Biss zur letzten Rübe – der reinste Genuss (Februar 2022)

Stadtleben // Artikel vom 02.02.2022

Von der trostspendenden Schubkraft des Morbiden

Eine Kolumne von Johannes Hucke, der die Region seit 2007 mit seinen Weinlesebüchern, Kriminalnovellen und Theaterstücken malträtiert. Mittlerweile versucht er, das INKA-SpaßBlatt mit epikureischem Gedankengut zu destabilisieren. Viel Spaß auch.

Wäre der Februar eine grammatische Form, dann bestimmt ein substantiviertes Partizip. Das Währende, Zehrende des Schüttelmonats ist von der versammelten Fachchinoiserie ja ausreichend beschrieben worden: Ihr öffnet morgens das Fenster, und zartschmelzende Eiskristalle verwüsten euch (so vorhanden) den Teint; ihr tretet auf den Gehsteig hinaus, aber auf verharschten Schnee und brecht euch den Ellenbogen; ihr wartet schutzlos auf Bahnsteig 3 auf den 270 Minuten verspäteten ICE Jan-Carl Raspe zwischen zwei Erfrorenen („Grund für die Verspätung sind spielende Notärzte im Gleis“). In Rumänien übrigens zählt man die Monate so: Januar, März, April… und im Ernst: Wer mag so was wirklich? Nun, es liegt an der Gegend: Karlsruhe kann März, kann Oktober, aber Winter kann Karlsruhe nicht. Die Alpen, die können den. Da trägt die ofenwarme Bäuerin im goldgelben Abendläuten die rötlichen Rüben durch silbernen Tiefschnee in den fladenduftenden Stall zu den Tieren, die auch ganz viele Adjektive haben, süß z.B. Oder wärmend – aber das wäre schon wieder ein Partizip.

Nun, es gibt auch diese präventiv ernüchterten Menschenartigen, die schon am 27.12. das niemals aufgestellte Weihnachtsbäumchen vor den Altglascontainer pfeffern und überhaupt mit keiner Gemütsregung je etwas anfangen können. Die kommen sogar mit dem Januar in Karlsruhe zurecht – zu denen später. Wir aber, die wir mindestens bis Lichtmess (2.2.) des Liebesschimmers wärmenden Gemütstrugs bedürfen, wir brauchen danach Brei. Nicht Gries-, nicht Hirse-, sondern Kartoffel-. Ja und wieso? Weil er sich anschmiegt: an Sauerkraut mit Ripple, an die Wetschi-Frikadelle, an unsere Trostlosigkeit. Oder an anderen Brei: Apfel- natürlich, das gibt dann Himmel und Erde. Mit Bratwurst? Nö! Mit gebackener Leber natürlich und mächtig viel Zwiebeln. Und mit Semmelbröseln, buttergebräunt.

Doch bleiben wir vegetarisch. Wie auch immer, wir haben es mal wieder auf den Gutenberg-Markt geschafft, zagend und zaudernd ob der Unverwüstlichkeit dieser Marktmenschen, die seit fünf Stunden bei minus fünf Grad Waren stapeln und Geld rausgeben. Könnte ich malen, ich malte diese Grünkramfrau mit den abgeschnittenen Handschuhen, aus denen die roten Fingerchen märtyrerhaft hervorragen, um ein dampfendes Tässchen geklammert, mit Kaffee drin, Tee-mit-Rum, Gemüsebrühe... Heute halten wir am Stand von Matthias Preisler, der in helleren Tagen sogar Wildspargel auflegt. Jetzt sind aber keine helleren Tage; also kaufen wir Kerbelknollen, Kapuzinerknollen, Roca do Peru. Nie gehört? Wir auch nicht.

Nach unsäglichen Strapazen langen wir zu Hause an. Dort bereiten wir uns ein „Dreierlei vom Kartoffelbrei“: je in ein Töpfchen immer zwei Drittel geschälte mehlige Kartoffeln und ein Drittel von den buntscheckigen Seltsamkeiten, die wir gerade gekauft haben. Diese zu schälen, macht gar nicht so viel Spaß, versprochen. Doch das Ergebnis lohnt der Mühe: Wenn alles weichgekocht ist – also so richtig weich – ihr habt doch kein Salz dran getan, oder? –, dann gießen wir das meiste Wasser ab, salzen jetzt und muskatieren und geben ein überzeugendes Stück Butter dran. Sodann bitte mit dem Stampfer stampfen, was das Zeug hält. Und stampfen, rühren, stampfen, bis so etwas Luftig-Duftiges entsteht, in etwa so zart wie Märchenwolle, aber in heiß. Was: Da sind noch Klümpchen drin? Wozu gibt es Siebe! Das Zeug da durchstreichen, dann habt ihr zwar eher sowas wie eine Kartoffel-Mousseline, aber wenigstens keine – richtig – Klümpchen.

