Kulturregion am Oberrhein?

Stadtleben // Artikel vom 13.11.2012

Das INKA-Interview mit Regierungspräsidentin Nicolette Kressl und Kultus-Staatssekretär Dr. Frank Mentrup.

Nach dem Interview mit Frank Mentrup in INKA #80 und Ingo Wellenreuther in #81, der sich zu dem unten stehenden Komplex schon ausführlich geäußert hatte, haben wir uns entschlossen, uns einem auch INKA-internen, aber eher wahlkampffernen Thema zu widmen: Seit fünf Jahren versuchen wir mit Regio INKA, ein Bewusstsein für eine gemeinsame Kulturregion am Oberrhein anzutriggern.

Auch wenn quasi kein Wahlkampf zustandekam, eins ist klar: Nach der OB-Wahl am 2.12.2012 wird ein neuer Wind im Rathaus wehen. Also: Bitte wählen gehen. Zuletzt lag die Wahlbeteiligung bei der OB-Wahl bei beschämenden 30 Prozent. Da kommt’s auf jeden Oehme an!

INKA (Roger Waltz):  Sehr geehrte Frau Kressl, Sie sind noch vergleichsweise neu im Amt – hatten Sie nach einer Bestandsaufnahme schon Gelegenheit, Prioritäten für Ihre zukünftige Arbeit zu setzen?
Nicolette Kressl: Zu den Themen, die auf meiner Agenda stehen, gehören die alternativen Energien, insbesondere die Windkraft. Vor allem die Frage nach den Windkraftstandorten besprechen wir demnächst mit den Gemeinden und Landkreisen. Anfang November wird es dazu ein großes Regierungspräsidiumsforum geben. Und natürlich werden die Themen regionale Schulentwicklung und Gemeinschaftsschulen immer bedeutsamer. Das sind für mich wichtige Zukunftsfragen, deren Antwort ich mitgestalten möchte.

INKA: Karlsruhe ist eigentlich eine Grenzstadt – zum Elsass, aber auch zur Pfalz –, aber man merkt es nicht. Wir versuchen seit über fünf Jahren, mit dem Kulturmagazin INKA Regio so etwas wie ein Bewusstsein für eine gemeinsame kulturelle Region am Oberrhein zu schaffen. Obwohl uns viele engagierte Kulturamtsleiter der Region unterstützen, ist das ein langwieriges Procedere. Im Elsass sinkt die Quote derer, die Deutsch lernen, dramatisch, obwohl sich dadurch dort (wie hier) angesichts der extrem hohen Jugendarbeitslosigkeit auch Jobs generieren ließen. Karlsruher fahren zwar ins Elsass und nach Straßburg zu Kultur-Events, umgekehrt ist das aber messbar kaum der Fall. Die Trennung durch den Rhein wird zusätzlich durch eine Trennung der großen Zeitungskonzerne zementiert: BNN hier, Rheinpfalz dort, DNA in Frankreich.
Kressl: Bei der Oberrheinkonferenz gibt es nicht nur mehrere deutsche, sondern auch trinationale Gremien und ich stelle fest: Das Problem ist nicht das fehlende Engagement, sondern das fehlende Bewusstsein der Menschen über dieses Engagement. Die Freiburger Regierungspräsidentin Bärbel Schäfer und ich haben bereits Initiative dafür ergriffen, dass der Oberrheinrat als parlamentarische Vertretung und die Oberrheinkonferenz stärker parallel arbeiten. Es gibt ja auch bereits eine Reihe kleiner Projekte, in denen grenzüberschreitend zusammengearbeitet wird – auch im Intereg-Rahmen, in Sachen Kultur oder Umwelt. Aber es hat alles noch nicht den erkennbaren trinationalen Rahmen. Das wird eine unserer Aufgaben sein. Ohne Wunder zu erwarten. So etwas lässt sich nur in kleinen Schritten erreichen. Auch über die Kultur hinaus muss Zusammenarbeit stattfinden, etwa an den Schulen oder im Bereich der beruflichen Ausbildung. Aber hier stoßen wir immer wieder auf Hürden wie die Frage der Kostenübernahme.
Dr. Frank Mentrup: Es gibt auf der politischen Ebene symbolische Kooperationen und viel sozialen Austausch auf der Ebene der Menschen. Was fehlt, ist die Kommunalpolitik, sind die ganz alltäglichen Fragen und Kontakte. Das heißt: Oberbürgermeister treffen sich eben nicht regelmäßig mit Oberbürgermeistern auf der anderen Rheinseite oder aus Straßburg. Es wird nicht demonstriert, dass man zusammen etwas entwickeln möchte, dass man Probleme zusammen löst. Und so lange die Politik das nicht vorlebt, wird die Arbeit der Oberrheinkonferenz nicht als in den Alltag integriert wahrgenommen. Der oft beschworene kulturelle Austausch etwa hat für mich viel mit dem Nahverkehr zu tun: Wenn ich von Karlsruhe direkt nach Straßburg fahren will, kann ich das vielleicht fünfmal am Tag – das ist einfach zu wenig. Schließlich sollten die älteren Mitbürgerinnen und Mitbürger besser angesprochen werden. Die brauchen eine Karte und eine S-Bahn, mit der sie selbstverständlich hin- und herfahren können. Wir sehen ja in der Rhein-Neckar-Region, was dort durch den Verkehrsverbund ausgelöst wurde – und zwar nicht nur am Samstagabend, sondern die ganze Woche über. Dafür sind die Voraussetzungen hier noch nicht gut genug. Da ist der Rhein noch eine Grenze.

