Carambolage: There is a light that never goes out
Clubkultur // Artikel vom 19.10.2015
Nun geht es also doch aus.
Nach 32 Jahren wird in der Kaiserstraße 21 das Licht ausgemacht. David Ovadia hat das Carambolage 1983 gegründet, als er einen Club über das alte griechische Speiselokal Hellas zimmerte, quer über die Tanzfläche einen alten Jaguar wuchtete und um das DJ-Pult herum baute. Die verchromten Ablagen an den Wänden berichten noch heute von der damaligen Ausstattung. Christian Pulkert übernahm in den 90ern und machte das Carambolage bundesweit zu einem Phänomen – alternativ, weg vom Mainstream der großen Diskotheken.
Von Stefan Kirstätter
Viele Karlsruher haben danach das Carambolage adoptiert, es zu ihrem Wohnzimmer gemacht, in das man im Anzug gehen konnte, aber auch in kurzen Hosen, mit Mohawk oder Undercut - hier wurde man nie scheel angesehen, hier konnte man sich selbst sein. An manchen Tagen brach der Schuppen beinahe auseinander, wenn bis zu 800 Gäste sich mittwochs aneinander drückten oder an den Wochenenden sich die Seele aus dem Leib tanzten. Auch an den anderen Tagen konnte man immer hingehen - auf einen Drink, auf ein Gespräch und gute Musik lief sowieso. Nicht jene, die der SWR und die Formatradios verbrieten. Punk, Alternative und Indie, als der noch Indie war - oft schräg gemischt mit anderen Elementen. Und so hätte es ewig weitergehen können. Zu Beginn des jetzigen Jahrzehnts begann diese Linie abzubrechen. Der Elektro kam und der Exodus setzte ein.
Als jeder Abiturient mit Laptop und Traktor seinen eigenen Rave im Keller machen konnte, bedeutete dies zwar die endgültige Demokratisierung des Nachtlebens, zugleich auch dessen Abdriften in die Beliebigkeit. Ins Carambolage passte der Elektro nie. Zu lau die Boxen, zu verspielt das Interieur, zu wenig Berlin und viel zu festgelegt in der eigenen Geschichte. Zu diesem Ort gehörten immer Gitarren, Schlagzeug und Bass. Ein bisschen Elektronisches darunter gemischt, aber kein Rave. Die nachkommenden Generationen gingen woanders hin und dem Carambolage verloren. Kein Nachwuchs mehr, der den Laden zu seinem eigenen machen wollte. Kein Nachwuchs, der dort einmal selbst an die Plattenteller wollte. Stattdessen Rave-Partys an Orten, die aufstiegen und so schnell wieder verglühten wie Sternschnuppen. Das Carambolage hat diesen Trend überdauert, seine Menschen haben durchgehalten, aber ewig kann sich keiner dagegen stemmen. Das geht weder finanziell noch emotional.
Wenn dir jeden Abend jemand sagt, man solle Michael Jackson spielen und der Eintritt sei zu teuer, dann geht das einige Zeit. Wenn immer weniger gewürdigt wird, was du tust, dann zehrt das, dann kapitulierst du einfach an irgendeiner Stelle. Der Zeitgeist hat irgendwann auch das Carambolage getroffen. Erst von der Seite, dann frontal wie ein Doppeldeckerbus. Wie überall in der Republik setzt das Clubsterben sich auch in Karlsruhe fort. Und wie überall werden die Leute auch hier erst dann merken, was sie verloren haben, wenn sie keinen Ort mehr haben, den sie zu ihrem Wohnzimmer machen können. Wenn dir Helene Fischer und Tiesto das Bier servieren, weißt du, dass etwas nicht mehr richtig läuft.
So wird in den kommenden Monaten das Licht des Carambolage stilvoll verlöschen. Bis Dezember läuft Programm, im Januar wird groß Abschied genommen und der Club geschlossen. Im Sinne der Smiths: To die by your side, well, the pleasure – the privilege is mine. Geist und Seele des Carambo bleiben. Seine Menschen auch. There is a light that never goes out.
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