Kioske in Karlsruhe
Stadtleben // Artikel vom 11.08.2021
Plädoyer für eine neue Aufenthaltskultur von Roger Waltz.
Von 2006 bis 2008 existierte auf Initiative einer Gruppe von Kunstakademie- und HfG-Studierenden „Le Kiosk“, ein Kooperationsprojekt für den öffentlichen Raum. Schon der Name versprühte eine gewisse französische Leichtigkeit. Ersonnen von Sanne Pawelzyk formierte sich eine Gruppe mit Crista Fuelbier, Andreas Arndt, Danielle Scheuer sowie Werner Reiff und Max Kosoric, die den Kiosk gebaut und die Idee mit Leben gefüllt haben.
Mit gewachsenen Kioskkulturen wie in Paris, Accra, Berlin oder dem Ruhrpott wird man sich hier nie vergleichen können. Der Stadtumbau, der Strukturwandel im Handel, Cityverödung und nicht zuletzt die Pandemie würden aber eigentlich zwingend ein Umdenken erfordern. Nun ist auch der Umgang mit seinen Plätzen in Karlsruhe obrigkeitshörig: Okay, nicht alle sind mit Kriegerdenkmalen und – das soll vermutlich inhaltlich deeskalierend passend sein – Friedhofsbegrünung versehen. Nun ja, es kann nicht nur Haydn- oder Lidellplätze geben, wobei letzterer ebenfalls erheblichen Renaturierungsbedarf hat. Statt zumindest den Friedrichplatz mit einer klugen temporär angelegten Kioskstandkultur zu versehen, soll sich auch hier offenbar Systemgastronomie breitmachen dürfen. Dabei ist – z.B. im „To go“-Iaro in der Sophienstraße – zu sehen, dass eine Bank, zwei Schirme und zweidrei mobile Sitzeinheiten genügen, um sogar stilvoll-lockere Aufenthaltsorte von begrenztem Umfang zu haben.
Nur muss man sich hierzustadt endlich bewegen. Hätte man wie geplant noch Sitzbänke aus Regenwaldholz auf dem Marktplatz platziert, ginge er auch locker als Mahnmal für den Umweltschutz und die früher mal irrwitzige Versiegelung von Flächen durch. Der Stephanplatz: eine Betonwüste. Mittags sieht man hier auf den Betonbalustraden Dutzende Leute in Reih und Glied in sich zusammengesunken ihren Mittagsmampf reintun. Schauen wir mal um die Ecke. Europaplatz: ein einzigartig verwahrlostes Stelldichein aus Altölbratereigestank und man glaubt es kaum: Betonbänken. Immerhin Betonbänke, die fehlen hinten auf dem Stephanplatz. Es gibt auch positive Beispiele, die zeigen, dass man, wenn man denn will, auch ernsthaft Positives bewegen kann: Unlängst ist eine ganze Enquete-Kommission der Stadt unter Federführung des Gartenbauamts mit einer positiven Bebankung der Südlichen Waldstraße aufgefallen. Die Bänke geben zusätzliche Struktur, federn etwas den Radschnellweg ab, bremsen die Autos aus. Hier stehen Bänke, auf denen sich sogar freiwillig jemand hinsetzt, der besseres Tuch anhat.
Karlsruhe benötigt dringend eine neue Stadtmöblierung! Diese folgt einem Obrigkeitsdenken aus der Zeit der Großherzöge. Gewünscht wäre ein neuer menschen-, kinder- und bürgerfreundlicher Umgang mit seinen Plätzen, aktuellen und möglichen neuen Aufenthaltsorten. Vegane Kioske, Cafékioske, Kunsthandwerkskioske, Support der hiesigen Kleingastronomieszene. Die vielen inhabergeführten Cafés der Stadt sind bekanntlich deren beste Botschafter. Mehr Kioske, weniger Einschränkungen, mehr offene Locations mit Gastromöglichkeiten ohne Abfall. Mehr Parkflächen für Outdoorschänken, die so Parkplätze der Allgemeinheit zuführen. Mehr Plätze um zu picknicken. Stattdessen verhält sich die Stadtverwaltung so, als ob sie es den Menschen verleiden will, öffentliche Plätze aufzusuchen. Um sich zu treffen. Die größte öffentliche Clublocation ist ja seit vielen Jahren der Schlossgarten. Toiletten hier? Ne. Genug Abfalleimer? Ne. Es sieht jeden Morgen aus wie nach dem Sperrmüll.
