Mehr als ein Defizit: Karlsruhe fehlt die Idee
Stadtleben // Artikel vom 05.12.2025
Vielleicht ist das eigentliche Problem gar nicht das fehlende Geld, sondern der fehlende Plan.
Was passiert mit einer Stadt, wenn sie sich selbst nur noch als Mängelverwaltung begreift? Wenn die öffentliche Vorstellungskraft nicht mehr über den nächsten genehmigten Haushalt hinausreicht? Karlsruhe hat sich in eine haushaltspolitische Defensive manövriert – mit vorgehaltenem Sachzwang und einer Liste von Kürzungen, die klingt wie ein Abschiedsbrief an die eigene Kultur. Doch genau das wäre jetzt der Moment, radikal neu zu denken. Denn was, wenn das eigentliche Sparprogramm der Verlust an Zukunft ist? Eine Stadt, die an Kultur spart, kürzt nicht nur Budgets. Sie kürzt Begegnung, Bildung, Selbstvergewisserung. Eine Stadt, die bei der Betreuung spart, spart an der nächsten Generation. Und eine Stadt, die öffentliche Räume und die Klimaanpassung vernachlässigt, vernachlässigt ihr Selbstverständnis als Gemeinwesen. Schlimmer als jeder Kürzungsbeschluss ist eine Stadt, die sich mit dem Schrumpfen ihrer Möglichkeiten abfindet. Wenn Planung nur noch Verwaltung von Mangel ist, stirbt langfristig das Vertrauen: in eine Stadt, die noch Zukunft gestalten will. Gerade jetzt aber bräuchte es Fantasie, Mut, Einladung zum Mitgestalten.
Ein Kommentar von Florian Kaufmann
Stattdessen setzt Karlsruhe Zeichen der alten Art: Die „World Games“ 2029 – ein internationales Sportevent mit Millionenbudget – stehen sinnbildlich für ein Politikverständnis, das auf Außenwirkung zielt, während innen vieles bröckelt. Sichtbarkeit statt Substanz, Leuchtturm statt Laterne. Während Sozialbetreuung und Stadtteilzentren um ihre Existenz kämpfen, wird das Prestigeprojekt als identitätsstiftend gefeiert. Doch was ist das für eine Identität, die Events organisiert, aber Begegnungsräume streicht? Selbst wer sagt, „das sind Investitionen“, muss sich fragen lassen, wie glaubwürdig eine Stadt ist, die Sozialausgaben kürzt, aber neue Großprojekte auflegt. Es geht nicht nur um Zahlen. Es geht um Vertrauen in eine Stadt, die weiß, wofür sie steht. Karlsruhe steht nicht nur vor einem finanziellen Defizit, sondern vor einem Sinndefizit. Es fehlt ein gemeinsames Zukunftsbild, das über Defensivplanung und Verzichtsrhetorik hinausweist. Was Karlsruhe jetzt braucht, ist kein größerer Rotstift, sondern ein größerer Entwurf. Eine Vision, die nicht bei Zahlen haltmacht, sondern an der Lebensrealität der Menschen ansetzt. Eine Stadt, die Kultur nicht als „freiwillige Leistung“ behandelt, sondern als das, was sie ist: kritische Infrastruktur. Resilienz, gesellschaftliche Teilhabe, urbane Zukunft entstehen nicht in Haushaltszeilen, sondern im Gemeinwesen. In Theaterstücken, die Fragen stellen. In Jugendhäusern, die auffangen. In Initiativen, die nicht nur Stadtteile, sondern Menschen verbinden. Der Blick muss sich weiten.
Eine Kulturförderung, die nur verwaltet, stirbt auf Raten. Eine Kultur ist kein Kostenfaktor. Sie ist eine Stadt in Bewegung. Und sie fragt: Wer wollen wir sein – nicht nur 2026, sondern in zehn, 20 Jahren? Vielleicht ist die große Chance dieser Krise, dass so vieles infrage steht. Warum nicht die Gelegenheit nutzen, um die alten Kategorien zu verlassen? Weg mit dem Gegensatz von freiwillig und pflichtig. Aber vor allem: Schluss mit der Vorstellung, dass Demokratie und Daseinsvorsorge getrennt voneinander funktionieren. Sie tun es nicht. Eine Stadt, die keine Räume mehr hat, in denen Vielfalt und Widerspruch erlebbar sind, verliert ihre demokratische Substanz. Was aber wäre, wenn eine Stadt diese Herausforderung ernst nimmt? Wenn sie nicht nur kürzt, sondern Prioritäten verschiebt? Wenn sie nicht fragt, was gestrichen werden muss, sondern was entstehen könnte? Wenn sie neue Räume schafft, in denen Zivilgesellschaft selbst gestalten kann, was Verwaltung nicht mehr stemmen kann? Wenn sie einlädt – nicht nur zur Konsultation, sondern zur gemeinsamen Entwicklung?
Und genau hier liegt die Verantwortung – nicht nur bei Politik und Verwaltung, sondern auch bei uns allen. Wenn sich jetzt Menschen zusammenschließen, Theaterleute mit Sozialarbeiterinnen, Kulturinitiativen mit Umweltgruppen, dann ist das mehr als Widerstand: Es ist Zukunftsarbeit. Sie fordern nicht nur weniger Kürzungen, sie fordern andere Prioritäten. Und das ist richtig. Denn wer heute Kultur verteidigt, verteidigt auch das Morgen. Karlsruhe steht an einem Wendepunkt. Nicht, weil das Geld knapp ist. Sondern weil die Frage drängt, wie eine Stadt trotz knapper Mittel handlungsfähig, gerecht und lebendig bleiben kann. Die Antwort liegt nicht in einem Etat – sie liegt in der Haltung. Und in der Bereitschaft, Verantwortung gemeinsam zu denken. Vielleicht ist jetzt die Zeit, in der sich zeigt, wie stark eine Stadtgesellschaft wirklich ist. Wie viel Zukunft wir uns zutrauen. Und ob wir bereit sind, sie nicht bloß zu verwalten, sondern endlich zu gestalten.
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