Gema-Alarm: Diskos im Umbruch

Clubkultur // Artikel vom 15.10.2012

Rock Around The Clock?

In Zukunft könnte für Fans härterer Klänge eher nine to five angesagt sein! Und nicht nur für die. Zwar hat sich die Lage an der Karlsruher Rockdisko-Front nach Kombe-Aus und vorübergehender UV-Schließung vorerst wieder entspannt, aber das Nischenmusik-Angebot könnte sich durch die Verteuerung der Gema-Gebühren ab 1.1.2013 erneut ausdünnen.

Von Dr. Felix Mescoli

Das ganz große Clubsterben, wie es manche (Club-)Kultur-Aktivisten beschreien, wird es wohl nicht geben; aber einige Betreiber spielen schon mit dem Gedanken, die Öffnungstage zu reduzieren, weil sie dann nicht ganz so viel Geld an die Gema zahlen müssen. Treffen würde das naturgemäß insbesondere Subgenre-Thementage unter der Woche.

Doch zunächst ein paar erfreuliche Nachrichten: In die Lücke, welche die traditionsreiche Kombe hinterlassen hat, stößt freitags das Liebstöckel auf der Kaiserstraße mit dem „Rockstöckel“. Es laufen Alternative, Punk, Crossover, Metal und, erm, Rock, wie früher donnerstags in der Kombe. Dazu gibt es Spezialtage mit Kick-Ass-Rock’n’Roll oder Newcore. „House und R’n’B laufen doch überall – außerdem ist Rock cool“, begründet Geschäftsführerin Sarah Bürklin die Programmatik.

Nach kurzer Trauerphase können sich auch die UV-Fans wieder entspannen: Ende September hat die legendäre Heavy-Disse in neuen Räumen am Hauptbahnhof (Ex-Rockatiki) den schwermetallischen Betrieb wieder aufgenommen. Die Betreiber sind mit dem Auftakt auf INKA-Nachfrage höchst zufrieden. Zu Beginn habe es zwar einige kleinere Pannen gegeben wie teilweise fehlende Toilettenbeschilderung. Aber da muss man sich nicht ins Hemd machen. „Wir haben mit den neuen Räumen einfach noch nicht die Erfahrung. Da ist vielleicht mal eine Ecke zu schlecht ausgeleuchtet oder die Bedienung noch nicht ganz so fix“, heißt es. Das werde sich alles einspielen.

In Zukunft hingegen drohen Club-Machern mit der Gema-Tarifreform gravierendere Probleme als vergessene Kloschilder: Auf Clubbetreiber und Discothekenunternehmer kämen Erhöhungen der Gebühren für das öffentliche Abspielen von Musik von durchschnittlich 400 bis 600 Prozent zu, behauptet der Gastronomenverband Dehoga. Für Musikkneipen lägen die neuen Tarife gar um das bis zu Siebenfache höher als bisher, klagt Hans-Christoph Bruß, Dehoga-Geschäftsführer in Karlsruhe. Das sei für die wenigsten bezahlbar. Dass gerade für Diskos im Unterschied zu etwa den Konzertveranstaltern bislang vergleichsweise geringe Gebühren fällig wurden, wird vom Dehoga allerdings nicht thematisiert. Besonders wütend macht Bruß, der als Leiter der Tarifkommission für seinen Verband mit der Gema über die Gebühren verhandelt, dass ein Monopol-Unternehmen gesetzlich legitimiert ist, Tarife gegen den Willen des Tarifpartners zu erhöhen und einzutreiben. „Dass ein Monopolist in Deutschland solche Rechte hat, ist ein Unding.“

Die Nonchalance, mit der die Rechteverwerter aus München die neuen Tarife durchsetzt, bringt auch Alex Füchsel, Geschäftsführer des Clubs Die Stadtmitte, auf die Palme: „Es ist nicht hinnehmbar, dass sich Kosten von heute auf morgen um mehrere 100 Prozent erhöhen – und das ohne jede Verhandlung!“ Die von der Gema verlangten zehn Prozent vom Eintritt seien kaum zu verkraften, sagt Füchsel. Personal, Instandhaltung, Pacht, ein verstopftes Klo hier, eine defekte Lüftung dort, das alles koste Geld, das man allein mit dem Getränkeumsatz nicht einspielen könne. Und die Mehrkosten an die Besucher weiterzugeben sei bei der Karlsruher Publikumsstruktur mit vielen Studenten, die wenig Geld haben, schwierig.

Stefan Stöber, Geschäftsführer der Großraumdisko A 65 in Kandel, macht noch eine andere Rechnung auf: „Die Gema behauptet in ihren Pressemitteilungen, dass es nur gerecht sei, wenn sie in Zukunft zehn Prozent der Eintrittsgelder erhalten würde. Sie unterschlägt aber, dass nach dem neuen Tarif weitaus mehr als zehn Prozent zu zahlen sind“, schreibt er in einer Rundmail. „Warum werden im neuen Tarif alle Veranstaltungen nach dem Brutto-Eintrittsgeld abgerechnet und nicht netto? Warum wird bei der Berechnung der Quadratmeter von Wand zu Wand gemessen und nicht nur die Netto-Nutzfläche für die Berechnung herangezogen, abzüglich DJ-Pult, zwei Tresen und freizuhaltenden Notausgängen?“, fragt er.

