Biss zur letzten Rübe – der reinste Genuss (April 2022)
Stadtleben // Artikel vom 01.04.2022

Zefiro torna
Eine Kolumne von Johannes Hucke, der seit 2007 die Region mit seinen Weinlesebüchern, Kriminalnovellen und Theaterstücken malträtiert. Jetzt versucht er, das INKA Stadtmagazin mit epikureischem Gedankengut zu destabilisieren.
Bleiben wir doch einfach in Italien. Vielen ist das so gegangen: Mal kurz hingefahren… und dann erst nächstes Jahr wiedergekehrt mit den Mauerseglern. Oder überhaupt nicht mehr – in Rom soll man ja ganz hervorragend sterben können. Aber auch in Karlsruhe kannst du in Italien sein. Wie schon im März geschildert, wurde die Stadt von Süden aus kulinarisch kolonisiert: zu unser aller Glück. Allenthalben allegria, wo wir auch hinäugen! Was Restaurants anbetrifft, ist es fast unfair, ein paar hervorzuheben. Wir machen das strikt anlassbezogen.
Du hast dir eine Professur an der Hochschule für Musik erschmeichelt, residierst im Schloss Gottesaue? Glückwunsch! Dann nach Feierabend schnell zum Purino, das so stylish ist, aber trotzdem schmeckt. Dir wurde eine Gluten-Allergie zuteil, aber du möchtest trotzdem weiterhin Pasta mümmeln? Die Trattoria Da Giovanni hat sich spezialisiert. Du hast einen Abend in unserem hässlichen Theater überlebt und möchtest dich erholen? Das Il Teatro liegt gegenüber. Du möchtest die Gipfel der Cucina italiana erklimmen? Das geht in Karlsruhe, dem Berlin des Südens, mindestens so gut wie in Berlin, dem Karlsruhe des Nordens.
Jetzt bist du dran: einkaufen! Vollumfänglich wirst du in der Karlstraße betreut, Da Serio gibt es seit 45 Jahren. Problem: keins. Oder doch, falls du selber kochen wolltest und vor Ort feststellst, dass die das viel besser können. Wir empfehlen: Das eine tun, das andere nicht lassen. Freilich: Auch unsere Märkte glühen vor Italianità. Da hat es donnerstags auf dem Gutenbergplatz einen Ministand mit selbstgemachten Gnocchi und Pasta und (ebenso auf dem Markt an der Postgalerie zu finden) einen größeren, der dich ganz narrisch macht: herrlich gelbe Brote, ein Riesenkorb voller Gorgonzola und ein Rosmarinschinken, der nach unserer maßgeblichen Meinung zu den besten der zivilisierten Welt gehört.
Basilikum parat? Gut. Risotto-Reis im Schrank? Perfekt. Und du weißt, wie du eine richtige Minestrone machst? Ach so… Dann guck doch mal hinten links im Kühlschrank, da döst so eine alte Parmesanrinde vor sich hin. Aber erst mal einen Suppentopf auf die Platte und brodelndes Salzwasser herstellen, geschnittenes Suppengemüse hieven wir da hinein und kochen das auf. Schon wird Olivenöl reingeträufelt. Und der Parmesan bekommt seinen Einsatz! Ohne Tomätchen geht es nicht, also auch ein paar dazu. Während das Süpplein köchelt, bereiten wir ein Pesto aus Basilikum, Parmesan, Knoblauch, Olivenöl und irgendwelchen Nüssen. Davon wird ein Löffel voll in den Teller gegeben, eine Schöpfkelle gepfefferte Minestrone drüber und zum Schluss nicht ungehobelten Parmesan. Gelbes Weißbrot – und Tusch!
Hoffentlich ist noch genug Brühe übrig, sonst gibt’s keinen Risotto. Risotto Primavera, du verstehn? Grün von Lauchzwiebeln kleinschneiden, mit dem Reis in Olivenöl braten, Knoblauch dazu, mit Wein ablöschen… und jetzt nach und nach die heiße Brühe, bis der Reis weich genug ist. Rühren, rühren… Nach altem Brauch nunmehr Butter und Parmesan und – jetzt kömmt’s! – ein paar Klackse grünes Pesto. Es ist gestattet, Kresse, Kerbel und sonstige Frühlingskräuter mitzuverarbeiten, das sieht so verboten hellgrün aus, dass dir ganz wuschig wird. Wer möchte, kann sich frische Morcheln dazu braten. Vielleicht gibt’s schon grünen Spargel? Dass ein Frühlingswein sein muss, versteht sich von selbst. Tokai Friulano? Arneis aus dem Piemont?
Santa Maria, welch ein Festmahl! Fehlt noch was? Aber sicher, die Tafelmusik. Die kommt natürlich auch aus Italien und ist schon etwas länger her. Jedoch, solange es Frühlinge auf Erden gibt, wird sie ihre Wirkung tun. Herr Monteverdi, sind Sie bereit? Zefiro torna, e di soavi odori / l’aer fa grato, e ’l pié discioglie a l’onde… Zephir kehrt wieder, mit sanften Düften / beseelt er die Lüfte, lässt Fußspuren schmelzen / und murmelt im grünen Laubwerk, / lässt Blumen in der Wiese tanzen zu seiner schönen Melodie…
Kann sein, dass du danach an die Frühlingsluft musst vor Tatendrang. Beim letzten Mal haben wir das U-Bähnchen wieder zugebuddelt. Und diesmal? – Stellen wir uns vor, in Mailand käme jemand auf folgenden Gedanken: „Leute, trennen wir uns endlich von dieser komischen Scala!“ Würde den Kasper jemand ernstnehmen? In Karlsruhe war das anders: 1963 „beanspruchte“ das Bundesverfassungsgericht als Baugrund die Stelle, wo die gut erhaltene Hoftheater-Ruine stand. Zur Erinnerung: Es handelte sich um Hochkultur. Devrient, Clara Schumann, Brahms, Mottl, Wagner, Richard Strauß…
Das Gericht blockiert jetzt den Bauplatz. Die 55 Mio. Baukosten zur Verkleinerung des Botanischen Gartens 2007 dürfen nicht umsonst gewesen sein! (Leider hat man die Klimaanlage für die schlechter Bezahlten vergessen.) Gestärkt von Risotto und Monteverdi, schieben wir den Justizkasten einfach beiseite und stellen unser richtiges Theater wieder hin: am besten gleich das abgebrannte von Weinbrenner, das den Freiheitsdichter Schubart einst an das Athens des Perikles denken ließ. Das ist zwar nicht Italien, passt aber trotzdem. Da sind wir nicht so.
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