Mein Lieblingskiosk während der Pandemie wird gerade saniert, was vermutlich Jahre dauert: der DLRG-Kiosk in Rappenwört. Jedenfalls ist der Stadtstrand am Rhein rund um das Häuschen ein toller Ort, es weht immer ein Lüftchen. Und die Bewirtung hat Niveau, guter Kaffee und frische Kuchen, gute Auswahl an Getränken. Das Naturschutzzentrum ist in der Nähe. Nicht nur Spaziergänger am Rhein goutierten den zunächst als Geheimtipp gehandelten Meeting-Point, eine Idee von Susanne Metzger. Die betreibt noch einen weiteren meiner Lieblingskioske, den am Ludwigsplatz. Er ist sogar gebaut wie eine Kiosknachbildung des Karlsruher Schlosses. Uralt, steht unter Denkmalschutz. Und zählt am Ludwigsplatz zum Inventar, auch er wird von Susanne Metzger geführt. Die umtriebig-freundliche Gastronomin hat auf Anhieb auch gleich die halbe Geschichte des Kiosks parat.
Während der Pandemie hatten Kioske und die wenigen offenen „To go“-Gastrobetriebe eine wichtige soziale Relevanz. Nun ist ausgerechnet der Kiosk am Europaplatz ein besonders abschreckendes Beispiel von hässlichem Kioskbau. Und hat trotz seiner extrem abweisenden plastikhaften Scheußlichkeit dennoch eine soziale Funktion. Wie verschieden diese ist, zeigt sich an den Beispielen Kolpingplatz (derzeit noch geschlossen wegen Inhaberwechsel) und Mühlburg am Entenfang. Letzterer ist ein kleines Prekariatsauffangbecken, aber straff organisiert. Daneben gibt es internationale Presse und das INKA StadtBlatt. Besser situiert ist klar das Lümmelvölkchen am Kolpingplatz. Statt die Begegnungskultur zu diversifizieren und wo immer möglich eine neue Stadtmöblierung zu erfinden oder wenigstens zu erlauben und zu genehmigen, sollen freistehende Kioske in die leerstehenden Gebäude reingedrückt werden. Das sanktioniert nur die Cityödnis.
Dabei gibt und gab es auch in Karlsruhe alternative Kooperationsprojekt wie „Le Kiosk“ für den öffentlichen Raum. Von 2006 bis 2008 war das Projekt von Sanne Pawelzyk, Max Kosoric mit Crista Fuelbier, Andreas Arndt, Danielle Scheuer und Werner Reif aktiv. Hier konnten sich KünstlerInnen vorstellen, während der Kiosköffnungszeiten gab es ein Programm mit Performances, Vorträgen, Filmvorführungen, Lesungen und Konzerten. Dadurch war das Projekt zugleich Treffpunkt und Spielplatz und bot Anregung zu Kommunikation, Diskussion, Vernetzung, Gemeinschaftsgeist und Kollaboration. In der sympathisch einfachen Konstruktion war die Mobilität des Projekts bereits angelegt. 2006 stand der selbstentworfene Kiosk sechs Wochen lang im Karlsruher Nymphengarten, 2007 im Parc Ed Klein in Luxemburg und 2008 wurde das Konzept für die von Thomas Thiel und Gregor Jansen kuratierte Ausstellung „Vertrautes Terrain“ im ZKM noch einmal erweitert und modifiziert. „Le Kiosk“ fungierte auch während der WM auf dem ZKM-Vorplatz als Künstlertreff und Veranstaltungsplattform. -rowa
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