Auf den Knien meines Herzens – Das Gedenken an Peter Weibel

Stadtleben // Artikel vom 01.04.2023

Wer denkt er schläft ist wach (Foto: Patrick Wurster)

Ich erlebte Peter Weibel, auf den ich durch seine Dada-Aktionen mit Valie Export aufmerksam wurde, das erste Mal Ende der 70er, Anfang der 80er in München auf der Bühne mit seinem Hotel Morphila Orchester im Loft, einem Kunstraum, in dem auch schräge No-Jazz-Bands auftraten wie Blurt oder umstrittene wie Laibach.

Man verstand null, aber das war zu Zeiten von Wave und Geniale Dilettanten auch völlig normal. 20 Jahre später kreuzten sich unsere Wege in Karlsruhe, wohin ich zur Geburt meiner Tochter zurückgekehrt war. Ich kann mich an viele viele Stunden im Schneideraum des SWR erinnern, um aus den Interviews sendefähige Schnipsel rauszuschnibbeln.

von Roger Waltz

HfG-Prof. Krass schrieb für die Ursula Blickle Stiftung einen sehr schönen Nachruf – über die von Weibel entwickelte „Stenosprache“ – ein Ausweg, da Gedanken ja schneller sind als Sprache. Ab 1999, als er das ZKM übernahm, interviewte ich ihn oft für den Deutschlandfunk und andere Medien. Irgendwann rief er an, ob ich nicht seine „Malcom McLaren“-Ausstellung bundesweit promoten wollte. Interimsmäßig leitet ich dann sechs Monate die ZKM-Presseabteilung, kuratierte auch fürs ZKM Drum’n’Bass-Labelnächte oder Mouse On Mars. Leider – oder vielleicht eher richtigerweise – verlor er das Interesse an westlicher elektronischer Popmusik. An Pop überhaupt wie z.B. „Lichtkunst Kunstlicht“. 2015 ging er dann das Risiko einer Tanzausstellung mit meiner Schwester Sasha ein. Es war super erfolgreich. Skulpturaler Tanz. Das hatte sich noch niemand getraut. Weibel war ein Freigeist. Aber auch ein unglaublicher Universalist und Enzyklopäde mit einer beispiellosen Gabe, Analogien aus den allen Wissensgebieten in Sekundenbruchteilen zu entdecken – und je nachdem gleich zu kommentieren oder zu persiflieren.

Wäre Da Vinci ein Dadaist gewesen, wäre wohl Peter Weibel herausgekommen. Seine Freunde waren Künstler und Philosophen, aber er war bar jeder bildungsbürgerlichen Arroganz, ein Mann des Volkes. Unkompliziert, stets zugewandt. Immer dabei, etwas zu entdecken. Er hob die „Schlosslichtspiele“ aus der Taufe, das von ihm noch konzipierte Kraftwerk-Konzert am 12.8. am Schloss wird er nicht mehr erleben, die 16.000 Tickets waren in 24 Stunden weg. 2019 wurde es dann ernst: Beim Festakt „30 Jahre ZKM“ wurde er öffentlich vom OB angegangen, wie Christiane Riedel bei der Trauerfeier ausführte. Später hatte Weibel wegen der vom OB (unter Ausschluss städtischer Gremien) verfügten Genehmigung der Lüpertz-Tontafeln in der U-Strab von „Demokratiedefiziten“ gesprochen. Er war überzeugt davon, dass Wissen, Vernunft und Expertise zu 100 Prozent Grundlage wichtiger Entscheidungen sein müssten. Ende 2019 dann – nach heftigen Protesten der Karlsruher Kulturgesellschaft – die Vertragsverlängerung. Um drei statt fünf Jahre.

