Die Hochzeit der Dinge
Kunst & Design // Artikel vom 14.02.2021
Achim Fischel (24.12.1941, Esslingen a.N. – 17.1.2021, Karlsruhe) – ein Nachruf von Roger Waltz.
Einfach nur bestürzt waren INKA-Redakteur Patrick Wurster und ich, als wir Ende Januar vom Ableben Achim Fischels hörten. Wir hatten zuletzt noch im Dezember Kontakt, er hatte zum Thema Nachverdichtung ein „Häusermeer auf Stelzen“ gemalt, das wir in besserer Auflösung erbaten. Vor Weihnachten brachte er seinen neuen Band „Lauterberg“ in der Redaktion vorbei, eine Fotohommage an den künstlich aufgeschütteten kleinen Berg aus Kriegsschutt im Stadtgarten/Zoo, den er in seiner Wohnung mit Atelier in der Bahnhofstraße in Sichtweite hatte. Vor ein paar Jahren klingelte er beim INKA-Büro in der Amalienstraße und schenkte uns eine kleine Computermalerei als Dank für die Ankündigung einer Ausstellung. Diese inszenierte der Karlsruher Galerist Axel Demmer aus der Herrenstraße an einem ungewöhnlichen, aber vielfrequentierten Ort, wo er auch in Petersburger Hängung Arbeiten von Künstlern wie Emil Wachter und Karl Hubbuch inszeniert: dem Segafredo-Café von Pia in der City, Erbprinzenstraße/Ecke Bürgerstraße.
Achim Fischel war ein feiner Mensch, bescheiden im Auftreten, ein wacher lebendiger Geist und Beobachter, der Spaß daran hatte, eigentlich alles künstlerisch zu bearbeiten, was man sich denken kann. Er hinterlässt ein reichhaltiges Oeuvre, viele Bilder, Keramik, Schmuck, Computerbilder, Holzobjekte. Ist man schon überwältigt von seinem Nachlass, wird schnell klar, dass er – ähnlich vielleicht wie Joan Miro – nicht nur sein eigenes motivisches Trademark erfand, Köpfe und Figuren, spartanisch einfach, aber gerade daher ungeheuer ausdrucksstark, sondern auch alles bemalte, remixte, neu erschuf und gestaltete, das ihn umgab: Vom Holzobjekt bis zur spielerisch bemalten Garderobe ist es bei ihm nicht weit. Er bemalte auch Stühle, übermalte seine eigenen Postkarten und Drucksachen, Lampenschirme, Toilettenspiegel oder Pappteller; auch seine komplette private Umgebung war für ihn ein einziger Gestaltungsraum: „Die Hochzeit der Dinge“ nannte Achim Fischel treffend eines seiner wunderbaren Bücher. Vom „Stadtgeburtstag“ bis zur Nachverdichtung bezog er auch stets Aktuelles in seine Arbeiten mit ein.
2020 starb seine geliebte Frau Hilde, deren Urne er unnachahmlich schön bemalte. Seine Schaffenskraft aber hatte darunter nicht gelitten. Anfang Januar 2021 verstarb er tragischerweise nach einer Blutvergiftung im Krankenhaus. Ein Künstlerkollege sprang ein – und bemalte Achim Fischels eigene Urne. In der Café-Bar Segafredo wird auch seine erste Gedächtnisausstellung stattfinden, organisiert von Axel Demmer und seiner Familie. Man kann nur hoffen, dass die Stadt diesem großen Künstlersohn eine große Ausstellung widmet. Seit 2011 widmete er sich viel der Computermalerei, die für ihn gleiche Wichtigkeit hatte wie klassische Maltechniken. Ich sah 2012 das erste Mal Werke von ihm, vornehmlich Computermalerei, in der Beletage der Galerie Vögtle in der nördlichen Waldstraße. Seitdem bin ich fasziniert von seiner großen Ideenfreude, die er in nahezu alles scheinbar mühelos implementierte. Seine Arbeiten wirken ja nur vordergründig naiv und spielerisch, sind aber oft ironisch, witzig, süffisant, philosophisch – stets aber mindestens vieldeutig.
