Im Westen was Neues
Stadtleben // Artikel vom 12.02.2020
Guten Tag liebe Mitbetroffene!
In Karlsruhe erzeugen zwei Kohlekraftwerke auf Kosten unserer Gesundheit den Strom für viele Millionen Haushalte in unserer Region und geben dabei jährlich u.a. rund vier Millionen Tonnen Kohlendioxid (CO2) in die Atmosphäre ab. Unsere heimische Raffinerie Miro „versorgt“ unsere Atemluft mit 3.580 Tonnen (2017) Schwefeloxid und ganz Süddeutschland mit Benzin, Diesel und vielen Produkten für die chemische Industrie. Da passt es doch ins Bild, dass sich unser Hafen verniedlichend als „Entsorgungszentrum“ für ganz Baden präsentiert: Er beherbergt 20 Müllbearbeitungsbetriebe, die mehr schlecht als recht die Reste unserer Konsum- und Wegwerfgesellschaft bearbeiten. Und zusätzlich zu den täglich Tausenden von Gefahrguttransporten mit Kraftstoffen aus der Miro und den Hunderten von Straßentransporten in den Hafen beschert uns nun die Firma Schleith (sie baut mit Züblin den Kriegsstraßen-Tunnel) nochmals rund 30.000 Lkw jährlich. Ja, liebe MitbürgerInnen, Sie dürfen die Unterlagen im Regierungspräsidium noch bis zum 12.2. einsehen (und evtl. kritisieren, d.h. Einspruch erheben). Sie werden dann aber verwundert feststellen, dass dort eine Umschlags-, Lager- und Behandlungsanlage für 330.000 Tonnen nicht-gefährlicher mineralischer Abfälle und 60.000 Tonnen gefährliche Mineralstoffe und Güter errichtet und betrieben werden soll.
Eine Kolumne von Harry Block
Damit das alles geräuschlos und schnell über die Bühne geht, gibt es nicht einmal eine Vorprüfung der Umweltverträglichkeit des geplanten Großvorhabens. Dass der An- und Abtransport durch Karlsruhe rechtlich überhaupt keine Rolle spielt, verwundert nur den im Umweltrecht nicht bewanderten Laien. Uns Umweltschützer treibt diese total eingeschränkte Sichtweise auf ein uns alle negativ betreffendes Großvorhaben zur Verzweiflung. Die Umweltgesetze dienen eben nicht vorwiegend dem Schutz von Flora, Fauna und Menschen, sondern ermöglichen vor allem die schnelle und geräuschlose Gewinnerzielung von Firmen, die sich dafür noch von der Politik loben lassen. Die Genehmigungs- und Aufsichtsbehörden für Natur- und Umweltschutz waren früher schon nicht mit Beamten überbesetzt; heute sind sie im grünen Ländle oft total ausgezehrt, weil Kontrolle und Aufsicht dem grün angestrichenen Wirtschaftsstandort Baden-Württemberg schadet. Trotzdem sollen die Beamten nach dem Willen der Kommunal- und Landespolitik schnell, unbürokratisch und ohne viel öffentlichen Aufhebens die Genehmigungen erteilen. Dabei stören Umweltgruppen wie der BUND oder die Bürgerinitiative „Müll und Umwelt“, die bei jedem Verfahren gebetsmühlenartig nicht nur die Minimierung aller gesundheitsgefährdenten Luftschadstoffe aus unseren Industrieanlagen fordern, sondern auch den fortschrittlichsten Stand der Technik.
Die Gesundbeter in den Amtsstuben weisen dann immer darauf hin, dass ja auch bei uns in der Sophienstraße die Einhaltung der viel zu hoch angesetzten Grenzwerte für z.B. Stickoxide oder Feinstaub gemessen wird. Bei Stickoxiden (Jahresgrenzwert: 40 µg/m3) liegen wir in Karlsruhe seit Jahren mit einem Mikrogramm unter dem Grenzwert. Gemessen und mit Richtwerten versehen werden aber nur die groben Feinstäube; die Kohlekraftwerke und unsere Pkw geben aber zu über 90 Prozent viel kleinere, meist giftige und durchweg lungengängige Feinststäube ab. Zu diesen Ultra-Feinstäuben wurde die leitende Ärztin des Gesundheitsamtes des Landkreises Karlsruhe im Genehmigungsverfahren zum neuen Kohlekraftwerk RDK 8 der EnBW gefragt, sie antwortete laut Wortprotokoll: „In unserer Stellungnahme zu diesem Verfahren haben wir die Tatsache erwähnt, dass es Schwellenwerte, unterhalb deren eine Wirkung nicht zu erwarten ist, beim Feinstaub nicht gibt, weder im Hinblick auf die Sterblichkeit noch im Hinblick auf die Entstehung von Krankheiten.“ Was tun?
Wir müssen erkennen, dass unser Glauben und Handeln im Sinne eines grenzenlosen Wirtschaftswachstums einen Irrweg darstellt, den wir verlassen müssen. Das erwarte ich auch von der stärksten Fraktion im Karlsruher Gemeinderat. Die grünen „Kampfkaninchen“ müssen zur orientierungsgebenden Kraft werden. Es genügt mir nicht mehr, dass sie uns, wie die Landesgrünen, erklären, dass das, was da auf uns zukommt, gar nicht so schlimm ist. Die Kids von Fridays For Future machen mir auch in KA Hoffnung, dass die neoliberalen Schwätzer in Wirtschaft, Medien und Politik im Sinne von immer mehr technischen Fortschritt und immer sinnloserem Konsum ihre Grenzen finden. Denn, wer die Energie- und Verkehrswende ernstnimmt und eine Veränderung herbeiführen will, muss die Schwachstellen unseres bisherigen Wirtschaftens auch in Karlsruhe aufzeigen.
Die „Leuchtturmprojekte“ der Stadt müssen kritisch unter dem Gesichtspunkt Nachhaltigkeit betrachtet, beurteilt und wenn nötig bekämpft werden. Der umstrittene Standort für das Selbstbeweihräucherungsdenkmal der Justiz = Forum Recht – eines der Lieblingskinder des Investorenbeglückers Mentrup – ist nur ein Thema, die riesigen überquellenden Lagerhallen für schwach und mittel aktiven Atommüll im Hardtwald ein anderes. Das atomare Mysterium Joint Research Centre, in dem inzwischen die von der EU geförderten Atomforschung im ehemaligen Kernforschungszentrum (heute KIT Nord) zentriert wurde und in dem demnächst sicher ein Bauwerk der besonderen Art (zwei Meter dicke Betonwände) seiner Bestimmung mit viel Prominenz aus der Politik eingeweiht wird, verdient mediale Aufmerksamkeit. Als Amateurfußballfan, der den aus dem finanziellen Ruder gelaufenen Profisport nur noch kopfschüttelnd zu Kenntnis nimmt, bin ich immer noch wütend, dass die Tribünen des neuen Stadions mit unserem Geld nicht aus recyceltem Beton gebaut werden und weder eine Solaranlage noch eine Warmwasseraufbereitung auf den Dächern haben wird. Wie ein KSC-Hauptsponsor sein Geld u.a. im Rheinhafen auch mit „Bluterzen aus dem Kongo“ verdiente, die nicht nur für die Batterien der Automobilindustrie benötigt werden, verdeutlicht nur, wie global vernetzt auch unsere Stadt heute ist.
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