Claudia Rauch, Pfarrerin

Porträt
Claudia Rauch

Es gibt 100 Romane und 1.000 Filme, wo durchgespielt wird, was passiert, wenn Jesus zurück auf die Erde kommt. Der Apostel Paulus fällt da ein bisschen hinten runter; wir wollen das heute ändern und stellen uns vor, der bekehrte Bekehrer besucht Karlsruhe. Bestimmt wundert ihn manches, aber wenn er in der Alt- und Mittelstadtgemeinde eintrifft, sollte er doch zufrieden schmunzeln: In besonderer Weise wurde hier sein Konzept der Talente verwirklicht. In so vielen Facetten verströmt sich der Geist, und alle tun genau das, was sie am besten können: Von den Werken der Barmherzigkeit bis hin zur Pflege der Kirchenmusik auf höchstem Niveau ist keine Lücke, die der Creator Spiritus nicht schon gefüllt hätte!

Was könnte Paulus besichtigen auf seiner Tour? Fangen wir unten an, wo die Kirche am meisten hingehört. Die Kleiderstange für Bedürftige, unterm Schutz des Portikus direkt vor der Stadtkirche platziert, musste leider entfernt werden. Mittlerweile erfolgt die Ausgabe im Gemeindehaus. Selbstverständlich wird auch der Kultus gepflegt, zentral in der Stadtkirche, der „Karlsruher Kathedrale“, wo die Menschen immer noch von weither zum Gottesdienst anreisen – intimer in der Kleinen Kirche, mitsamt dem Brunnenknaben die entzückendste Stelle der Stadt. Während der Hauptphase der Corona-Pandemie wurde hier das Konzept „Der Weg zur Krippe entwickelt,“ ein „Ruhepunkt für Familien mit kleinen Kindern“ zur Weihnachtszeit. Dieses Angebot wird weiterhin gern angenommen. Am monatlich stattfindenden „Schön-dass-du-da-bist-Gottesdienst“ nehmen 30 bis 40 Kinder samt Eltern teil.

„Alle Achtung“, nickt der Apostel. Hatte man ihm nicht von diesen Kirchenaustritten berichtet? Sehr einverstanden ist er mit den stimmungsvollen Abendandachten, aber auch droben auf dem Turm, links und rechts vom Engel, von Geländern gesichert, finden sich Menschen ein, um ihren Wohnort von oben zu betrachten, Alphorn und Akkordeon zu lauschen… und den Segen zu empfangen. „Mir würde es nicht um Halligalli gehen“, präzisiert Claudia Rauch. Da sind wir endlich bei der geistlichen Zentralfigur der Gemeinde angekommen. Die Pfarrerin scheint die Idealbesetzung zu sein für dieses Innenstadtamt, das mit „vielfältig“ sehr unzureichend beschrieben wäre. Manche der kaum aufzuzählenden Events haben zunächst keine konkret religiöse Intention – aber sie bieten Erlebnisanlässe der Inspiration und des Kontakts, sodass sich Zahlreiche zwanglos (wieder) annähern können. Von enormer Bedeutung ist bei alledem die Musik, beileibe nicht nur klassische Kirchenmusik, aber eben auch. „Mit dem Wort kann ich schon einiges machen“, gibt die Theologin Einblick in ihre Methodik, „aber Musik kann das noch unmittelbarer“.

Begeistert zeigt sie sich von der Zusammenarbeit mit dem Kirchenmusikdirektor und Kantor, der einen Namen führt wie ein Barockkomponist: Christian-Markus Raiser. Bei Konzertgottesdiensten nutzt er die Gelegenheit, Musikwerke zu präsentieren, die im gewöhnlichen liturgischen Kontext zu lang wären. Auch experimentellen Aktionen gegenüber zeigt er sich offen, etwa der „Nachtschicht“ einmal pro Monat um 21 Uhr, wenn das Christoph Georgii Trio jazzige Klänge durch den Sakralraum schickt: ein Raum-Licht-Klang-Gebet von einzigartiger Eindringlichkeit. Wir wollen nicht aufdringlich sein, aber es interessiert uns nun doch, was für ein Mensch diese Claudia Rauch ist, deren Tag 36 Stunden anzudauern scheint. So viel freundliche Ruhe und anregende Positivität schenkt sie ihren Mitmenschen, dass das Bild vom strengen Protestantismus nutzlos wird.

Im katholischen Durmersheim ist sie aufgewachsen, allwo die ev. Gemeinde so etwas wie ein gallisches Dorf markiert. Der Vater war selbst Pfarrer – und dennoch die Berufswahl alles andere als vorgezeichnet. Schließlich zieht es Claudia Rauch nach Tübingen zum Studieren, dann nach Heidelberg. Und auch diese Zeit prägt sie bis heute: Denn (es ist nicht zu fassen!) für all die besagten Dinge und Verwaltungsaufwand und Taufen, Hochzeiten, Beerdigungen (…) bleibt der Pfarrerin nur eine halbe Stelle. Die andere gehört der Lehre, genauer: der Ev. Akademie, speziell der Youth Academy Baden mit ihren „lebensnahen Angebote für junge Menschen“. Es gehört nicht viel Fantasie dazu, um sich vorzustellen, dass Rauch auch hier exakt am richtigen Platz ist. Zurück zu Paulus. Charisma ist der Begriff, der im griechischen Neuen Testament für ein Talent, ein Gnadengabe, verwendet wird. Der Trick dabei: sich nicht selbst daran berauschen, wenn man viel davon abbekommen hat, sondern aktiv umsetzen und für andere fruchtbar machen. Ein Geständnis: Als der Verfasser dieser Zeilen Ende der 80er ein bisschen Theologie studiert hat, schien der kirchliche Horizont verbunkert. Nichts ging voran, alles war verboten. Vor diesem Hintergrund ist es gar nicht hoch genug einzuschätzen, dass es engagierten Profis wie Pfarrerin Rauch gelingt, den Himmel von hinten wieder aufzuschließen.

Anders gefragt: Hat die Ev. Kirche die Trendumkehr geschafft? Wohl noch nicht ganz… Zwischen Stadtkirche und Kleiner Kirche aber schon! Da liegt Segen drauf, und mehr als ein Hauch Urchristentum-Atmosphäre ist zu verspüren. Unser zeitreisender Apostel würde das bezeugen. Stimmt’s, Paulus? Wir vermuten, dass er 2024 spätestens bei den „Projektwochen zur Nachhaltigkeit“ wieder aufkreuzen und sich im September die Kunstinstallation „Gaia“ von Luke Jerram nicht entgehen lassen wird: Eine sieben Meter dicke Weltkugel wird in unserer Stadtkirche schweben und per Overview zu bestaunen sein. In der Dresdner Frauenkirche hing sie schon. -jh


Kontakt

Ev. Alt- und Mittelstadtgemeinde Karlsruhe
Ev. Stadtkirche & Kleine Kirche
Kreuzstr. 13
76133 Karlsruhe


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