Weibels eigene Ausstellung wurde zur Show eines anderen: Der OB, der seine Ablösung betrieben hatte, sprach vor vollem Haus: „Ich mag Sie unheimlich.“ Nicht nur ich war fassungslos. Weibel dankte souverän „auf den Knien meines Herzens“. Es war Livekabarett der härtesten Art. Weibel hatte den OB zuvor gebeten, bei seiner Vernissage nicht zu sprechen, er wollte eine für ihn heuchlerische Ansprache umgehen. Nun wiederholte sich das Prozedere bei seiner Trauerfeier im ZKM. Am 21.3. erhielt er in Wien ein Ehrengrab, ein Staatsbegräbnis. In Karlsruhe fühlte sich Weibel aber nur immer weniger respektiert. Sein Tod war ein Statement, sein letztes, ein schreckliches Statement. Er hatte 24 Jahre so viel wie nie jemand zuvor dafür getan, Karlsruhe und das ZKM weltweit in den Dauerfokus zu heben. Dass er dafür mit dem gebotenen Respekt behandelt wurde, kann man nicht sagen. Im Gegenteil. Selbst nach der für den OB installierten Ole-Scheren-PR-Ausstellung, dessen Entwurf fürs Landratsamt durchfiel und der noch nie in Deutschland baute, stand Weibel unter Dauerfeuer. Kurz vor seinem Herzinfarkt kam noch eine Einigung über einen Ankauf wesentlicher Teile seines Werks durch Land und ZKM zustande. Bis zuletzt arbeitet er an seiner auf sechs Bände ausgelegten „Enzyklopädie der Medien“, der fünfte Teil wurde kurz vor seinem Tod fertig. Aber sein Herzenswunsch, für die Abwicklung seiner Arbeiten temporär noch ein Büro unterhalten zu dürfen, wurde ihm abgeschlagen.

Das Büro im ZKM, das er kurz vor seinem Tod zum „Weltkulturerbe“ erklärt hatte, es war sein Zuhause, wie Peter Sloterdijk erzählte. Weibel hatte ein breites Kreuz, schon lange Bypässe, war aber gut eingestellt, fühlte sich fit. Versuchte weiter, optimistisch zu sein. Als der Showdown näher rückte, sein Lebenswerk abzugeben, zu verlassen, schwand seine Kraft zusehends. Er war schlecht zu Fuß, schaffte die 400 Meter bis zu seiner Wohnung nicht mehr und musste das Taxi nehmen. Nach einem schweren Infarkt wachte er aus dem künstlichen Koma nicht mehr auf. Der sorgsam inszenierte „Konfliktgelöste Abgang und Rückzug nach Wien“, so der langjährige BNN-Kulturchef Michael Hübl in seiner deutlichen Rede, wurde mit seinem Tod als Farce, als Lüge, als Heuchelei enthüllt. Er scheint ein Statement zu sein. Bei vielen seiner Freunde und Weggefährten, die am 23.3. im ZKM zusammenkamen, überwiegt das flaue und maue Gefühl, hier sei jemand „zur Strecke gebracht worden“ – besonders deutlich in den Reden von Christiane Riedel, Peter Sloterdijk und Michael Hübl.

Anders formuliert: Bei einem menschlicheren Umgang wäre vielleicht alles anders. Nahestehende berichten, man konnte dabei zusehen, wie es zu Ende ging. Wer sich bei der „Weggefährten“-Trauerfeier, die er erst zu unterbinden und dann durch eine seiner angsteinflößenden Ultramails an das gesamte ZKM-Team vorab zu „regeln“ versuchte, fast bis zum Ende blieb, war dann: der OB. Tags drauf, 24.3., bei der Vernissage, gab es keine „unterschwelligen Spannungen“, wie die BNN in Abänderung der Fakten fabulierten. Seine Rede, in der er lange nur auf die für ihn unzutreffenden Vorwürfe der Trauerfeier am 23.3. einging und wiederholt beteuerte, wie sehr er Weibels Freund gewesen sei, wurde zweimal von Pfiffen und Unmutsäußerungen begleitet. Schräge Welt: Das Opfer ist nun der OB, und nicht der tote Peter Weibel. Er könnte ja einfach den Mailverkehr mit Weibel und dessen Büro seit 2019 offenlegen. Wenn seit dieser „harten Phase“ Frieden war, wäre ja gut. Peter Weibel hat ein Anrecht darauf, dass dies untersucht wird.

Am 28.4. sollen dann bei einem Festakt in der Ev. Stadtkirche die Lüpertz-Schlammtafeln in den Himmel gelobt werden. Sie kommen gleich nach dem Kölner Dom. „Die Schöpfung ist vollbracht“ wurde der „Genesis-Zyklus“ von Markus Lüpertz zuletzt angepriesen. „Jesus Christus spricht: Es ist vollbracht!“, sagt Jesus im Johannes-Evangelium, kurz bevor er am Kreuz stirbt. Was das alles mit Lüpertz, Gott, dem Glauben oder der Kirche oder sonstnochwatdabei zu tun hat, wissen die Götter. Oder Peter Weibel.

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Kommentar von Bettina Luckhardt |

Danke für diese schönen und starken Worte, lieber Roger!

Kommentar von Erika Morvay |

Hallo, der Artikel spricht mir aus der Seele. Vielen Dank dafür
Erika Morvay

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