Der zweite Blick auf Karlsruhe: Britta Wirtz
Stadtleben // Artikel vom 01.01.2010
Die neue Frau an der Spitze der Messe- und Kongressgesellschaft setzt auf Kreativwirtschaft.
Alles. Außer gewöhnlich“, damit wirbt die Karlsruher Messe und Kongress GmbH (KMK) auf ihrer Website, und über kurze Videoclips können sich Internetuser mittels Messe-TV von der Richtigkeit dieser Aussage überzeugen. Karlsruher Messen und Kongresse haben internationalen Charakter und sind starke Publikumsmagneten: Stolze 650.000 Besucher lockt die KMK jährlich zu ihren Veranstaltungen. Seit Januar 2009 steht Britta Wirtz als Sprecherin der Geschäftsführung gemeinsam mit Klaus Hoffmann an der KMK-Spitze.
Die 37-jährige Kommunikationswissenschaftlerin ist die erste Frau an der Spitze einer deutschen Messegesellschaft in öffentlicher Hand. Vor dem Ruf nach Karlsruhe war sie Mitglied der erweiterten Geschäftsführung der deutschen Niederlassung des weltgrößten privaten Messeveranstalters Reed Exhibitions mit Sitz in Düsseldorf.
Im Gespräch mit Ute Bauermeister und Roger Waltz spricht Britta Wirtz über ihre Ziele, Messlatten, das Potenzial der Karlsruher Kreativwirtschaft und ihre private Sicht auf Karlsruhe.
INKA: Wie haben Sie und Ihre Familie sich in Karlsruhe eingelebt?
Britta Wirtz: Wir sind sehr gut angekommen, haben unsere Anlaufstellen und Ansprechpartner gefunden. Ich werfe ja schon einen „zweiten Blick“ auf Karlsruhe. Meine Urgroßmutter lebte hier und war eine der ersten Frauen mit Abitur und Führerschein, wovon dieses Schwarz-Weiß-Foto in meinem Büro zeugt. Sie hat in der Weststadt ein eigenes Mode-Label entwickelt, Kleider entworfen, genäht und in einem Modepavillon in der Karlstraße vermarktet. Mein Großvater hat in Karlsruhe Chemie studiert, meine Eltern haben hier geheiratet, so dass ich schon vielfach mit dieser Stadt in Berührung kam. Seit ich mit meinem Mann und meinen beiden Kindern selbst hier wohne, erkunden wir auch gerne das Umfeld, sind von dem Kloster Maulbronn sehr angetan, fahren in den Schwarzwald, ins Elsass oder in die Pfalz. Um diese Jahreszeit ist auch die Indoor-Kultur wieder gefragt. Aus dem ZKM zum Beispiel habe ich meine Sprösslinge kurz vor Schließung beinahe hinauszerren müssen, so spannend fanden sie dort alles. Auch im Sandkorn-Theater waren wir schon, Karlsruhe bietet ja sehr vielfältige Kultur- und Freizeitaktivitäten, die wir sehr schätzen. Lediglich mein Sohn musste sich in der Grundschule von Englisch auf Französisch umstellen, aber das klappt inzwischen auch schon ganz prima.
INKA: Wo sehen Sie die Stärken dieser Stadt und wo die Schwächen?
Wirtz: In der Kombination aus Hightech-Wissenschaftsthemen am KIT und den Forschungseinrichtungen sowie der starken kulturellen Präsenz hat Karlsruhe für mich eine „Exzellenz“ – durchaus im juristischen Sinne, ich denke aber auch an die exzellenten Köpfe Karlsruhes, deren Vermarktungspotenzial wir noch nicht voll ausschöpfen. Das möchten wir stärker nach außen transportierten und wahrnehmbarer machen. Wir wollen Karlsruhe als Kreativstandort weiter ausbauen, aber auch weltweit noch stärker als bisher als Wissenschaftsstadt positionieren. Der Wissenstransfer – etwa durch große, global angelegte Kongresse gemeinsam mit dem KIT – ist ein großes Thema.
INKA: Wir haben uns bei INKA immer stark gemacht für eine Betrachtung von Kultur als hartem Wirtschaftsfaktor. Themen wie Design und Kunst haben der Fächerstadt bundesweit Aufwind beschert und Karlsruhe nicht nur als IT-, sondern eben auch als Kreativstandort in den Fokus gerückt. Die KMK hat dies durch die „art Karlsruhe" und die neue Messe „Eunique" zusätzlich befeuert. Wie beurteilen Sie das Entwicklungspotenzial beider Messen? Wie sehen Sie – als KMK-Chefin sind Sie ja auf allen Gebieten zuhause, vom Fachkongress zu Sicherheitstechnik bis zur Geothermie – hier das Potenzial der Stadt?
Wirtz: Die aus dem Kunsthandwerk kommende „Eunique" hatte 2009 einen furiosen Start. Ich sehe diese ausbaufähige Messe als Sprungbrett zum Design und wollte sie unbedingt in den Messehallen in Forchheim stattfinden lassen, nicht in der Gartenhalle. Wir sind auch 2010 die einzige Messe in Deutschland für hochkarätiges Kunsthandwerk und ziehen Aussteller aus Belgien, Skandinavien und Österreich an. Alle Aussteller müssen sich einer Fachjurierung unterziehen. Das kann gerade eben im Hinblick auf die rege Design-Szene in Karlsruhe neben der art noch weiter denKreativstandort befruchten.
