Lebensmittel nach Hause: Verdrängungskampf der Plattformökonomie
Stadtleben // Artikel vom 06.10.2021
Nach den Lieferungen aus Restaurants kommen derzeit immer mehr Lebensmittellieferdienste in die Stadt.
Mit Gorillas und Flink versuchen in Karlsruhe gleich zwei neue überregionale Anbieter mit dem Versprechen einer Lieferung auf dem Fahrrad binnen zehn Minuten vor die Haustür den Markt zu erobern. Die Strategie der beiden Start-ups erinnert an Lieferando oder auch Flixbus, die mit günstigen, manche sagen ruinösen Angeboten den Marktanteil auszuweiten versuchten, um dann auch durch die Übernahme vorheriger Konkurrenten als Quasimonopolist das neue Geschäftsfeld zu dominieren. Das schnelle Wachstum unter großen finanziellen Verlusten geht auf Kosten der Beschäftigten, sagen zumindest die Rider bei Gorillas, die sich in den vergangenen Wochen immer wieder selbst zu wilden Streiks organisierten. Kritik übten sie an den Arbeitsbedingungen, ungenügender Ausstattung und befristeten Verträgen. Zudem forderten sie eine bessere Bezahlung und fairere Behandlung durch den Arbeitgeber, der i.d.R. nur per E-Mail erreichbar sei. Dagegen würden die Rider und ihre Auslieferung per Algorithmus ständig überwacht.
Auf INKA-Anfrage verwies Gorillas darauf, dass alle Rider mit Teil- oder Vollzeitverträgen ausgestattet seien, die Arbeitszeiten festlegen und Mindestarbeitszeiten garantieren würden. Zudem hätte das Unternehmen auf die Kritik und die Streiks mit einem Aktionsplan reagiert, der „konkrete Verbesserungen“ wie „leichtere Maximalgewichte für Lieferungen, individuelle Schichtplanung und eine transparentere Erfassung der Arbeitszeiten“ umfasse. Diese Konflikte erinnern stark an die teils heftigen Auseinandersetzungen bei Lieferando. Heute werden die Fahrer dort alle unbefristet und regulär angestellt und erhalten nach Angaben des Unternehmens ohne Trinkgelder einen durchschnittlichen Stundenlohn von 13 Euro. Schon seit 2011 setzt die Supermarktlette Rewe auf das Liefergeschäft mit Lebensmitteln. Corona hat das Geschäftsfeld interessanter gemacht. In der Pandemie habe sich das Volumen des Abhol- und Lieferservices mehr als verdoppelt, heißt es aus dem Unternehmen. Im Vergleich zu den neuen Start-ups arbeitet Deutschlands zweitgrößte Supermarktkette mit längerem Bestellvorlauf und Terminfenstern bei der Belieferung. Doch auch der selbsternannte „Pionier“ kommt an der Beschleunigung des Geschäfts durch die neuen Wettbewerber nicht vorbei. Anfang Juni stieg Rewe bei Flink ein und stellte neben Geld auch exklusive Unterstützung bei der Warenversorgung bereit.
Auch in Sachen Arbeitsbedingungen will sich Flink von der in den meisten anderen Bereichen ähnlich agierenden Konkurrenz abheben. „Die umfassende Berücksichtigung von sozialen und arbeitsrechtlichen Standards unterscheidet uns von einigen unserer Wettbewerber“, sagt das Unternehmen auf Anfrage und verweist auf hochwertige Ausstattung und Fahrräder sowie Sonderleistungen. Beim Stundenlohn oder dem Zeitdruck auf die FahrerInnnen unterscheidet sich Flink indes nicht von Gorillas & Co.In Karlsruhe will sich ein weiteres Start-up als lokale Alternative etablieren. Mit regionalen Produkten, die im direkten Austausch mit den Produzenten zu fairen Bedingungen ausgeliefert werden sollen, sehen die drei Gründer von The Local One aus Karlsruhe ein großes Potenzial. „Wir sind davon überzeugt, dass lokale und regionale Lebensmittel zu fairen Preisen, die man tagesfrisch nach Hause geliefert bekommt eine Bereicherung für viele Stadtbewohner sein kann“, sagt der Mitgründer Han Völker. Das derzeitige Bestellvolumen sei noch mit „ein bis zwei Fahrern pro Tag aus den Gründern selbst sowie Family and Friends zu bewältigen“, doch Völkers ist überzeugt, das Liefervolumen bald auf mehrere Hundert Bestellungen pro Tag steigern zu können.
