Gunnar Lott, Retrogames-Podcaster

Porträt
Gunnar Lott

„Another Visitor. Stay A While, Stay Forever!“ Als sich diese gekrächzte Begrüßung 1984 aus dem C64 quetscht, vernimmt ein Gutteil der Gamer dank Dr. Alvin Atombender ihre allererste digitale Sprachausgabe. Heute wird das Sample aus dem Jump’n’Run-Puzzler „Impossible Mission“ monatlich zehntausendfach gehört. Denn es leitet umrahmt vom „Great Giana Sisters“-Theme seit einer Dekade „Stay Forever“ ein, den am 28.8.2011 erstmals bei iTunes onlinegegangenen Retrogames-Podcast „über alte Spiele von zwei alten Männern“, der schon des Öfteren auf Platz eins der deutschen Podcast-Charts gestanden – und in Karlsruhe seinen Anfang genommen hat. Der Gründungsmythos aus der vermeintlichen Bierlaune heraus ist akustisch dokumentiert: Da sitzen die ehemaligen „Gamestar“-Redakteure Gunnar Lott und Christian Schmidt mit ein paar Zäpfle-Flaschen halbwegs unvorbereitet in der Lottschen Weststadt-Altbau-Wohnküche um ein 8,95-Euro-Dreibeinmikro herum und beginnen ihre Gespräche über die PC-Spieleklassiker der 80er und 90er vom ikonischen Megaseller bis zum abseitig-obskuren Titel mit einer losen Plauderei über das Point-and-Click-Adventure „Baphomets Fluch“. „Wir hatten null Disziplin, aber beide gerade noch genug Restbekanntheit“, spielt Lott auf die goldene Ära an, in denen das damals bedeutendste PC-Spiele-Magazin noch weit über 300.000 Auflage verkauft.

Die Fallhöhe steigt zuhörens, aus dem Laber- wird ein Recherche-Cast. Bis zu zwei Stunden analysieren die beiden seither von Karlsruhe und Hamburg aus via Skype verbunden wortgewandt die Games ihres Kanons; lobhudeln und bekritteln, sezieren die Spielmechanik, verorten, beleuchten die Historie von Entwicklern, Studios und Publishern, zapfen Primärquellen an, bauen O-Töne von Zeitzeugen sowie Sound-Snippets ein. „Wir verstehen uns immer noch als Journalisten – unser Markenkern ist Recherche“, stellt Lott klar. Das Augenmerk liegt inzwischen auf den Plattformen Patreon und Steady, wo zusätzlich zu den via Podcatcher, Spotify, Deezer und Youtube verfolgbaren offenen Podcasts durchschnittlich noch fünf weitere Folgen pro Monat erscheinen. Das macht man nicht mehr als Liebhaberei nebenbei; allein in die Nachbereitung einer Episode werden bis zu 15 Stunden Schnittarbeit investiert, „weil wir Radioqualität abliefern wollen“. Und das ist den rund 3.000 Patrons und 1.400 Steady-Supportern etwas Wert: Mit fünf bis 25 Euro kann die Hörerschaft „Stay Forever“ auf verschiedenen Unterstützerlevels honorieren, was ihnen jenseits der Paywall neben Audio-„Let’s Plays“ und anderen Zusatzfolgen diverse Goodies sowie einen gewissen Grad an Mitsprache einbringt – und der Lott & Schmidt Medienimperium GbR so viel, „dass wir davon leben könnten, wenn wir wollten“. Beide betreiben auch noch andere Geschäfte, „aber mein Hauptjob ist klar der Podcast“.