Die „art Karlsruhe" ist sicher eines der Flaggschiffe unseres Messe-Portfolios. Mich persönlich fasziniert die Symbiose aus Kunstvermarktung und gleichzeitig drei Tage lang die größte Galerie Deutschlands zu sein: Es kommen Kunstinteressenten, Sammler und Käufer. Auch für das Jahr 2010 gab es wieder mehr Bewerber, als wir aufnehmen konnten. Die Kommission hat aus 350 Galerien etwa 200 ausgewählt. Erstmals wird die Ankaufkommission der Bundesrepublik anreisen, die Zimmer sind schon gebucht. Kultur, da gebe ich Ihnen Recht, ist ein harter Wirtschaftsfaktor. Das Thema Kreativwirtschaft ist für uns als Messegesellschaft eine große Chance, es ist wichtig, dass dieser Zug nicht an Karlsruhe vorüber zieht.
INKA: Sie haben mit der „offerta", der „Inventa", der „Horizont Outdoor", der Modellbau- und der neuen Motorradmesse (um nur einige zu nennen) bereits viele erfolgreiche Publikumsmessen. Wollen Sie noch weitere, neue Publikumsmessen ins Leben rufen oder geht die Entwicklung eher in Richtung internationaler Fachkongresse, wir nennen einmal den IT-Bereich oder Geothermie?
Wirtz: Unser Angebot im Sektor Publikumsmessen ist soweit vollständig, wir haben fast alle Interessensgebiete von Gesundheit und Schönheit über Freizeit, Bauen, Hobby, Garten und Einrichtung bis Outdoor abgedeckt. Das hat schon etwas ganz Besonderes, wenn nach Weihnachten in den großen Hallen der dm-arena fünf Kilometer Gleise in Handarbeit verlegt werden für das Echtdampf-Hallentreffen. Hier kommen Anfang Januar jede Menge Liebhaber zum weltweit größten Dampftreffen. Auf der neuen Motorradmesse erwarten wir 40.000 Besucher, auch die Modellbaumesse wird kaum weniger Menschen anziehen. Ausbaufähig sind die Fachmessen mit internationaler Strahlkraft. Die „IT-Trans" zieht beispielsweise Aussteller von Skandinavien bis Australien an. Die Teilnehmer kommen von Oklahoma bis Orleans und tragen den Standort Karlsruhe in die Welt. Im IT-Bereich sind wir bereits gut aufgestellt. Mit der „Learntec" wurde in Karlsruhe der Fachbereich E-Learning entwickelt, fachlich diskutiert und vermarktet. Auf der „IT-Trans" wird der öffentliche Personenverkehr mittels IT optimiert, dazu gehören beispielsweise elektronisches Ticketing und vieles mehr. Auch hier spielt Karlsruhe eine Vorreiterrolle. Die „Mechatronic“ als Kongress mit begleitender Fachmesse findet bereits zum zweiten Mal, im kommenden Jahr übrigens mit dem Partnerland Katalonien, statt. Hier sehen wir sehr positive Trends für Karlsruhe. Wir bieten dem neu gegründeten KIT die Chance, unsere Faszilitäten und Messen als Fenster zur Welt zu nutzen. Das KIT ist aufgerufen, unser Dienstleitungsportfolio zur Organisation wissenschaftlicher Kongresse und Tagungen stärker in Anspruch zu nehmen. Zum Beispiel zog die Magnetismuskonferenz rund 1.700 Wissenschaftler, darunter viele Asiaten, an, um darüber zu diskutieren, wie die Speichermedien der Computer der Zukunft aussehen. Die „webtec" war bis vor zwei Jahren in Frankfurt ansässig und hat ihren Standort nun nach Karlsruhe verlegt, das ist ein großer Erfolg. Wir haben Denker und Macher hier vor Ort, das IT-Umfeld entwickelt sich rasant, wir müssen das nur noch stärker bündeln und gemeinsam mit Stadtmarketing und TRK vermarkten.
INKA: Wie sehen Sie die Hallensituation in Karlsruhe? Nach wie vor fehlt eine ursprünglich im Kreativpark Ost geplante multifunktionale Halle für 2.500-3.000 Personen. Wäre es für die KMK nicht interessant, diese in Eigenregie zu betreiben und zu bespielen?
Wirtz: Karlsruhe hat genug Veranstaltungsstätten, zusätzlich wird nicht unbedingt etwas gebraucht. Wir haben 155 vermietbare Räume in fast allen Größen und sind damit im bundesweiten Ranking die Nummer eins. Ich kann mir derzeit keine Veranstaltung vorstellen, für die wir nicht den Raum zur Verfügung stellen können. Man kann vorhandene Hallen wie die Garten- oder Schwarzwaldhalle aktivieren und technisch aufrüsten. Die dm-arena wird veranstaltungsgerecht modelliert und wird auch gerne vom SWR für Fernsehaufzeichnungen genutzt. Im nächsten Jahr werden hier „Verstehen Sie Spaß“ und die „Show der Naturwunder“ aufgezeichnet. Ein fester Bühneneinbau steht jedoch nicht zur Debatte, wir brauchen die dm-arena auch als Messehalle. Nur im Sommer, wenn keine Messen stattfinden, können wir sie gut anders nutzen. Wo ich noch Bedarf sehe, ist im Bereich Sport. Zwar gibt es in Karlsruhe einzelne Events wie die Rock’n’Roll-Weltmeisterschaft oder das BW-Bank-Meeting, aber diese folgen keiner Strategie, um Karlsruhe als Sportstadt zu positionieren.
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