INKA: Wäre es eine grundsätzliche Lösung, deutsch-französische Schulen entlang des Oberrheins einzurichten?
Mentrup: Es gibt bereits viele bilinguale Züge entlang des Rheins, die meist aus Kindergartenkooperationen entstanden sind, in denen schon seit Jahren zwischen Kindertagesstätten im Badischen und Kindertagesstätten im Elsässischen eine gute Partnerschaft gepflegt wird. Als wir jüngst diskutiert haben, Französisch erst ab der dritten Klasse anzubieten oder es vielleicht sogar völlig freizustellen, Englisch oder Französisch zu lernen, hat es einen Aufschrei von Neuburgweier südwärts gegeben. Das zeigt: Die Menschen dort sind überzeugt und begeistert von der Sprache des Nachbarn. Wenn Sie sich in Kehl umschauen, gibt es dort zahlreiche binationale Familien, die etwa zur Hälfte ihre Kinder nach Kehl oder Straßburg auf die Grundschule schicken; und umgekehrt gibt es binationale Familien in Straßburg, die ihre Kinder in Straßburg und in Kehl einschulen. Interessanterweise ist meist die Sprache der Mutter ausschlaggebend, für welche Rheinseite man sich schulisch entscheidet. Ausbaufähig ist die berufliche Bildung, wie zum Beispiel der Austausch von Azubis. Das Problem: Je schwächer der soziale Status und je geringer der Bildungsstand, desto weniger mobilitätsbereit sind die Menschen. Das gilt für Frankreich wie für Deutschland. Auch haben wir jetzt die erste Generation von GrundschullehrerInnen, die in Französisch qualifiziert ausgebildet worden sind. Dadurch erleben wir eine deutliche Steigerung der Qualität des Fremdsprachenunterrichts an den Grundschulen und eine deutlich höhere Zufriedenheit der Eltern – Karlsruhe hier vielleicht ein wenig ausgenommen, da die Eltern weiterhin sehr zu Englisch tendieren. Deshalb brauchen wir keine neuen deutsch-französischen Schulen, sondern sollten selbstbewusst die bisherigen Fremdsprachenkooperationen und bilingualen Angebote in Kita und Schule weiter entwickeln.

INKA: Muss die Region Karlsruhe aufpassen, nicht von der durch den starken Franken zusätzlich boomenden trinationalen Region in Basel/Mulhouse/Freiburg oder der Metropolregion Mannheim abgehängt zu werden?
Mentrup: Nicht, wenn wir unsere besondere Situation als Stärke verstehen und nutzen. So ist ein Vorteil, dass Karlsruhe die einzige Großstadt der unmittelbaren Region ist. Wenn wir daher die regionale Abstimmung und Entwicklung endlich in die Hand nehmen, könnten wir richtig etwas bewegen. Keine der Umlandgemeinden würde sich einer solchen Anstrengung entziehen. Doch wenn ich in meinem Wahlkreis Ettlingen unterwegs bin, sagt mir jeder: Wir würden ja mehr tun – aber wir erwarten, dass Karlsruhe der Motor ist. So sind wir im direkten Umland einzigartig und stehen gleichzeitig, das ist der zweite Vorteil, in Grenzbeziehungen zu anderen starken Regionen. So können wir die trinationale Metropolregion nutzen und mit Straßburg und Basel etwa bei der Hochschule oder in der Kultur ganz intensiv zusammenarbeiten. Und wir können die Nähe zu Mannheim und der Metropolregion Rhein-Neckar, aber auch Stuttgart nutzen, um etwa in der Forschung eine enge Zusammenarbeit zu pflegen. Doch zunächst sollten wir als eigene Region stärker nach innen und außen aktiv werden.

INKA: Karlsruhe ist zwar das Zentrum der TechnologieRegion, Mitglied ist der Landkreis Südliche Weinstraße, nicht aber die Stadt Landau. Diese sprach sich einst sogar gegen eine Straßenbahn-Anbindung aus. Gleichzeitig wird eine zweite Rheinbrücke gefordert – bei einem öffentlichen Nahverkehr in der Pfalz, der an die Abruzzen erinnert, sprich: Der Bus kommt morgens und abends. Ist es nicht sinnvoll, den Bau einer zweiten Rheinbrücke auch auf Pfälzer Seite dahingehend zu hinterfragen, wo dort dann weitere Strukturentwicklungen gewünscht sind?
Kressl: Wenn wir die Informationen aus dem Faktencheck ausgewertet haben, gehen wir mit dem Planfeststellungsverfahren weiter in ein geregeltes Verfahren. Und wir wollen auf dem Weg dahin zeitgleich mit den Rheinland-Pfälzern voranschreiten.
Mentrup: Ganz unabhängig von der politischen Diskussion geht es jetzt erst einmal um die Planungsebene – und die stockt nicht, weil es eine Grün-Rote Landesregierung gibt, sondern weil man den Erörterungstermin vorbereiten muss. Und da gibt es auch auf Pfälzer Seite noch einiges zu liefern. Parallel zur Frage einer zweiten Rheinbrücke muss sich die Region zudem mit der anderen Rheinseite zusammensetzen, um den Nahverkehr auszubauen.

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