Ein Insider aus der Karlsruher Clubszene, der ungenannt bleiben möchte, fürchtet als Folge, „dass Großraumdiskos verschwinden, weil die sich nur noch an Silvester lohnen“. Ein Clubsterben kalkuliere die Gema ein, ja, sie profitiere sogar davon, glaubt er. „Wenn ich mit einem Kunden so viel einnehme wie mit vorher zehn, ist mir doch egal, ob zehn wegbleiben.“ Die kleineren Clubs würden sich wohl irgendwie durchwursteln, viele eben nur noch am Wochenende öffnen und dann auch keine Nischenangebote mehr machen. Warum? „Ausgehend von 192 Öffnungstagen, 300 Quadratmetern Fläche und acht Euro Eintritt hat man bislang 8.000 Euro im Jahr gezahlt“, rechnet der Insider vor. „Jetzt werden es 91.000 Euro. Öffne ich nur noch freitags und samstags sowie an Silvester und vor ein paar Feiertagen, bleiben 110 Öffnungstage. Dann zahle ich nur noch 14.000 Euro“.

Ein weiterer Vorwurf insbesondere vieler DJs wie Alex Füchsel an die Gema lautet: „Die Urheber der Musik, die bei uns gespielt wird, kriegen doch nur wenig von der Gema. Das landet alles bei Bohlen, Frank Farian und David Guetta.“ Und auch Elektronik-DJ Marlon Leuze, der die Karlsruher Demo gegen die Gema-Gebührenaktion mit initiierte, sagt: „Die Musik, die wir auflegen, wird nicht zu Hause im Wohnzimmer gehört. Sie findet nur im Club statt.“ Wenn abseitige Elektronika wegen der Verknappung von Spartentagen in Zukunft weniger gespielt werde, benachteilige das deren Urheber innerhalb der Gema noch mehr. Doch die Reform kennt auch Gewinner: Die Veranstalter von kleineren bis mittleren Live-Konzerten wie das Substage oder auch das Jubez werden nach eigenen Angaben in Zukunft deutlich entlastet.

Laut Gema-Sprecher Klaus Hempel ist es ausgeschlossen, dass ein Diskobetreiber mehr als zehn Prozent vom Bruttoeintrittsgeld zahlt. Es sei zwar richtig, dass die Gema bei der Veranschlagung einer Veranstaltung immer von 100 Besuchern pro 100 Quadratmetern ausgehe, „wenn aber nur 20 kommen, muss auch nur für 20 gezahlt werden. Die einzige Ausnahme ist die Situation, wenn die zehn Prozent die Mindestvergütung unterschreiten würden.“ Sie liegt bei 22 Euro. Mit Nachlässen, wie sie es etwa bei jährlicher Abrechnung gebe, seien es sogar nur etwa sieben Prozent.
Sofern der Veranstalter außerdem nachweise, dass die Personenkapazität des Veranstaltungsraumes geringer ist als die tarifliche Berechnungsgrundlage (etwa durch Vorlage der Auflagen vom Ordnungsamt), werde die tatsächliche Kapazität zu Grunde gelegt.

Außerdem stört Hempel, dass ständig von einer Gebührenerhöhung gesprochen werde. Für 60 Prozent der Lizensnehmer würden die Tarife günstiger oder blieben gleich. „Ob es unter dem Strich ein erhöhtes Aufkommen gibt, lässt sich nicht abschätzen.“ Auf den Vorwurf, Urheber von Spartenmusik würden bei der Verteilung der kassierten Gebühren benachteiligt, erwiedert Hempel: „Wir sind das Inkasso-Unternehmen der Urheber, unsere Aufgabe ist nicht Umverteilung. Die Werke sind unterschiedlich erfolgreich, daraus ergeben sich unterschiedliche Einnahmen und damit auch unterschiedliche Ausschüttungen an unsere Mitglieder.“ Ein Fernsehauftritt bringe nuneinmal mehr als im Elektro-Wave-Club zu laufen.

Erfasst würden solche Abspielungen aber gleichwohl. Die Gema mache in 5.000 Örtlichkeiten Zufallsstichproben. Anhand dieser wird hochgerechnet, welcher Anteil der Gesamtspieldauer aller Musikwiedergaben auf einen bestimmten Musiktitel entfällt. Grundvoraussetzung sei natürlich, dass die Clubbetreiber dem Einbau der nötigen Elektronik zustimmten. „Das Berghein in Berlin hat das beispielsweise nicht getan, und jetzt beschweren sie sich, ihre Künstler würden nicht abgerechnet“, sagt Hempel.

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