterklärend ist, macht das Angebot des Verbunds noch unübersichtlicher. Warum hat man diese Funktionen nicht in „Regiomove“ übernommen? Wenigstens soll „‚KVV Easy‘ noch in diesem Jahr in ‚Regiomove‘ integriert werden. ‚KVV Info‘ ist eine reine Pendler-App, die für diese Zielgruppe spezielle Features bietet – z.B. eine Push-Nachricht bei verspäteter Bahn. Das kann ‚Regiomove‘ nicht.“ Warum, lässt Fricke offen.

Dennoch zeigt man sich zufrieden mit der Entwicklung: „Die neuen Tarife werden sehr gut angenommen und wir freuen uns über die gute Akzeptanz, die zeigt, dass wir offensichtlich jetzt einen sehr guten Mix aus herkömmlichen Papierfahrscheinen, attraktiven Abo-Angeboten und modernen Digitaltarifen im Portfolio haben“, befindet Fricke. „Seit dem Launch vom vergangenen Dezember verzeichnen wir ein stetes Wachstum und haben bereits über 5.700 aktive Nutzer im KVV. Zudem können wir beobachten, dass die Anzahl getätigter Fahrten um zehn bis 20 Prozent pro Monat wächst. Insgesamt wurden bereits über 100.000 Fahrten mit der ‚Fairtiq‘-App im KVV gemacht. Verhältnismäßig bewegen sich die Kundenrückmeldungen betreffend Tarifberechnung in sehr niedrigem Bereich“, resümiert Tobler Steiner. Nach mehreren Updates läuft „Regiomove“ in der Version 2.0.8 (67) auch bei mir seit Kurzem stabil – und in Kombi mit dem Neun-Euro-Monatsticket gerade noch rechtzeitig, um doch nicht auf meinen Bruder Benjamin zu hören, der das als Jurist ganz pragmatisch sieht: „Warum nimmste nicht einfach den ‚DB Navigator‘?!“

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