Unkommerzielle Kultur-Areale in Bulach und Grünwinkel?

Stadtleben // Artikel vom 07.06.2021

„Total schockiert“ war Gabriela von der Folk-Band Down With The Gypsies.

Erst im vergangenen Sommer hatte die Sängerin mit ihrer Band nach langer Suche einen Proberaum in der Rheinstraße gefunden und aufwendig renoviert. Durch einen Zufall erfuhren sie, dass sie den Raum bald schon wieder räumen müssen. „Ein Proberaum wurde frei und eine andere Band fragte bei der Hausverwaltung wegen einer Anmietung. Dort hieß es, dass die Proberäume in sechs Monaten abgerissen werden“, sagt Gabriela.

Im Februar veröffentlichte INKA Sanierungspläne des Immobilienkonzerns GEM, nach denen Hunderte MusikerInnen ihre Proberäume verlieren werden. In sechs der von Abriss oder Sanierungen betroffenen Gebäude in Mühlburg, Durlach und der Nordstadt sind derzeit 65 Proberäume untergebracht. Dies wirbelte die Szene und in der Folge auch die Stadtpolitik auf. Innerhalb weniger Tage formierte sich die Interessensgemeinschaft MusikerInnen Karlsruhe, die ein „ungeahntes Musik- und Kultursterben in Karlsruhe“ beklagte und Räume zum Erhalt der musikalischen Vielfalt forderte. „Wir haben uns zusammengetan, weil wir was tun mussten“, sagt der Sprecher der Interessensgemeinschaft, Alexander Wernet. „Es wurde klar, dass es schon bald einen riesigen Fehlbestand an Proberäumen in Karlsruhe geben wird. Nach unserer Umfrage suchen fast 400 Musiker in den nächsten Jahren einen neuen Proberaum.“

Mehrere Stadtratsfraktionen forderten schnell, das von der Stadt bereits erworbene Rotag-Gelände zu „einem städtischen ‚non-profit‘-Gelände für die Kunst- und Kulturszene“ zu entwickeln. Statt den hochpreisig sanierten Flächen auf dem Alten Schlachthof solle auf dem Gelände einer früheren Tabakfabrik „preiswerter Raum für Künstler entstehen“. Wesentlicher Bestandteil dazu sei, die Eigeninitiative der Kulturschaffenden bei der Planung und dem Ausbau der Räume für Bands, Kleinkunst und Ateliers einzubeziehen. Die für das Gelände zuständige städtische Tochter Fächer GmbH bremst: Es sei mit einer „mehrjährigen Planungs- und Bauzeit“ zu rechnen. Die Elektrik sei überaltert und nicht alle Gebäude mit einer Heizung ausgestattet. Darüber hinaus sei eine kulturelle Nutzung in dem Gebiet planungsrechtlich noch nicht erlaubt. Erst im Herbst 2021 sollen die Planungen für das Gelände mit einem Leitbildworkshop beginnen. Das 2019 erworbene Gelände müsse erst vermessen werden, um „Planungsgrundlagen“ zu haben, erläuterte die Fächer GmbH.

Durch die Pläne der GEM „verschärft sich der Mangel an bezahlbaren Proberäumen, Ateliers und Flächen für Kulturzentren und Kreativbetriebe in Karlsruhe“, sagt das Kulturamt. Die Schaffung neuer Kulturräume scheitere an „nutzungsrechtlichen, räumlichen oder finanziellen Gründen“. Auf dem privaten Markt herrsche zudem eine „große Zurückhaltung“ gegenüber kulturellen Mietern. Karlsruhe erlebte stattdessen seit Jahren eine Reduzierung kultureller und künstlerischer Räume wie bei den Ateliers hinterm Hauptbahnhof, auf denen jetzt Bürotürme von United Internet wachsen. Die 30 betroffenen Künstler warteten seit 2015 vergeblich auf Ersatzflächen. Für die wenigen städtischen Atelierflächen gäbe es „nach wie vor eine Warteliste. Die Zahl der Interessenten ist weit höher als die Zahl derer, die berücksichtigt werden können“, heißt es aus dem Kulturamt. Für Karlsruhe, eine der bundesweit einzigen Städte mit zwei Kunst- und einer Musikhochschule ist dieser Befund besonders traurig: „Gerade auch der junge Künstlernachwuchs, der an den Karlsruher Hochschulen ausgebildet wird, hat es besonders schwer, bezahlbare Atelierräume in Karlsruhe zu finden.“