Dessen Basisformat wurde über die Jahre sukzessive erweitert – vom Konsolenableger „Super Stay Forever“ mit Co-Caster Fabian Käufer bis zur „Technik“, wo der Amiga-sozialisierte Lott mit Henner Thomsen über CGA-Grafik, Soundblaster-Karten oder die Entstehungsgeschichte des IBM-PCs fachsimpelt. Vieles davon ist Gratis-Content. „Wir sind in der exotischen Lage, keine Werbung annehmen zu müssen. Unsere Unterstützer finanzieren den Output für die anderen mit“, erklärt Lott den Deal. Dass es das Duo vortrefflich versteht, neben dem „immer auf Erkenntnisgewinn“ abzielenden nostalgischen Retro-Feeling auch sich selbst zu vermarkten, sieht man nicht nur an ihren Alter Egos im Pixel-Artwork, die u.a. auch die „schönen nerdigen Sachen für Retronauten“ im hauseigenen „Retro Shirty“-Merchshop zieren.

Ihre „Gespräche über alte Spiele“ haben derartigen Unterhaltungswert, dass „Stay Forever“ ebenso auf der Bühne funktioniert: Die erste Deutschland-Tour mit Endstation im K3-Gründerzentrum Perfekt Futur, wo Lott zeitweilig einen Büro-Container als Hauptquartier mietet, ist 2017 innerhalb weniger Tage ausverkauft. „Wir betonen im Dialog unsere Gegensätze und bekabbeln uns auch mal, es bleibt aber stets wertschätzend“, befindet Lott, der nicht nur humorig Wissen vermitteln, sondern live mit seinen persönlichen Anekdoten über Frau und Kind sowie einer gesunden Selbstironie Running Gags nach bester Stand-up-Manier produzieren kann. „Man merkt eben, dass Chris und ich 13 Jahre lang in unterschiedlichen Rollen zusammengearbeitet haben.“

Mit trashigen Comedyserien wie „Raumschiff Gamestar“ und „Die Redaktion“ versuchen sich die beiden schon zu ihrer Münchener Spieletesterzeit im komödiantischen Fach. Als Darth Lott den „coolsten Job der Welt“ aufgibt, Schluss mit Produktjournalismus macht und Ende 2010 nach Karlsruhe zieht, um „auf der dunklen Seite“ als erfahrener Journalist, aber unerfahrener PR-Mann beim weltweit mitführenden Free-to-play-Spiele-Anbieter Gameforge eine Kommunikationsabteilung zu installieren (und wenig später in gleicher Leitungsfunktion zum Mobile-Start-up Flaregames wechselt), kann er bereits auf eine spannende Karriere zurückblicken: Vom Trainee über den Ressortleiter und CvD führt ihn die Karriereleiter bei IDG Entertainment Media von 1998 an in sechs Jahren auf den „Gamestar“-Chefredakteurssessel. „Zwischendurch hatte ich noch das höchste Glück eines Journalisten, zweimal Magazine gründen zu dürfen, die ich mir von Grund auf ausdenken konnte: die deutsche ‚Game Pro‘ und ‚Making Games‘.“ Am Ende ist er IDG-„Director Online and New Business“ sowie stellvertretender Verlagsleiter. Und dieser Lebensabschnitt erklärt, warum dem gebürtigen Niedersachsen auch nach zehn Jahren im Badischen „mei“ und „wurschd“ noch immer selbstredend über die Lippen gehen.

Dass der 28-jährige Lott dafür seine gamechangende Bewerbung nach einer schicksalhaften Begegnung im Computerspieleladen als Gunnar-Selbsttest aufzieht und die so gewonnene Volontärstelle gegen das Sozialpädagogik-Studium eintauscht, ist Szenelegende. Heute verantwortet er neben „Stay Forever“ die von ihm mitgegründete Berliner Kommunikationsagentur Visibility, betreut den „Hannover 96“-Blog niemalsallein.de und pflegt seinen Twitter-Account @herrkaliban, der noch daran erinnert, dass Lotts kaliban.de einst zu den ersten 50 privaten Blogs in Deutschland gehört hat; auch ein Erziehungsratgeber steht zu Buche. „Als ich in der Schule war, dachte ich, ich würde mal einen Beruf haben. Hatte ich dann auch, später, vor allem aber bestand und besteht mein Leben aus Projekten, beruflichen und privaten.“ -pat


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