Weltwärts
Stadtleben // Artikel vom 30.03.2010
Christoph Rust (21) berichtet über seinen Freiwilligendienst in São Paulo, Brasilien.
Eigentlich hatte ich mich ja auf ein Jahr Freiwilligenarbeit in Georgien vorbereitet, da dieses Land schon immer eine starke Anziehung auf mich ausübte. Mit dem Krieg in Georgien im August 2008 wurde das ganze Unternehmen jedoch in Frage gestellt.
Weil ich mir Möglichkeit, für eine längere Zeit über den Verein „Freunde der Erziehungskunst Rudolf Steiners“ ins Ausland zu gehen, auf keinen Fall entgehen lassen wollte, entschied ich mich, in eine ganze andere Weltregion – nämlich nach Brasilien – zu fahren. So kam ich im Oktober 2008 in São Paulo an.
Meine Dienststelle Associação Communitária Monte Azul in São Paulo ist ein Gemeinschaftsverein, der vor über 30 Jahren von der Waldorflehrerin Ute Craemer gegründet wurde. Der Verein kümmert sich um benachteiligte und ca. 80 behinderte Kinder. In den Ergänzungsunterrichten lernen die Kinder Stricken, Malen, Holzarbeiten und Kunsthandwerk neben Theater und volkstümlichen Künsten. Zudem gibt es eine Bäckerei, Schreinerei und – was für mich ganz wichtig war – viele kulturelle Veranstaltungen.
Jedes Jahr kommen etwa 20 freiwillige Helfer aus aller Welt, die Mehrheit aus Deutschland und Japan. Mein Arbeitsalltag hatte viele spannende Facetten. Vormittags arbeitete ich in einer Krippe für Vier- bis Fünfjährige, nachmittags kümmerte ich mich um eine 20-jährige schwerbehinderte junge Frau. Meine hauptsächlichen Aufgaben lagen darin, den Erzieherinnen beim Aufräumen zu helfen, Essen auszuteilen und immer wieder mit einem Auge auf die 18 Kinder zu sehen.
Zum Jahresende wurde ich dringend als Geigenlehrer gebraucht und unterrichtete zweimal die Woche 18 Kinder im Geigenspiel. Nach kurzer Zeit stellte ich mit den fortgeschrittenen Schülern ein Streichquartett zusammen und studierte einige Werke ein, die wir in Unternehmen und auf Veranstaltungen präsentierten, wodurch wir auch finanzielle Unterstützung für den Verein einspielen konnten. Auch meine Nachmittags-Arbeit mit der jungen Frau war ausgesprochen schön.
Ich war in den Aufgaben absolut frei und konnte dank des Eins-zu-Eins-Verhältnisses eine sehr enge Beziehung aufbauen. Irgendwann kannten wir uns so gut, dass die Verständigung wirklich gutklappte, da Kommunikation nicht nur über Sprache laufen muss. Zusätzlich gab ich für Interessierte Deutschkurse – einen für Anfänger und einen für Fortgeschrittene. Ab Mitte meines Dienstjahres startete ich dann auch ein Chorprojekt.
Verschiedene Aufführungen zeigten, dass Erfolg möglich ist, auch wenn man im ersten Moment nicht unbedingt daran glaubt. Immer auf der Suche nach einer „nationalen Identität“ Brasiliens habe ich gelernt, dass man das größte Land Südamerikas nicht als ein homogenes Ganzes denken darf. Die brasilianische Vielfalt ist so unerschöpflich, dass es wohl nie möglich sein wird, all diese Facetten in nur einem Leben kennen zu lernen. Aber vielleicht liegt ja gerade darin diese Identität, ein „pais de todos“ – ein Land für alle und alles zu sein...
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