Achim Fischels Arbeiten findet man in vielen Galerien, Museen und Privatsammlungen, so z.B. im Badischen Landesmuseum und der Städtischen Galerie Karlsruhe oder im Museum Würth in Künzelsau, um nur einige zu nennen. Seine Arbeiten wurden in zahlreichen Ausstellungen im In- und Ausland gezeigt. Zu wünschen wäre, dass die Kunststadt Karlsruhe ihm eine Gedächtnisausstellung widmet, in der sein ganzes Werk, das auch viele großformatige Bilder umfasst, angemessen gewürdigt wird. Lieber Achim, wir vermissen dich. Ruhe in Frieden.
Vita
Fischel studierte an der Kunst- und Werkschule Pforzheim (heute HfG) Malerei bei Prof. Rothe und Bildhauerei bei Prof. Seidel und und schrieb sich dann bei G. Mosny ein, der Meisterschüler von Willi Baumeister war. Von diesem lernte er, ganz eigenen Wesen zu schaffen, und wandte sich von der rein figürlichen Malerei sukzessive ganz ab. Dass er diese aber richtig gut „kann“, sieht man auch seinen aktuellen Werken an. In Pforzheim weckten auch das Gold- und Silberschmieden, Emaillieren und der Metallguss sein Interesse. Nach dem Studium versuchte er – erfolglos – einen Galeristen zu finden. Er arbeitete in verschiedenen Werbeagenturen in der Industrie, machte sich selbständig und beschloss so viel Geld zu verdienen, dass er mit 40 wieder malen konnte. Der Anfang 1979 war schwer. Er benötigte zwei Jahre bis wieder Bilder entstanden, mit denen er zufrieden war. Eine erste Ausstellung 1982 in der damals renommierten Karlsruher Galerie Haus 11 von Beate Nieschlag-Spicale und ein Bericht in der Kunstzeitschrift „Art“ machten auf ihn aufmerksam. Danach folgten viele Ausstellungen im In- und Ausland, Ankäufe von Sammlern, Museen und Galerien.
Neben seiner Malerei produziert Achim Fischel viele Objekte und Computerzeichnungen und immer wieder Schmuck und Keramik. Achim Fischel kam schon in früher Jugend mit Keramik in Berührung. In den Ferien bei seiner Tante in Karlsruhe besuchte er regelmäßig den Keramiker und Fayencemaler Rudolf Karrmann. Während seiner Lehrzeit lernte er auch den bedeutenden Keramiker und Bildhauer Paul Speck (1896-1966) kennen, der ihn nach Zürich in sein Atelier einlud. Zudem hatte Achim Fischel eine Freundin, die in der Karlsruher Majolika als Keramikmalerin arbeitete und später bei Joseph Beuys studierte. In den 80er Jahren lernt er ein Töpferehepaar in Südfrankreich kennen und kann dort einige Wochen arbeiten. Zurück in Deutschland beginnt er jetzt regelmäßig Keramiken zu bemalen.
Heidrun Jecht vom Badischen Landesmuseum schreibt über ihn: „Achim Fischel ist kein Keramiker, sondern Maler-Keramiker. Seit einem Aufenthalt in einer Töpferwerkstatt in Südfrankreich 1989, bemalt und dekoriert er regelmäßig Gefäße, Schalen oder Fliesen, wie vor ihm Paul Gauguin, Henri Matisse, Asger Jorn und Pablo Picasso, der in Folge viele Maler zur Auseinandersetzung mit der Keramik inspirierte, darunter auch Vertreter der Karlsruher Kunstakademie wie Horst Antes, Herbert Kitzel, Emil Schumacher oder Markus Lüpertz.“ Der vollständige Text von Jecht ist in Achim Fischels Buch „Die Hochzeit der Dinge“ nachzulesen. Auch als „Maler-Goldschmied“ agierte Fischel: Später entstanden immer wieder neue Schmuckstücke, teil aus Fundstücken, Schrauben, Metallteilen, Perlen, Bernsteinkugeln u.s.w. Er kaufte einen kleinen Brennofen, um sowohl örtlich als auch zeitlich unabhängig zu sein.
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