Eine weitere lokale Alternative sind die Karlsruher Cap-Märkte, die ähnlich wie Rewe ein langfristigeres Lieferangebot offerieren, für die Fragen von INKA aber nicht zur Verfügung standen. Im Markt der Zehn-Minuten-Lieferdienste dürfte der Verdrängungswettbewerb noch lange nicht zu Ende sein. Lieferdienste wie Getir oder Grovy sind bereits in anderen deutschen Städten unterwegs. Ab Herbst wollen Foodpanda aus dem Delivery Hero Konzern und der mit 450 Standorten weltweit größte Lieferservice Gopuff auch auf den deutschen Markt drängen. In den kommenden Monaten dürfen wir uns also auf viele bunte Rucksäcke auf Fahrrädern in der Stadt einstellen, die sich dann bald wieder deutlich reduzieren dürften. -fk
„Die pure Bequemlichkeit“: DeliBurgers-Chef Lukas Möller über Lieferdienste
INKA: 2016 war DeliBurgers einer der ersten Foodora-Partner in Karlsruhe. 2018 wurde die Zusammenarbeit wieder beendet; zwischendurch habt ihr für einige Wochen auch mit Marktführer Lieferando kooperiert. Was hat dich dazu bewogen, von einem solchen externen Dienstleister Abstand zu nehmen?
Lukas Möller: Wir haben ganz einfach gemerkt, dass ein fancy Start-up, das schnell expandieren möchte, eine völlig andere Philosophie verfolgt. DeliBurgers setzt bekanntermaßen auf Qualität, konnte sie beim Lieferservice aber nicht halten, weil das Essen nur sehr unzuverlässig abgeholt und zugestellt wurde. Außerdem hatten wir irgendwann gar nicht mehr die Kapazitäten, um parallel zu unseren Gästen auch noch die Bestellungen der Fahrer abzuarbeiten.
INKA: Während der nächtlichen Ausgangssperre habt ihr mit sechs Studi-Minijobbern euren eigenen Lieferdienst an den Start gebracht, den Service aber nach Ende des Lockdowns wieder eingestellt. Warum?
Möller: Wir haben gegen eine Liefergebühr von fünf Euro zugestellt – das wurde gut angenommen und war in dieser Zeit durchaus rentabel! Am Ende hat sich wiederum die Kapazitätsfrage gestellt.
INKA: DeliBurgers ist es gelungen, mit seinen 35 Mitarbeitern ohne Kurzarbeit durch die Krise zu kommen. Welchen Anteil daran haben eure Akademiestraßen-Terrasse und der Lieferdienst?
Möller: In der heiklen Phase am Anfang der Pandemie hatten wir ja weder Terrasse noch Lieferdienst, da war mehr ausschlaggebend, dass wir keinen Tag zugemacht und teilweise nachts noch umgebaut haben, um die neuen Auflagen zu erfüllen. Dadurch waren wir teils mit die einzigen, die überhaupt offen hatten – und konnten mit unseren Burgern auch ein Stück Normalität im Corona-Alltag verkaufen. Es gab sogar Spendenangebote von Kunden, die ich aber unter keinen Umständen annehmen wollte. Das lässt meine Unternehmerehre nicht zu.
INKA: Was sind neben Corona die Beweggründe, Essen oder Lebensmittel nach Hause zu ordern?
Möller: Die pure Bequemlichkeit. Auch um mehr Zeit zu haben für Arbeit und private Aktivitäten. Corona war sicher ein Booster, aber es ist der Lifestyle: Es wird immer weniger zuhause gekocht und immer mehr auswärts gegessen – und es wird in absehbarer Zeit ebenso zum Alltag gehören, sich Lebensmittel liefern zu lassen.
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