Wie ihr eine Morchelrahmsauce macht, muss nicht extra erklärt werden, wie? Na gut… Sauteure getrocknete Morcheln in halb Wasser, halb Milch einweichen, in selbiger Schüssel schön auswringen, in Scheiben schneiden, mit Schalotten in Butter andünsten, mit Wein ablöschen (normalerweise weißem, wir nehmen heute roten) und mit dem Einweichwasser aufgießen. Jetzt noch einen Shot Portwein dazu und so lange wie leise köcheln lassen. Klar, Salz und Pfeffer sind Pflicht, Muskat diesmal nicht. Sollte das Sößchen zu dünn ausfallen, entweder einfach weiterköcheln oder halt etwas Kartoffelstärke in kaltem Wasser an- und in die Soße einrühren.

Jetzt kommt der Trick: In drei Schüsselchen drei Breichen füllen, Morchelrahmsößchen dazu, vor den Bildschirm hocken und so was wie Servus-TV gucken. Den Wein dabei bitte nicht vergessen! Ist es nicht faszinierend, welch unterschiedliche Aromatiken diese Miniknollen, die beim Schälen so viel Arbeit gemacht haben, nicht mehr aufhören wollen zu entfalten? Während also die ofenwarme Bäuerin… (s.o.), überträgt sich das alpenländische Winterglück auf euch und eure Seelen (so vorhanden), und wenn ihr lange genug wartet, hört ihr alsbald den Vorfrühlingswind durch kahle Alleen gehen.

Jetzt aber zu den anderen, den Siegertypen der Gattung, die von so nostalgischem Firlefanz gar nichts halten. Für die haben wir auch was, wir sind ja nicht so. Also: Ihr setzt euch vor eine weiße Wand und guckt die an, ja? Empfehlenswert ist Raufasertapete, aufgrund des höheren Abwechslungsreichtums. Selbstverständlich dürft ihr auch was trinken… Wie wäre es mit einer erfrischenden Kaffeeschorle? Oder einer Teeschorle aus gut abgestandenem Weihnachtstee? Jetzt müsst ihr nur noch untenstehendes Gedicht meditieren und schon stellt sich die totale Trostlosigkeit ein, die so lückenlos nur der Februar in Karlsruhe bietet. Es handelt sich übrigens um das schlechteste Gedicht der Welt, zumindest seit Onkel Erichs 70., als sich im Lobeshymnus von Tante Hilde alles auf -ar reimte, also wunderbar, Enkelschar, 70 Jahr, früher rar, alles klar.

Katharina Eickhoff, die fabulöse Musikexpertin des SWR, erinnerte das Machwerk an jene Deutschlehrerinnen der 80er, die sich moderne Lyrik so vorstellten: Im Land der auf die Nerven gehenden Partizipien. / In seinem kurz vorher angezogenen Hemd / Ging er durch die sich geöffnet habende Tür. / Dort begegnete er der dort anwesenden Frau namens Kaschmir, / Die eine mit ihm verheiratete war, aber sie lebten getrennt. // Gemeinsam zusammen seiend, aßen Löffel und Gabel benutzend sie / Zuvor zubereitete Speisen, vor allem gekochte Nudeln und so. / Miteinander sprechend, unterhielten sie sich, und wie! / Ihrer benutzten Partizipien wegen liebe er sie noch, sagte er, aber auf Deutsch.

(He, pst, natürlich kann Karlsruhe auch Winter: Ihr müsst nur die Schwarzwaldhochstraße hochfahren, bis sich unter euch das morgenrötliche Watte-Meer ausbreitet, dann ein bisschen im Schnee rumtollen… und abends zu Hause so was Gebirgsmäßiges zu euch nehmen: gebratene Semmelknödelscheiben mit Zwiebeln und Nitrosamin-reichem Speck nebst Tiroler Rotem und Schnäpsen. Oder besagtes Dreierlei vom Kartoffelbrei. Oh wie schön ist Februar!)

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