Verhindert Denkmalschutz Wohnungen & Klimaschutz?
Stadtleben // Artikel vom 28.10.2021
Lassen sich die Interessen an Denkmalschutz und nach zusätzlichem Wohnraum verbinden?
„Aus unserer Sicht ist dies durch die Vorgaben nahezu nicht vereinbar“, zieht Jochen Wagner vom Mieter- und Bauverein Karlsruhe ein ernüchterndes Fazit. Aufgrund der „weitreichenden Vorgaben des Denkmalschutzes“ könnten viele Gebäudeteile „nur repariert statt erneuert werden“, sodass mittelfristig höhere Kosten entstünden. Der Denkmalschutz hätte „viele Blüten“, wie modernes Bauen verhindert werde, sagt auch Christoph Walter, Vorstand der ebenfalls genossenschaftlich organisierten Hardtwaldsiedlung. Vonseiten der Denkmalschutzbehörden werde „immer in die Vollen gegangen, mir fehlt es da an Kompromissbereitschaft“.
Auch die Mika-Wohnungsgenossenschaft in der Nordstadt sieht sich mit einem „Verständnis von Denkmalschutz konfrontiert, der möglichst geringe Veränderungen an den Gebäuden bedingungslos postuliert“. Seit Jahren versucht die Genossenschaft die Dachgeschosse mit 30 zusätzlichen Wohnungen auszubauen und sieht sich durch die zuständigen Denkmalschutzbehörden von Stadt und Land „ausgebremst“. Eine ausreichende Belichtung, klimaangepasste Dämmung und Sonnenschutz seien ebenso verhindert worden wie eine dem Gebäude angepasste Terrasse oder eine Fotovoltaikanlage auf dem Dach. „Zeitgemäßer Denkmalschutz sollte neuen Nutzungsformen nicht entgegenstehen, sondern sie ermöglichen“, reagiert Mika-Geschäftsführer Rainer Stephan mit Unverständnis.
Die städtische Denkmalbehörde kontert, gerade an denkmalgeschützten Gebäuden könne „bezahlbarer Wohnraum dadurch entstehen, weil beispielsweise auf überdimensionierte Dachbelichtungen, Dacheinschnitte und Balkone verzichtet wird“. Doch auch Walter von der Hardtwaldsiedlung klagt, die Denkmalbehörden hätten nicht nur bei einem Neubau im Fasanengarten Wohnraum verhindert. „Da stehen Garagen von 1933, die mussten erhalten werden, dadurch fielen 500 Quadratmeter Wohnraum weg.“ Ihm fallen viele weitere Projekte ein, in denen Wohnraum den strengen Denkmalschutzvorgaben zum Opfer fielen und das Bauen und damit letztlich das Wohnen teurer machten, jüngst im Fall des Umbaus eines ehemaligen Supermarktes zu Wohnungen.
„Die Belange der Wohnraumknappheit sind uns selbstverständlich bewusst“, heißt es auf INKA-Anfrage vom zuständigen Landesamt für Denkmalpflege (LAD) Baden-Württemberg. „Wir unterstützen ausdrücklich die Schaffung von Wohnraum in Kulturdenkmalen, solange sie dabei nicht erheblich in Erscheinungsbild oder Substanz beeinträchtigt werden.“ Die Genossenschaftler in der Mika erlebten dies anders: Noch während der Prüfung ihres Bauvorhabens wurde der Denkmalschutz vom LAD Ende 2020 neben dem heimatgeschichtlichen und wissenschaftlichen Erhaltungsinteresse um künstlerische Gründe erweitert. Für Beobachter ein „abenteuerlicher Vorgang“ und „Taschenspielertrick“. Dagegen sagt das Landesamt, es käme „in Einzelfällen durchaus vor, dass in einem laufenden Verfahren Denkmalbegründungen zu aktualisieren sind“, die Rechtssicherheit sei nicht gefährdet. „Nachdem ein Erfolg der Mika absehbar war, hat das Denkmalamt die Denkmaleigenschaften der Gebäude erweitert und so im laufenden Verfahren die Bedingungen für uns verschärft“, klagt demgegenüber die Mika.
Denkmalgeschützte Häuser sind in Karlsruhe keine Seltenheit. Allein in der Innen-, Nord- und Weststadt sowie in Rüppurr ist mehr als jedes dritte Wohnhaus als Kulturdenkmal geschützt. Nach Angaben der Stadtverwaltung stehen in Karlsruhe derzeit insgesamt 5.500 Gebäude unter Denkmalschutz, 4.500 davon sind Wohngebäude. Allein die Volkswohnung und die Karlsruher Baugenossenschaften haben etwa 800 denkmalgestützte Gebäude mit über 4.200 Wohnungen im Bestand. In der Hartwaldsiedlung-Genossenschaft sind etwa 80 Prozent der 1.700 Wohneinheiten denkmalgeschützt, entsprechend stark sieht sich Walter von den Denkmalschutzvorgaben beeinträchtigt: „Ich habe das Gefühl, dass die lieber wollen, dass nicht investiert wird und die Gebäude den zeitlichen Gegebenheiten ausgeliefert werden, als dass etwas gemacht wird.“
Die Entscheidung, wie sich Denkmalschutz und die Schaffung und Sanierung von Wohnraum verbinden lassen, wird immer im Einzelfall getroffen. Die Bauträger beklagen unisono, dass Möglichkeiten und Kompromisse zu stark „von den persönlichen Akteuren in den Denkmalbehörden abhängen“ würden. Um nicht allein vom guten Willen einzelner Mitarbeiter abhängig zu sein, wünschen sich die Bauträger neue Landesgesetze. Das zuständige Ministerium für Landesentwicklung und Wohnen sagte auf Anfrage, dass „die Landesdenkmalpflege das Wohnen im Kulturdenkmal noch stärker in den Blick nehmen“ werde. Eine Modernisierung des Denkmalschutzes für mehr Wohnraum und Klimaschutz sei im Koalitionsvertrag festgehalten, es gelte aber die „richtigen Instrumente zu finden, damit der Wert unserer vielfältigen Denkmallandschaft erhalten bleibt“.
Doch auch beim Klimaschutz werden Bauträger derzeit noch regelmäßig vor große Hürden beim Denkmalschutz gestellt. Schon 2011 entschied zwar der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, dass „durch Fotovoltaikanlagen hervorgerufene Beeinträchtigungen eines Kulturdenkmals wegen des in der Verfassung verankerten Klimaschutzes in stärkerem Maße hinzunehmen“ seien, doch in den Behörden scheint sich diese Auffassung noch nicht durchgesetzt zu haben. Da eine Außenisolierung am Wohnhaus selbst aus Denkmalschutzgründen verboten war, wollte eine Familie auf dem Dach einer nicht denkmalgeschützten Garage hinter dem Haus eine Fotovoltaikanlage installieren, um CO2 und Kosten zu sparen. Trotz der versteckten Anbringung sah die Denkmalbehörde keine Möglichkeit einer Genehmigung. Sie kenne keine Solarstromanlage, die so flach ist, dass sie nicht zu sehen sei, hieß es in der Begründung. -fk
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