Zurückhaltend gibt sich das Kulturamt trotzdem gegenüber der Idee eines unkommerziellen Kulturgeländes auf dem Rotag-Areal und verweist auf Auflagen des Regierungspräsidiums beim städtischen Haushalt. Die Einschätzung, dass das Rotag-Areal „mittelfristig die Chance biete, mit neuen Räumen für Unternehmen aus der Kreativwirtschaft sowie gegebenenfalls für die Karlsruher Kulturszene abzuhelfen“, klingt eher nach einem zweiten Schlachthof als einem „Non-profit“-Gelände für die Kunst- und Kulturszene. Dieser Vorschlag der Stadtratsfraktionen resultierte aus einem Beteiligungsworkshop 2017. Diese Ergebnisse solle die Verwaltung als „Diskussionsgrundlage betrachten, wenn sich im Stadtgebiet entsprechende räumliche Möglichkeiten ergeben“ würden. Demnach solle die Nutzung vor allem aus „niedrigschwelligen Veranstaltungs- und Experimentierräumen, Arbeitsräumen für Künstler und Kreative, Proberäumen und Gastateliers“ bestehen.

Weniger Hoffnung setzt die Stadtverwaltung zwischenzeitlich auf Gespräche mit dem Immobilienkonzern. Die Karlsruher Projektentwicklungsfirma GEM gehört zum Immobilienkonzern Gröner Group. Die Gruppe um den in Karlsruhe aufgewachsenen Christoph Gröner erwarb 2018 die Mehrheitsbeteiligung an der GEM, die weiter von dem KSC-Vizepräsidenten und SPD-Kommunalwahlkandidaten Martin Müller geführt wird. In einem Schreiben richtete er sich an die Mieter, die aus den Medien und durch plötzlich im Raum auftauchenden Vermessern von den geplanten Sanierungen erfahren haben und entschuldigte sich dafür, „sich nicht viel früher mit ihnen in Verbindung gesetzt zu haben“. Die Immobiliengesellschaft sei „seit Monaten dabei für die betroffenen Mieter Ausweichmöglichkeiten zu finden“. Bei Nachfragen bedauerte die GEM, „dass wir nicht so konkret werden können“.

Die ersten Gebäude seien ab Ende 2021/Anfang 2022 nicht mehr für die bisherigen Mieter nutzbar, teilte die GEM weiter mit. In den sechs Gebäuden sollten „zeitgemäße Gewerbeflächen“ entstehen, wobei eine „durchmischte, heterogene Mieterschaft“ angestrebt werde. Müller skizziert ein „Robin Hood-Prinzip“, nach dem „Mieter in den hochwertigen Etagen andere Mieter aus dem Kunst- und Kulturbereich sozusagen bezuschussen“ würden. Wernet ist skeptisch, wie das in der Praxis funktionieren soll. Ein anderer Musiker wird deutlicher. „Das ist so hanebüchen, wie stellt der sich das vor? Da knattert abends der Zahnarzt mit seinem Porsche durch die Tiefgarage zu seinem Penthouse, sieht drei langhaarige rauchende und Bier trinkende Musiker und die hängen dann gemeinsam ab? Vielleicht denkt der, in seiner Welt, das könnte funktionieren. Ich kann es mir nicht vorstellen.“

Die Stadtverwaltung „hofft, dass die GEM zumindest in Teilen Ersatz- und Übergangslösungen für die entfallenden kulturellen Räume anbieten wird“ und will die Gespräche fortsetzen. Es könne jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass die „Kulturinstitutionen und Kulturschaffenden am bisherigen Ort weiterarbeiten können“. Wernet setzt mit der Interessensgemeinschaft voll auf ein Kulturareal auf dem Rotag-Gelände. „Wir werden uns mit voller Power für Proberäume und Kultur in der Stadt einsetzen. Das Rotag-Gelände ist eine einmalige Chance für Kooperationen und einen starken Austausch der Kunst und Kultur. Es gibt so viele Leute in der Stadt, die Erfahrung haben, sie brauchen nur einen gemeinsamen Raum.“ -fk

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